Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

fen Volk den andern Leuthen im Dorf das Blut
so leicht warm machet, ein Wort verlohr.

So wahr ist es, daß man die Menschen vom
Irrthum abzuführen, nicht die Worte der Tho-
ren widerlegen, sondern den Geist ihrer Thor-
heit in ihnen auslöschen muß.

Es hilft nichts zum sehen, die Nacht zu be-
schreiben, und die schwarze Farbe ihrer Schat-
ten zu mahlen: nur wenn du das Licht anzün-
dest, kannst du zeigen was die Nacht war, und
nur wenn du den Staaren stichst, was die Blind-
heit gewesen.

Recht sehen und hören ist der erste Schritt
zur Weisheit des Lebens; und Rechnen ist das
Band der Natur, das uns im forschen nach
Wahrheit vor Irrthum bewahrt, und die
Grundsäule der Ruhe und des Wohlstands,
den nur ein bedächtliches und sorgfältiges Be-
rufsleben den Kindern der Menschen bescheret.

Daher war meinem Lieutenant auch nichts
so wichtig, als seine Kinder wohl rechnen zu
lehren, und er sagte: der Kopf gehe dem Men-
schen nicht recht auf, wenn er nicht entweder
durch viele grosse Erfahrungen oder durch Zah-
lenübungen, welche diese Erfahrungen zum
Theil ersezen, eine Richtung erhalte, die dem
Fassen und Festhalten dessen was wahr ist, an-
gemessen.

Aber die Art wie er sie rechnen lehrte, ist

fen Volk den andern Leuthen im Dorf das Blut
ſo leicht warm machet, ein Wort verlohr.

So wahr iſt es, daß man die Menſchen vom
Irrthum abzufuͤhren, nicht die Worte der Tho-
ren widerlegen, ſondern den Geiſt ihrer Thor-
heit in ihnen ausloͤſchen muß.

Es hilft nichts zum ſehen, die Nacht zu be-
ſchreiben, und die ſchwarze Farbe ihrer Schat-
ten zu mahlen: nur wenn du das Licht anzuͤn-
deſt, kannſt du zeigen was die Nacht war, und
nur wenn du den Staaren ſtichſt, was die Blind-
heit geweſen.

Recht ſehen und hoͤren iſt der erſte Schritt
zur Weisheit des Lebens; und Rechnen iſt das
Band der Natur, das uns im forſchen nach
Wahrheit vor Irrthum bewahrt, und die
Grundſaͤule der Ruhe und des Wohlſtands,
den nur ein bedaͤchtliches und ſorgfaͤltiges Be-
rufsleben den Kindern der Menſchen beſcheret.

Daher war meinem Lieutenant auch nichts
ſo wichtig, als ſeine Kinder wohl rechnen zu
lehren, und er ſagte: der Kopf gehe dem Men-
ſchen nicht recht auf, wenn er nicht entweder
durch viele groſſe Erfahrungen oder durch Zah-
lenuͤbungen, welche dieſe Erfahrungen zum
Theil erſezen, eine Richtung erhalte, die dem
Faſſen und Feſthalten deſſen was wahr iſt, an-
gemeſſen.

Aber die Art wie er ſie rechnen lehrte, iſt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0328" n="306"/>
fen Volk den andern Leuthen im Dorf das Blut<lb/>
&#x017F;o leicht warm machet, ein Wort verlohr.</p><lb/>
        <p>So wahr i&#x017F;t es, daß man die Men&#x017F;chen vom<lb/>
Irrthum abzufu&#x0364;hren, nicht die Worte der Tho-<lb/>
ren widerlegen, &#x017F;ondern den Gei&#x017F;t ihrer Thor-<lb/>
heit in ihnen auslo&#x0364;&#x017F;chen muß.</p><lb/>
        <p>Es hilft nichts zum &#x017F;ehen, die Nacht zu be-<lb/>
&#x017F;chreiben, und die &#x017F;chwarze Farbe ihrer Schat-<lb/>
ten zu mahlen: nur wenn du das Licht anzu&#x0364;n-<lb/>
de&#x017F;t, kann&#x017F;t du zeigen was die Nacht war, und<lb/>
nur wenn du den Staaren &#x017F;tich&#x017F;t, was die Blind-<lb/>
heit gewe&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Recht &#x017F;ehen und ho&#x0364;ren i&#x017F;t der er&#x017F;te Schritt<lb/>
zur Weisheit des Lebens; und Rechnen i&#x017F;t das<lb/>
Band der Natur, das uns im for&#x017F;chen nach<lb/>
Wahrheit vor Irrthum bewahrt, und die<lb/>
Grund&#x017F;a&#x0364;ule der Ruhe und des Wohl&#x017F;tands,<lb/>
den nur ein beda&#x0364;chtliches und &#x017F;orgfa&#x0364;ltiges Be-<lb/>
rufsleben den Kindern der Men&#x017F;chen be&#x017F;cheret.</p><lb/>
        <p>Daher war meinem Lieutenant auch nichts<lb/>
&#x017F;o wichtig, als &#x017F;eine Kinder wohl rechnen zu<lb/>
lehren, und er &#x017F;agte: der Kopf gehe dem Men-<lb/>
&#x017F;chen nicht recht auf, wenn er nicht entweder<lb/>
durch viele gro&#x017F;&#x017F;e Erfahrungen oder durch Zah-<lb/>
lenu&#x0364;bungen, welche die&#x017F;e Erfahrungen zum<lb/>
Theil er&#x017F;ezen, eine Richtung erhalte, die dem<lb/>
Fa&#x017F;&#x017F;en und Fe&#x017F;thalten de&#x017F;&#x017F;en was wahr i&#x017F;t, an-<lb/>
geme&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Aber die Art wie er &#x017F;ie rechnen lehrte, i&#x017F;t<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[306/0328] fen Volk den andern Leuthen im Dorf das Blut ſo leicht warm machet, ein Wort verlohr. So wahr iſt es, daß man die Menſchen vom Irrthum abzufuͤhren, nicht die Worte der Tho- ren widerlegen, ſondern den Geiſt ihrer Thor- heit in ihnen ausloͤſchen muß. Es hilft nichts zum ſehen, die Nacht zu be- ſchreiben, und die ſchwarze Farbe ihrer Schat- ten zu mahlen: nur wenn du das Licht anzuͤn- deſt, kannſt du zeigen was die Nacht war, und nur wenn du den Staaren ſtichſt, was die Blind- heit geweſen. Recht ſehen und hoͤren iſt der erſte Schritt zur Weisheit des Lebens; und Rechnen iſt das Band der Natur, das uns im forſchen nach Wahrheit vor Irrthum bewahrt, und die Grundſaͤule der Ruhe und des Wohlſtands, den nur ein bedaͤchtliches und ſorgfaͤltiges Be- rufsleben den Kindern der Menſchen beſcheret. Daher war meinem Lieutenant auch nichts ſo wichtig, als ſeine Kinder wohl rechnen zu lehren, und er ſagte: der Kopf gehe dem Men- ſchen nicht recht auf, wenn er nicht entweder durch viele groſſe Erfahrungen oder durch Zah- lenuͤbungen, welche dieſe Erfahrungen zum Theil erſezen, eine Richtung erhalte, die dem Faſſen und Feſthalten deſſen was wahr iſt, an- gemeſſen. Aber die Art wie er ſie rechnen lehrte, iſt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/328
Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/328>, abgerufen am 24.11.2024.