es wäre etwas anders, wenn man sagte, sie sey eine liederliche Frau gewesen, und ein Narr, und habe den lieben Gott zwingen wollen, daß es in der Welt anderst gehe, als es geht, -- und dergleichen. -- Aber daß sie ein Weh an ihr gehabt, oder über ihren Mann solche Kla- gen geführt, und daß er ein Unflath sey, wie man jezt sage, das sey hundertmal nicht wahr, wenn mans auch hundertmal sage. -- Und so wars allenthalben, es kam nichts heraus, als daß es Lügen seyen, und aber Lügen. --
Hingegen vernahm sie durch ihr Nachfor- schen alle Tage neue Umstände von seinem al- ten Elend, von seiner Gedult und seiner Gut- müthigkeit; und das brachte ihr den Rudj jeden Tag näher ans Herz.
Auch merkte die Vögtin allem was sie von ihr hörte, deutlich an, daß es ihr innwendig nicht kommen wollte, wie sie meynte, und daß es überall mit dem Meisterstük, das sie für ih- ren Vetter probiert, so wenig gehen wolle als nichts.
Der feißte Mensch hatte bis jezt nur noch nicht vernommen, daß ihm der Rudj in den Weg kommen sollte. Endlich da es alle Leuthe wußten, kams einmal auch ihm, da er eben unter der Thüre stuhnd, zu Ohren. Er blieb da wohl eine Viertelstund unter der Thüre ste- hen, und hatte das Maul vor Verwunderung
es waͤre etwas anders, wenn man ſagte, ſie ſey eine liederliche Frau geweſen, und ein Narr, und habe den lieben Gott zwingen wollen, daß es in der Welt anderſt gehe, als es geht, — und dergleichen. — Aber daß ſie ein Weh an ihr gehabt, oder uͤber ihren Mann ſolche Kla- gen gefuͤhrt, und daß er ein Unflath ſey, wie man jezt ſage, das ſey hundertmal nicht wahr, wenn mans auch hundertmal ſage. — Und ſo wars allenthalben, es kam nichts heraus, als daß es Luͤgen ſeyen, und aber Luͤgen. —
Hingegen vernahm ſie durch ihr Nachfor- ſchen alle Tage neue Umſtaͤnde von ſeinem al- ten Elend, von ſeiner Gedult und ſeiner Gut- muͤthigkeit; und das brachte ihr den Rudj jeden Tag naͤher ans Herz.
Auch merkte die Voͤgtin allem was ſie von ihr hoͤrte, deutlich an, daß es ihr innwendig nicht kommen wollte, wie ſie meynte, und daß es uͤberall mit dem Meiſterſtuͤk, das ſie fuͤr ih- ren Vetter probiert, ſo wenig gehen wolle als nichts.
Der feißte Menſch hatte bis jezt nur noch nicht vernommen, daß ihm der Rudj in den Weg kommen ſollte. Endlich da es alle Leuthe wußten, kams einmal auch ihm, da er eben unter der Thuͤre ſtuhnd, zu Ohren. Er blieb da wohl eine Viertelſtund unter der Thuͤre ſte- hen, und hatte das Maul vor Verwunderung
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es waͤre etwas anders, wenn man ſagte, ſie
ſey eine liederliche Frau geweſen, und ein Narr,
und habe den lieben Gott zwingen wollen, daß
es in der Welt anderſt gehe, als es geht, —
und dergleichen. — Aber daß ſie ein Weh an
ihr gehabt, oder uͤber ihren Mann ſolche Kla-
gen gefuͤhrt, und daß er ein Unflath ſey, wie
man jezt ſage, das ſey hundertmal nicht wahr,
wenn mans auch hundertmal ſage. — Und ſo
wars allenthalben, es kam nichts heraus, als
daß es Luͤgen ſeyen, und aber Luͤgen. —
Hingegen vernahm ſie durch ihr Nachfor-
ſchen alle Tage neue Umſtaͤnde von ſeinem al-
ten Elend, von ſeiner Gedult und ſeiner Gut-
muͤthigkeit; und das brachte ihr den Rudj jeden
Tag naͤher ans Herz.
Auch merkte die Voͤgtin allem was ſie von
ihr hoͤrte, deutlich an, daß es ihr innwendig
nicht kommen wollte, wie ſie meynte, und daß
es uͤberall mit dem Meiſterſtuͤk, das ſie fuͤr ih-
ren Vetter probiert, ſo wenig gehen wolle als
nichts.
Der feißte Menſch hatte bis jezt nur noch
nicht vernommen, daß ihm der Rudj in den
Weg kommen ſollte. Endlich da es alle Leuthe
wußten, kams einmal auch ihm, da er eben
unter der Thuͤre ſtuhnd, zu Ohren. Er blieb
da wohl eine Viertelſtund unter der Thuͤre ſte-
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/383>, abgerufen am 24.11.2024.
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