und ihn doch geheirathet habe; aber das Wort erstarrte ihr auf den Lippen, und sprachlos, wie sie, lag er eine Weile auf ihrer Deke.
Denn rafte er sich wieder auf, sah den Pfar- rer an, und fiel auf seinen Schoos.
Die Sterbende sah ihn liegen, und sagte: so wohl kann er nirgend ruhen; und ach, so wohl ruhete er nicht bey mir!
Sie wollte auch noch dem Pfarrer heraus- stammeln, daß er ihr verzeihe! der Mann aber gab ihr diesen Trost ins Grab, indem er noch seine warme Hand auf den grauen Haaren ihres Manns, der noch auf seinem Schoos lag, hielt.
Frau! die Fehler deines Lebens sind nicht so wohl dir als denen zuzuschreiben, die es dulden, daß man die Religion auf eine Art lehre, daß sie den Menschen den Kopf also einnehme und fülle, als ob ihr Wissen alles in allem wäre, und der Mensch denn seine Haushaltung und sein Handwerk, und alles was er seyn und können muß, könne und seye, wenn er sie verstehe.
Aber wie oft muß ich empfinden, ich kann mein Buch nicht schreiben!
Der Blik der Frauen auf diese Rede machte dem Pfarrer das Wort im Maul erstarren.
Wenn ich diesen Blik mahlen könnte, daß man ihn sähe, wie ihn der Pfarrer sah, ich bin wie meines Lebens sicher, man würde lieber den Mund beschliessen.
Aber ich kann ihren Blik nicht mahlen.
und ihn doch geheirathet habe; aber das Wort erſtarrte ihr auf den Lippen, und ſprachlos, wie ſie, lag er eine Weile auf ihrer Deke.
Denn rafte er ſich wieder auf, ſah den Pfar- rer an, und fiel auf ſeinen Schoos.
Die Sterbende ſah ihn liegen, und ſagte: ſo wohl kann er nirgend ruhen; und ach, ſo wohl ruhete er nicht bey mir!
Sie wollte auch noch dem Pfarrer heraus- ſtammeln, daß er ihr verzeihe! der Mann aber gab ihr dieſen Troſt ins Grab, indem er noch ſeine warme Hand auf den grauen Haaren ihres Manns, der noch auf ſeinem Schoos lag, hielt.
Frau! die Fehler deines Lebens ſind nicht ſo wohl dir als denen zuzuſchreiben, die es dulden, daß man die Religion auf eine Art lehre, daß ſie den Menſchen den Kopf alſo einnehme und fuͤlle, als ob ihr Wiſſen alles in allem waͤre, und der Menſch denn ſeine Haushaltung und ſein Handwerk, und alles was er ſeyn und koͤnnen muß, koͤnne und ſeye, wenn er ſie verſtehe.
Aber wie oft muß ich empfinden, ich kann mein Buch nicht ſchreiben!
Der Blik der Frauen auf dieſe Rede machte dem Pfarrer das Wort im Maul erſtarren.
Wenn ich dieſen Blik mahlen koͤnnte, daß man ihn ſaͤhe, wie ihn der Pfarrer ſah, ich bin wie meines Lebens ſicher, man wuͤrde lieber den Mund beſchlieſſen.
Aber ich kann ihren Blik nicht mahlen.
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und ihn doch geheirathet habe; aber das Wort
erſtarrte ihr auf den Lippen, und ſprachlos, wie
ſie, lag er eine Weile auf ihrer Deke.
Denn rafte er ſich wieder auf, ſah den Pfar-
rer an, und fiel auf ſeinen Schoos.
Die Sterbende ſah ihn liegen, und ſagte: ſo
wohl kann er nirgend ruhen; und ach, ſo wohl
ruhete er nicht bey mir!
Sie wollte auch noch dem Pfarrer heraus-
ſtammeln, daß er ihr verzeihe! der Mann aber
gab ihr dieſen Troſt ins Grab, indem er noch
ſeine warme Hand auf den grauen Haaren ihres
Manns, der noch auf ſeinem Schoos lag, hielt.
Frau! die Fehler deines Lebens ſind nicht ſo
wohl dir als denen zuzuſchreiben, die es dulden,
daß man die Religion auf eine Art lehre, daß
ſie den Menſchen den Kopf alſo einnehme und
fuͤlle, als ob ihr Wiſſen alles in allem waͤre, und
der Menſch denn ſeine Haushaltung und ſein
Handwerk, und alles was er ſeyn und koͤnnen
muß, koͤnne und ſeye, wenn er ſie verſtehe.
Aber wie oft muß ich empfinden, ich kann
mein Buch nicht ſchreiben!
Der Blik der Frauen auf dieſe Rede machte
dem Pfarrer das Wort im Maul erſtarren.
Wenn ich dieſen Blik mahlen koͤnnte, daß
man ihn ſaͤhe, wie ihn der Pfarrer ſah, ich bin
wie meines Lebens ſicher, man wuͤrde lieber den
Mund beſchlieſſen.
Aber ich kann ihren Blik nicht mahlen.
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/426>, abgerufen am 27.11.2024.
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