Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

hat, seitdem die Tragbahrenhistorie ihm seine
Kundsame vertrieben.

Er klagte auch einem jeden alten Weib, das
bey ihm still stuhnd, wie ihn das plage!

Und da sein Vetter von Audorf, dem er sonst,
wenn er ihm nur den Schatten sah, immer
rühmt, wie gut ers habe, und wie ein grosses
Glük es für ihn sey, daß sein Großvater ehrlich
worden, jezt auf einer Reise ins Oberland bey
ihm zusprach, sieng er an die hellen Thränen zu
weynen, und ihm zu klagen, wie es ihm jezt
gehe, und wie er oft bey ganzen halben Tagen
keine lebendige Seele in seiner Stube sehe.

Der rohe Vetter gab ihm zur Antwort: er
solle nur zu ihnen hinabkommen, und da soll
er den ganzen Tag Leute genug und alles ha-
ben, was er nur wünsche.

Das leuchtete ihm wohl ein, aber es kam
ihm übers Herz, so aller Ehre gute Nacht zu
sagen; doch bey mehrerm Nachdenken, da er
fand, es sey schon aller Ehre gute Nacht ge-
sagt, entschloß er sich innert 14 Tagen das Haus
zu beschliessen, und ins Land hinunter zu zie-
hen, zum Meister Johannes, dem Henker in
Audorf.

Mit dem Hu[m]el kams auch nicht viel anderst;
da sich der Jast, in dem ihn der Pfarrer die ersten
paar Wochen erhalten, nach und nach sezte, so
zeigte es sich alle Tage mehr, daß nichts aus ihm

hat, ſeitdem die Tragbahrenhiſtorie ihm ſeine
Kundſame vertrieben.

Er klagte auch einem jeden alten Weib, das
bey ihm ſtill ſtuhnd, wie ihn das plage!

Und da ſein Vetter von Audorf, dem er ſonſt,
wenn er ihm nur den Schatten ſah, immer
ruͤhmt, wie gut ers habe, und wie ein groſſes
Gluͤk es fuͤr ihn ſey, daß ſein Großvater ehrlich
worden, jezt auf einer Reiſe ins Oberland bey
ihm zuſprach, ſieng er an die hellen Thraͤnen zu
weynen, und ihm zu klagen, wie es ihm jezt
gehe, und wie er oft bey ganzen halben Tagen
keine lebendige Seele in ſeiner Stube ſehe.

Der rohe Vetter gab ihm zur Antwort: er
ſolle nur zu ihnen hinabkommen, und da ſoll
er den ganzen Tag Leute genug und alles ha-
ben, was er nur wuͤnſche.

Das leuchtete ihm wohl ein, aber es kam
ihm uͤbers Herz, ſo aller Ehre gute Nacht zu
ſagen; doch bey mehrerm Nachdenken, da er
fand, es ſey ſchon aller Ehre gute Nacht ge-
ſagt, entſchloß er ſich innert 14 Tagen das Haus
zu beſchlieſſen, und ins Land hinunter zu zie-
hen, zum Meiſter Johannes, dem Henker in
Audorf.

Mit dem Hu[m]el kams auch nicht viel anderſt;
da ſich der Jaſt, in dem ihn der Pfarrer die erſten
paar Wochen erhalten, nach und nach ſezte, ſo
zeigte es ſich alle Tage mehr, daß nichts aus ihm

