Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785.

Bild:
<< vorherige Seite

Meyerin. Es weißt einer nicht, eine ge-
wisse Feißte hindert doch sicher an vielem.

Vögtin. Du weist nicht, was du anbrin-
gen willst, aber es ist doch besser gesund und
reich und feißt seyn, als arm, mager, und
schwindsüchtig --

Meyerin. Das ist gewiß wahr.

Vögtin. Aber du erkennst es nicht, und
ich sehe wohl du bist am einten Ort blind,
und am andern sihest mehr als da ist.

Meyerin. -- Aber wenn du etwa den
Rudj meyntest, so ist er doch weder schwind-
süchtig noch arm.

Vögtin. Ich möchte nicht reden, wenn
du ihm die Schwindsucht nicht ansiehest.

Meyerin. Ich sehe sie ihm einmal nicht an.

Vögtin. Nu, ich kann dich nicht sehen ma-
chen, was du nicht sehen willst; -- aber mit
der Armuth, -- wenn du etwa meynst, seine
Matte sey etwas, so must wissen: es sind fünf
Kinder da, und das Weibergut fort.

Meyerin. Die Matte ist unter Brüdern
3000 Gulden werth, und es ist nicht 500
Gulden Muttergut da gewesen.

Vögtin. Ich möcht von 3000 Gulden nicht
reden; wenn des Hummels seine Wirthshaus
und Mezggülle (Jauche) nicht mehr auf die
Matte kommt, du wirst sehen, wie sie ab-

N 3

Meyerin. Es weißt einer nicht, eine ge-
wiſſe Feißte hindert doch ſicher an vielem.

Voͤgtin. Du weiſt nicht, was du anbrin-
gen willſt, aber es iſt doch beſſer geſund und
reich und feißt ſeyn, als arm, mager, und
ſchwindſuͤchtig —

Meyerin. Das iſt gewiß wahr.

Voͤgtin. Aber du erkennſt es nicht, und
ich ſehe wohl du biſt am einten Ort blind,
und am andern ſiheſt mehr als da iſt.

Meyerin. — Aber wenn du etwa den
Rudj meynteſt, ſo iſt er doch weder ſchwind-
ſuͤchtig noch arm.

Voͤgtin. Ich moͤchte nicht reden, wenn
du ihm die Schwindſucht nicht anſieheſt.

Meyerin. Ich ſehe ſie ihm einmal nicht an.

Voͤgtin. Nu, ich kann dich nicht ſehen ma-
chen, was du nicht ſehen willſt; — aber mit
der Armuth, — wenn du etwa meynſt, ſeine
Matte ſey etwas, ſo muſt wiſſen: es ſind fuͤnf
Kinder da, und das Weibergut fort.

Meyerin. Die Matte iſt unter Bruͤdern
3000 Gulden werth, und es iſt nicht 500
Gulden Muttergut da geweſen.

Voͤgtin. Ich moͤcht von 3000 Gulden nicht
reden; wenn des Hummels ſeine Wirthshaus
und Mezgguͤlle (Jauche) nicht mehr auf die
Matte kommt, du wirſt ſehen, wie ſie ab-

N 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0219" n="197"/>
        <p><hi rendition="#fr">Meyerin</hi>. Es weißt einer nicht, eine ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;e Feißte hindert doch &#x017F;icher an vielem.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#fr">Vo&#x0364;gtin</hi>. Du wei&#x017F;t nicht, was du anbrin-<lb/>
gen will&#x017F;t, aber es i&#x017F;t doch be&#x017F;&#x017F;er ge&#x017F;und und<lb/>
reich und feißt &#x017F;eyn, als arm, mager, und<lb/>
&#x017F;chwind&#x017F;u&#x0364;chtig &#x2014;</p><lb/>
        <p><hi rendition="#fr">Meyerin</hi>. Das i&#x017F;t gewiß wahr.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#fr">Vo&#x0364;gtin</hi>. Aber du erkenn&#x017F;t es nicht, und<lb/>
ich &#x017F;ehe wohl du bi&#x017F;t am einten Ort blind,<lb/>
und am andern &#x017F;ihe&#x017F;t mehr als da i&#x017F;t.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#fr">Meyerin</hi>. &#x2014; Aber wenn du etwa den<lb/>
Rudj meynte&#x017F;t, &#x017F;o i&#x017F;t er doch weder &#x017F;chwind-<lb/>
&#x017F;u&#x0364;chtig noch arm.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#fr">Vo&#x0364;gtin</hi>. Ich mo&#x0364;chte nicht reden, wenn<lb/>
du ihm die Schwind&#x017F;ucht nicht an&#x017F;iehe&#x017F;t.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#fr">Meyerin</hi>. Ich &#x017F;ehe &#x017F;ie ihm einmal nicht an.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#fr">Vo&#x0364;gtin</hi>. Nu, ich kann dich nicht &#x017F;ehen ma-<lb/>
chen, was du nicht &#x017F;ehen will&#x017F;t; &#x2014; aber mit<lb/>
der Armuth, &#x2014; wenn du etwa meyn&#x017F;t, &#x017F;eine<lb/>
Matte &#x017F;ey etwas, &#x017F;o mu&#x017F;t wi&#x017F;&#x017F;en: es &#x017F;ind fu&#x0364;nf<lb/>
Kinder da, und das Weibergut fort.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#fr">Meyerin</hi>. Die Matte i&#x017F;t unter Bru&#x0364;dern<lb/>
3000 Gulden werth, und es i&#x017F;t nicht 500<lb/>
Gulden Muttergut da gewe&#x017F;en.</p><lb/>
        <p><hi rendition="#fr">Vo&#x0364;gtin</hi>. Ich mo&#x0364;cht von 3000 Gulden nicht<lb/>
reden; wenn des Hummels &#x017F;eine Wirthshaus<lb/>
und Mezggu&#x0364;lle (Jauche) nicht mehr auf die<lb/>
Matte kommt, du wir&#x017F;t &#x017F;ehen, wie &#x017F;ie ab-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">N 3</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[197/0219] Meyerin. Es weißt einer nicht, eine ge- wiſſe Feißte hindert doch ſicher an vielem. Voͤgtin. Du weiſt nicht, was du anbrin- gen willſt, aber es iſt doch beſſer geſund und reich und feißt ſeyn, als arm, mager, und ſchwindſuͤchtig — Meyerin. Das iſt gewiß wahr. Voͤgtin. Aber du erkennſt es nicht, und ich ſehe wohl du biſt am einten Ort blind, und am andern ſiheſt mehr als da iſt. Meyerin. — Aber wenn du etwa den Rudj meynteſt, ſo iſt er doch weder ſchwind- ſuͤchtig noch arm. Voͤgtin. Ich moͤchte nicht reden, wenn du ihm die Schwindſucht nicht anſieheſt. Meyerin. Ich ſehe ſie ihm einmal nicht an. Voͤgtin. Nu, ich kann dich nicht ſehen ma- chen, was du nicht ſehen willſt; — aber mit der Armuth, — wenn du etwa meynſt, ſeine Matte ſey etwas, ſo muſt wiſſen: es ſind fuͤnf Kinder da, und das Weibergut fort. Meyerin. Die Matte iſt unter Bruͤdern 3000 Gulden werth, und es iſt nicht 500 Gulden Muttergut da geweſen. Voͤgtin. Ich moͤcht von 3000 Gulden nicht reden; wenn des Hummels ſeine Wirthshaus und Mezgguͤlle (Jauche) nicht mehr auf die Matte kommt, du wirſt ſehen, wie ſie ab- N 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/219
Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/219>, abgerufen am 27.11.2024.