werden konnte, wenn er auch selber noch so gern wollte. Die über 60jährige Maschine war vom alten Leben so ausgebraucht, daß sie auf der andern Seite wie gerostet war, und keinen Lauf mehr hatte. Er empfand es auch selber, und wenn er davon redte, brauchte er den Aus- druk: es sey mit ihm nicht anderst als mit einem abgestandenen Wein, so lang man ihn schüttle und rüttle, schiene es wohl, er habe noch etwas Geist, wenn man ihn denn aber nur ein paar Stunden stehen lasse, sey es gleich wieder die abgestandene Lüren.
Es war wirklich, wie er sagte, und ich wüßte ihn auf der Welt nichts besserm zu vergleichen als so einer Lüren; er war so abgestanden daß er oft bey halben Stunden in seiner Stube saß, und das Maul offen hielt, wie wenn er verrükt wäre.
Auch der Hartknopf blieb der Alte. Es war ein Wind, daß er dem Pfarrer in seiner Noth einmahl so recht gab, und selber einzu- sehen schien, er hätte sich mit seinem Maul der Religion gar nichts annehmen, sondern auf seinem Strümpfweberstuhl schaffen, und durch seinen Verdienst und seine Arbeiten ein ehrli- cher Kerl zu werden suchen sollen. Er pro- bierte es wohl ein paar mahl wie es käme, wenn er dem Pfarrer folgte, aber er mochte es nicht mehr erleiden; die Aerme thaten ihm
werden konnte, wenn er auch ſelber noch ſo gern wollte. Die uͤber 60jaͤhrige Maſchine war vom alten Leben ſo ausgebraucht, daß ſie auf der andern Seite wie geroſtet war, und keinen Lauf mehr hatte. Er empfand es auch ſelber, und wenn er davon redte, brauchte er den Aus- druk: es ſey mit ihm nicht anderſt als mit einem abgeſtandenen Wein, ſo lang man ihn ſchuͤttle und ruͤttle, ſchiene es wohl, er habe noch etwas Geiſt, wenn man ihn denn aber nur ein paar Stunden ſtehen laſſe, ſey es gleich wieder die abgeſtandene Luͤren.
Es war wirklich, wie er ſagte, und ich wuͤßte ihn auf der Welt nichts beſſerm zu vergleichen als ſo einer Luͤren; er war ſo abgeſtanden daß er oft bey halben Stunden in ſeiner Stube ſaß, und das Maul offen hielt, wie wenn er verruͤkt waͤre.
Auch der Hartknopf blieb der Alte. Es war ein Wind, daß er dem Pfarrer in ſeiner Noth einmahl ſo recht gab, und ſelber einzu- ſehen ſchien, er haͤtte ſich mit ſeinem Maul der Religion gar nichts annehmen, ſondern auf ſeinem Struͤmpfweberſtuhl ſchaffen, und durch ſeinen Verdienſt und ſeine Arbeiten ein ehrli- cher Kerl zu werden ſuchen ſollen. Er pro- bierte es wohl ein paar mahl wie es kaͤme, wenn er dem Pfarrer folgte, aber er mochte es nicht mehr erleiden; die Aerme thaten ihm
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0373"n="351"/>
werden konnte, wenn er auch ſelber noch ſo gern<lb/>
wollte. Die uͤber 60jaͤhrige Maſchine war vom<lb/>
alten Leben ſo ausgebraucht, daß ſie auf der<lb/>
andern Seite wie geroſtet war, und keinen<lb/>
Lauf mehr hatte. Er empfand es auch ſelber,<lb/>
und wenn er davon redte, brauchte er den Aus-<lb/>
druk: es ſey mit ihm nicht anderſt als mit<lb/>
einem abgeſtandenen Wein, ſo lang man ihn<lb/>ſchuͤttle und ruͤttle, ſchiene es wohl, er habe<lb/>
noch etwas Geiſt, wenn man ihn denn aber<lb/>
nur ein paar Stunden ſtehen laſſe, ſey es gleich<lb/>
wieder die abgeſtandene Luͤren.</p><lb/><p>Es war wirklich, wie er ſagte, und ich wuͤßte<lb/>
ihn auf der Welt nichts beſſerm zu vergleichen<lb/>
als ſo einer Luͤren; er war ſo abgeſtanden daß<lb/>
er oft bey halben Stunden in ſeiner Stube<lb/>ſaß, und das Maul offen hielt, wie wenn er<lb/>
verruͤkt waͤre.</p><lb/><p>Auch der Hartknopf blieb der Alte. Es<lb/>
war ein Wind, daß er dem Pfarrer in ſeiner<lb/>
Noth einmahl ſo recht gab, und ſelber einzu-<lb/>ſehen ſchien, er haͤtte ſich mit ſeinem Maul der<lb/>
Religion gar nichts annehmen, ſondern auf<lb/>ſeinem Struͤmpfweberſtuhl ſchaffen, und durch<lb/>ſeinen Verdienſt und ſeine Arbeiten ein ehrli-<lb/>
cher Kerl zu werden ſuchen ſollen. Er pro-<lb/>
bierte es wohl ein paar mahl wie es kaͤme,<lb/>
wenn er dem Pfarrer folgte, aber er mochte<lb/>
es nicht mehr erleiden; die Aerme thaten ihm<lb/></p></div></body></text></TEI>
[351/0373]
werden konnte, wenn er auch ſelber noch ſo gern
wollte. Die uͤber 60jaͤhrige Maſchine war vom
alten Leben ſo ausgebraucht, daß ſie auf der
andern Seite wie geroſtet war, und keinen
Lauf mehr hatte. Er empfand es auch ſelber,
und wenn er davon redte, brauchte er den Aus-
druk: es ſey mit ihm nicht anderſt als mit
einem abgeſtandenen Wein, ſo lang man ihn
ſchuͤttle und ruͤttle, ſchiene es wohl, er habe
noch etwas Geiſt, wenn man ihn denn aber
nur ein paar Stunden ſtehen laſſe, ſey es gleich
wieder die abgeſtandene Luͤren.
Es war wirklich, wie er ſagte, und ich wuͤßte
ihn auf der Welt nichts beſſerm zu vergleichen
als ſo einer Luͤren; er war ſo abgeſtanden daß
er oft bey halben Stunden in ſeiner Stube
ſaß, und das Maul offen hielt, wie wenn er
verruͤkt waͤre.
Auch der Hartknopf blieb der Alte. Es
war ein Wind, daß er dem Pfarrer in ſeiner
Noth einmahl ſo recht gab, und ſelber einzu-
ſehen ſchien, er haͤtte ſich mit ſeinem Maul der
Religion gar nichts annehmen, ſondern auf
ſeinem Struͤmpfweberſtuhl ſchaffen, und durch
ſeinen Verdienſt und ſeine Arbeiten ein ehrli-
cher Kerl zu werden ſuchen ſollen. Er pro-
bierte es wohl ein paar mahl wie es kaͤme,
wenn er dem Pfarrer folgte, aber er mochte
es nicht mehr erleiden; die Aerme thaten ihm
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/373>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.