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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785.

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zugegangen; sie sezte hinzu, es sey ihr die
ganze Predigt auf's Haar gewesen, sie höre
ihren Großvater wieder reden; so habe er
hundert und hundert mal diese Sachen über
Tisch erzählt; und hundert und hundert mal
ob dem brafen Vorgesezten, der sich da noch
allein diesen Bosheiten wiedersezt, und aber
ins Kaysers Landen sterben müssen, die hel-
len Thränen vergossen.

Ihrer viele sagten, es nehme sie nur Wun-
der daß er über das Schloß und über den
alten Junker so viel habe reden dörfen.

Andere sagten: der Junker lasse alles sa-
gen, es möge auf Gottes Erdboden seyn
was es wolle, wenn es nur wahr sey.

Etliche behaupteten, es seye keine Pre-
digt gewesen, und b'hüt uns Gott darvor,
es gäbe Mord und Todtschlag, wenn man so
predigte.

Es weist's einer nicht, sagten andre; viel-
leicht gäb's weniger Mord und Todschlag und
weniger Hurerey und Diebstahl, wenn man so
auf der Canzel sagen dörfte, wo Mord und
Todschlag, Hurerey und Diebstahl in einem
jeden Dorf eigentlich hergekommen sind, noch
herkommen und ferner herkommen werden.

Das glaube ich, sagte ein junger Mann,
von dem ich nächstens noch mehr reden werde;
sie ist ja vom Anfang bis zum Ende nichts als

zugegangen; ſie ſezte hinzu, es ſey ihr die
ganze Predigt auf’s Haar geweſen, ſie hoͤre
ihren Großvater wieder reden; ſo habe er
hundert und hundert mal dieſe Sachen uͤber
Tiſch erzaͤhlt; und hundert und hundert mal
ob dem brafen Vorgeſezten, der ſich da noch
allein dieſen Bosheiten wiederſezt, und aber
ins Kayſers Landen ſterben muͤſſen, die hel-
len Thraͤnen vergoſſen.

Ihrer viele ſagten, es nehme ſie nur Wun-
der daß er uͤber das Schloß und uͤber den
alten Junker ſo viel habe reden doͤrfen.

Andere ſagten: der Junker laſſe alles ſa-
gen, es moͤge auf Gottes Erdboden ſeyn
was es wolle, wenn es nur wahr ſey.

Etliche behaupteten, es ſeye keine Pre-
digt geweſen, und b’huͤt uns Gott darvor,
es gaͤbe Mord und Todtſchlag, wenn man ſo
predigte.

Es weiſt’s einer nicht, ſagten andre; viel-
leicht gaͤb’s weniger Mord und Todſchlag und
weniger Hurerey und Diebſtahl, wenn man ſo
auf der Canzel ſagen doͤrfte, wo Mord und
Todſchlag, Hurerey und Diebſtahl in einem
jeden Dorf eigentlich hergekommen ſind, noch
herkommen und ferner herkommen werden.

Das glaube ich, ſagte ein junger Mann,
von dem ich naͤchſtens noch mehr reden werde;
ſie iſt ja vom Anfang bis zum Ende nichts als

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[27/0049] zugegangen; ſie ſezte hinzu, es ſey ihr die ganze Predigt auf’s Haar geweſen, ſie hoͤre ihren Großvater wieder reden; ſo habe er hundert und hundert mal dieſe Sachen uͤber Tiſch erzaͤhlt; und hundert und hundert mal ob dem brafen Vorgeſezten, der ſich da noch allein dieſen Bosheiten wiederſezt, und aber ins Kayſers Landen ſterben muͤſſen, die hel- len Thraͤnen vergoſſen. Ihrer viele ſagten, es nehme ſie nur Wun- der daß er uͤber das Schloß und uͤber den alten Junker ſo viel habe reden doͤrfen. Andere ſagten: der Junker laſſe alles ſa- gen, es moͤge auf Gottes Erdboden ſeyn was es wolle, wenn es nur wahr ſey. Etliche behaupteten, es ſeye keine Pre- digt geweſen, und b’huͤt uns Gott darvor, es gaͤbe Mord und Todtſchlag, wenn man ſo predigte. Es weiſt’s einer nicht, ſagten andre; viel- leicht gaͤb’s weniger Mord und Todſchlag und weniger Hurerey und Diebſtahl, wenn man ſo auf der Canzel ſagen doͤrfte, wo Mord und Todſchlag, Hurerey und Diebſtahl in einem jeden Dorf eigentlich hergekommen ſind, noch herkommen und ferner herkommen werden. Das glaube ich, ſagte ein junger Mann, von dem ich naͤchſtens noch mehr reden werde; ſie iſt ja vom Anfang bis zum Ende nichts als

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/49>, abgerufen am 21.11.2024.