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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785.

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Alles was am Tisch war, mußte vor Lachen
den Bauch halten über das G'hinder, H'at-
terland und 'altet euch wohl: das der Lieu-
tenant, so viel er aus dem Hals vermochte,
ausschrie.

Der Pfarrer lachte nicht: Ernst, wie der
Tod, sagte er: wir Pfarrer sind auch solche
Oberste, wenn wir einem armen, an Leib und
Seel unversorgten Volk in den Tag hinein
Predigten vorsagen, und Kinder, die sichtbar
ohne Erziehung und Hilfe, einem elenden
Leben entgegen gehen, in den Tag hinein un-
terrichten oder mit Worten abspeisen: es ge-
het mir durch Mark und Bein -- es ist bis auf
den Schreyer-Ausdruk der Worte: Kinder,
König, Vaterland, -- die gleiche Sache,
wenn man mit einem leeren Wortunterricht
das unversorgte Volk auf den ewigen König
und auf das ewige Vaterland hinweißt, und
ihm eben so zuruft, haltet euch wohl. -- Am
Ende sagte er: was mich tröstet, ist, wir sind
meistens auch nicht Schuld -- und viele von
uns thäten gewiß mehr wenn sie könnten:
aber ewig ist es wahr, der Schade ist nicht
abzusehen, daß man den Unterricht und den
Trost der Menschen so sehr an vieles Wort-
brauchen bindet.

Ja, ja, -- sagt der Lieutenant; Thaten
lehren den Menschen, und Thaten trösten ihn

Alles was am Tiſch war, mußte vor Lachen
den Bauch halten uͤber das G’hinder, H’at-
terland und ’altet euch wohl: das der Lieu-
tenant, ſo viel er aus dem Hals vermochte,
ausſchrie.

Der Pfarrer lachte nicht: Ernſt, wie der
Tod, ſagte er: wir Pfarrer ſind auch ſolche
Oberſte, wenn wir einem armen, an Leib und
Seel unverſorgten Volk in den Tag hinein
Predigten vorſagen, und Kinder, die ſichtbar
ohne Erziehung und Hilfe, einem elenden
Leben entgegen gehen, in den Tag hinein un-
terrichten oder mit Worten abſpeiſen: es ge-
het mir durch Mark und Bein — es iſt bis auf
den Schreyer-Ausdruk der Worte: Kinder,
Koͤnig, Vaterland, — die gleiche Sache,
wenn man mit einem leeren Wortunterricht
das unverſorgte Volk auf den ewigen Koͤnig
und auf das ewige Vaterland hinweißt, und
ihm eben ſo zuruft, haltet euch wohl. — Am
Ende ſagte er: was mich troͤſtet, iſt, wir ſind
meiſtens auch nicht Schuld — und viele von
uns thaͤten gewiß mehr wenn ſie koͤnnten:
aber ewig iſt es wahr, der Schade iſt nicht
abzuſehen, daß man den Unterricht und den
Troſt der Menſchen ſo ſehr an vieles Wort-
brauchen bindet.

Ja, ja, — ſagt der Lieutenant; Thaten
lehren den Menſchen, und Thaten troͤſten ihn

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[78/0100] Alles was am Tiſch war, mußte vor Lachen den Bauch halten uͤber das G’hinder, H’at- terland und ’altet euch wohl: das der Lieu- tenant, ſo viel er aus dem Hals vermochte, ausſchrie. Der Pfarrer lachte nicht: Ernſt, wie der Tod, ſagte er: wir Pfarrer ſind auch ſolche Oberſte, wenn wir einem armen, an Leib und Seel unverſorgten Volk in den Tag hinein Predigten vorſagen, und Kinder, die ſichtbar ohne Erziehung und Hilfe, einem elenden Leben entgegen gehen, in den Tag hinein un- terrichten oder mit Worten abſpeiſen: es ge- het mir durch Mark und Bein — es iſt bis auf den Schreyer-Ausdruk der Worte: Kinder, Koͤnig, Vaterland, — die gleiche Sache, wenn man mit einem leeren Wortunterricht das unverſorgte Volk auf den ewigen Koͤnig und auf das ewige Vaterland hinweißt, und ihm eben ſo zuruft, haltet euch wohl. — Am Ende ſagte er: was mich troͤſtet, iſt, wir ſind meiſtens auch nicht Schuld — und viele von uns thaͤten gewiß mehr wenn ſie koͤnnten: aber ewig iſt es wahr, der Schade iſt nicht abzuſehen, daß man den Unterricht und den Troſt der Menſchen ſo ſehr an vieles Wort- brauchen bindet. Ja, ja, — ſagt der Lieutenant; Thaten lehren den Menſchen, und Thaten troͤſten ihn

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. Bd. 3. Frankfurt (Main) u. a., 1785, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard03_1785/100>, abgerufen am 27.11.2024.