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0372" n="350"/>
hat, &#x017F;eitdem die Tragbahrenhi&#x017F;torie ihm &#x017F;eine<lb/>
Kund&#x017F;ame vertrieben.</p><lb/>
        <p>Er klagte auch einem jeden alten Weib, das<lb/>
bey ihm &#x017F;till &#x017F;tuhnd, wie ihn das plage!</p><lb/>
        <p>Und da &#x017F;ein Vetter von Audorf, dem er &#x017F;on&#x017F;t,<lb/>
wenn er ihm nur den Schatten &#x017F;ah, immer<lb/>
ru&#x0364;hmt, wie gut ers habe, und wie ein gro&#x017F;&#x017F;es<lb/>
Glu&#x0364;k es fu&#x0364;r ihn &#x017F;ey, daß &#x017F;ein Großvater ehrlich<lb/>
worden, jezt auf einer Rei&#x017F;e ins Oberland bey<lb/>
ihm zu&#x017F;prach, &#x017F;ieng er an die hellen Thra&#x0364;nen zu<lb/>
weynen, und ihm zu klagen, wie es ihm jezt<lb/>
gehe, und wie er oft bey ganzen halben Tagen<lb/>
keine lebendige Seele in &#x017F;einer Stube &#x017F;ehe.</p><lb/>
        <p>Der rohe Vetter gab ihm zur Antwort: er<lb/>
&#x017F;olle nur zu ihnen hinabkommen, und da &#x017F;oll<lb/>
er den ganzen Tag Leute genug und alles ha-<lb/>
ben, was er nur wu&#x0364;n&#x017F;che.</p><lb/>
        <p>Das leuchtete ihm wohl ein, aber es kam<lb/>
ihm u&#x0364;bers Herz, &#x017F;o aller Ehre gute Nacht zu<lb/>
&#x017F;agen; doch bey mehrerm Nachdenken, da er<lb/>
fand, es &#x017F;ey &#x017F;chon aller Ehre gute Nacht ge-<lb/>
&#x017F;agt, ent&#x017F;chloß er &#x017F;ich innert 14 Tagen das Haus<lb/>
zu be&#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;en, und ins Land hinunter zu zie-<lb/>
hen, zum Mei&#x017F;ter Johannes, dem Henker in<lb/>
Audorf.</p><lb/>
        <p>Mit dem Hu<supplied>m</supplied>el kams auch nicht viel ander&#x017F;t;<lb/>
da &#x017F;ich der Ja&#x017F;t, in dem ihn der Pfarrer die er&#x017F;ten<lb/>
paar Wochen erhalten, nach und nach &#x017F;ezte, &#x017F;o<lb/>
zeigte es &#x017F;ich alle Tage mehr, daß nichts aus ihm<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[350/0372] hat, ſeitdem die Tragbahrenhiſtorie ihm ſeine Kundſame vertrieben. Er klagte auch einem jeden alten Weib, das bey ihm ſtill ſtuhnd, wie ihn das plage! Und da ſein Vetter von Audorf, dem er ſonſt, wenn er ihm nur den Schatten ſah, immer ruͤhmt, wie gut ers habe, und wie ein groſſes Gluͤk es fuͤr ihn ſey, daß ſein Großvater ehrlich worden, jezt auf einer Reiſe ins Oberland bey ihm zuſprach, ſieng er an die hellen Thraͤnen zu weynen, und ihm zu klagen, wie es ihm jezt gehe, und wie er oft bey ganzen halben Tagen keine lebendige Seele in ſeiner Stube ſehe. Der rohe Vetter gab ihm zur Antwort: er ſolle nur zu ihnen hinabkommen, und da ſoll er den ganzen Tag Leute genug und alles ha- ben, was er nur wuͤnſche. Das leuchtete ihm wohl ein, aber es kam ihm uͤbers Herz, ſo aller Ehre gute Nacht zu ſagen; doch bey mehrerm Nachdenken, da er fand, es ſey ſchon aller Ehre gute Nacht ge- ſagt, entſchloß er ſich innert 14 Tagen das Haus zu beſchlieſſen, und ins Land hinunter zu zie- hen, zum Meiſter Johannes, dem Henker in Audorf. Mit dem Humel kams auch nicht viel anderſt; da ſich der Jaſt, in dem ihn der Pfarrer die erſten paar Wochen erhalten, nach und nach ſezte, ſo zeigte es ſich alle Tage mehr, daß nichts aus ihm

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/372
Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/372>, abgerufen am 23.11.2024.