Daß aber die Erlösung der Menschheit von ihren Uebeln, von Gottes wegen so stark an das gebunden seye, als man es zu glauben scheine, dünkte ihn, wie er die Sache ansah, vollends eine Lästerung.
Der gute Mann war aber allem viel Wort machen überhaupt im eigentlichen Verstand übel an, und hatte mit seiner lieben Frauen ob nichts in der Welt Streit, als wenn sie ihm mit zehen Worten anbrachte, was sie mit zweyen hätte sagen können.
Um die Wahrheit zu gestehen, so war dieser Gram über alles Wortmachen nichts weni- ger als pure reine Weisheit in meinem Mann, sondern so etwas, das man sonst an den Leu- then ihre Menschlichkeit heißt; es artete auch manchmal wirklich in eine Unduldsamkeit, und Ungefälligkeit aus, die nebst dem Sonderba- ren und Unachtsamen in seinem Aeussern die linke Seite des Manns ausmacht, und daher kam, daß in seiner Jugend sein Herz ohne Er- fahrung und Menschenkenntniß gelassen wor- den, und er daher lange von einem jeden, der sein Maul wohl brauchen konnte, am Seil herum geführt wurde, und in seinen zwanzi- ger Jahren um sein Brod, um seine Braut, und um die Freuden seines Lebens gekommen.
Wer ihm alles raubte, war ein Geistlicher, der eben dardurch, daß er vortreflich predigen
Daß aber die Erloͤſung der Menſchheit von ihren Uebeln, von Gottes wegen ſo ſtark an das gebunden ſeye, als man es zu glauben ſcheine, duͤnkte ihn, wie er die Sache anſah, vollends eine Laͤſterung.
Der gute Mann war aber allem viel Wort machen uͤberhaupt im eigentlichen Verſtand uͤbel an, und hatte mit ſeiner lieben Frauen ob nichts in der Welt Streit, als wenn ſie ihm mit zehen Worten anbrachte, was ſie mit zweyen haͤtte ſagen koͤnnen.
Um die Wahrheit zu geſtehen, ſo war dieſer Gram uͤber alles Wortmachen nichts weni- ger als pure reine Weisheit in meinem Mann, ſondern ſo etwas, das man ſonſt an den Leu- then ihre Menſchlichkeit heißt; es artete auch manchmal wirklich in eine Unduldſamkeit, und Ungefaͤlligkeit aus, die nebſt dem Sonderba- ren und Unachtſamen in ſeinem Aeuſſern die linke Seite des Manns ausmacht, und daher kam, daß in ſeiner Jugend ſein Herz ohne Er- fahrung und Menſchenkenntniß gelaſſen wor- den, und er daher lange von einem jeden, der ſein Maul wohl brauchen konnte, am Seil herum gefuͤhrt wurde, und in ſeinen zwanzi- ger Jahren um ſein Brod, um ſeine Braut, und um die Freuden ſeines Lebens gekommen.
Wer ihm alles raubte, war ein Geiſtlicher, der eben dardurch, daß er vortreflich predigen
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0298"n="276"/><p>Daß aber die Erloͤſung der Menſchheit von<lb/>
ihren Uebeln, von Gottes wegen ſo ſtark an<lb/>
das gebunden ſeye, als man es zu glauben<lb/>ſcheine, duͤnkte ihn, wie er die Sache anſah,<lb/>
vollends eine Laͤſterung.</p><lb/><p>Der gute Mann war aber allem viel Wort<lb/>
machen uͤberhaupt im eigentlichen Verſtand<lb/>
uͤbel an, und hatte mit ſeiner lieben Frauen<lb/>
ob nichts in der Welt Streit, als wenn ſie ihm<lb/>
mit zehen Worten anbrachte, was ſie mit<lb/>
zweyen haͤtte ſagen koͤnnen.</p><lb/><p>Um die Wahrheit zu geſtehen, ſo war dieſer<lb/>
Gram uͤber alles Wortmachen nichts weni-<lb/>
ger als pure reine Weisheit in meinem Mann,<lb/>ſondern ſo etwas, das man ſonſt an den Leu-<lb/>
then ihre Menſchlichkeit heißt; es artete auch<lb/>
manchmal wirklich in eine Unduldſamkeit, und<lb/>
Ungefaͤlligkeit aus, die nebſt dem Sonderba-<lb/>
ren und Unachtſamen in ſeinem Aeuſſern die<lb/>
linke Seite des Manns ausmacht, und daher<lb/>
kam, daß in ſeiner Jugend ſein Herz ohne Er-<lb/>
fahrung und Menſchenkenntniß gelaſſen wor-<lb/>
den, und er daher lange von einem jeden, der<lb/>ſein Maul wohl brauchen konnte, am Seil<lb/>
herum gefuͤhrt wurde, und in ſeinen zwanzi-<lb/>
ger Jahren um ſein Brod, um ſeine Braut,<lb/>
und um die Freuden ſeines Lebens gekommen.</p><lb/><p>Wer ihm alles raubte, war ein Geiſtlicher,<lb/>
der eben dardurch, daß er vortreflich predigen<lb/></p></div></body></text></TEI>
[276/0298]
Daß aber die Erloͤſung der Menſchheit von
ihren Uebeln, von Gottes wegen ſo ſtark an
das gebunden ſeye, als man es zu glauben
ſcheine, duͤnkte ihn, wie er die Sache anſah,
vollends eine Laͤſterung.
Der gute Mann war aber allem viel Wort
machen uͤberhaupt im eigentlichen Verſtand
uͤbel an, und hatte mit ſeiner lieben Frauen
ob nichts in der Welt Streit, als wenn ſie ihm
mit zehen Worten anbrachte, was ſie mit
zweyen haͤtte ſagen koͤnnen.
Um die Wahrheit zu geſtehen, ſo war dieſer
Gram uͤber alles Wortmachen nichts weni-
ger als pure reine Weisheit in meinem Mann,
ſondern ſo etwas, das man ſonſt an den Leu-
then ihre Menſchlichkeit heißt; es artete auch
manchmal wirklich in eine Unduldſamkeit, und
Ungefaͤlligkeit aus, die nebſt dem Sonderba-
ren und Unachtſamen in ſeinem Aeuſſern die
linke Seite des Manns ausmacht, und daher
kam, daß in ſeiner Jugend ſein Herz ohne Er-
fahrung und Menſchenkenntniß gelaſſen wor-
den, und er daher lange von einem jeden, der
ſein Maul wohl brauchen konnte, am Seil
herum gefuͤhrt wurde, und in ſeinen zwanzi-
ger Jahren um ſein Brod, um ſeine Braut,
und um die Freuden ſeines Lebens gekommen.
Wer ihm alles raubte, war ein Geiſtlicher,
der eben dardurch, daß er vortreflich predigen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/298>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.