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Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783.

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arme Mensch vor euch leidet, und je mehr
ich seinem Leben nachdenke, je mehr weiß
ich in Beziehung auf mich nichts zu sagen,
als: ich will Gott danken, daß Er nicht
solche Versuchungen über mein Haupt ge-
häuffet, wie diejenigen waren, unter denen
dieser arme Mann lebte.

Jch will Gott danken, daß Er mir einen
Vater und eine Mutter gegeben, die mich
in Zucht und Ehren erzogen, und Arbeit
und Ordnung liebhaben gelehrt.

Jch will Gott danken, daß ich kein Vogt
und kein Waibel worden, und mein Brod
in keinem Beruf suchen müssen, in welchem
man täglich so viel Bedrükendes gegen seine
Mitmenschen thun muß.

Jch will Gott danken, daß ich von Jugend
auf unter besseren und frömmern Menschen
gelebt, und nicht von Kindsbeinen auf so viel
Beyspiele der Thorheit, der Unordnung, der
Gedankenlosigkeit und Niederträchtigkeit vor
meinen Augen hatte.

O Gott! auf meine Knie will ich fallen,
und dich anbethen, daß deine Welt mir im-
mer in einem reinen und bessern Licht vor Au-
gen gestanden, und mich ruhiger, glüklicher,
und seliger bildete, als diesen Mann, der
noch in den Tagen seines Alters, und seiner
Entkräftung, von den Folgen seiner Thorhei-

ten,

arme Menſch vor euch leidet, und je mehr
ich ſeinem Leben nachdenke, je mehr weiß
ich in Beziehung auf mich nichts zu ſagen,
als: ich will Gott danken, daß Er nicht
ſolche Verſuchungen uͤber mein Haupt ge-
haͤuffet, wie diejenigen waren, unter denen
dieſer arme Mann lebte.

Jch will Gott danken, daß Er mir einen
Vater und eine Mutter gegeben, die mich
in Zucht und Ehren erzogen, und Arbeit
und Ordnung liebhaben gelehrt.

Jch will Gott danken, daß ich kein Vogt
und kein Waibel worden, und mein Brod
in keinem Beruf ſuchen muͤſſen, in welchem
man taͤglich ſo viel Bedruͤkendes gegen ſeine
Mitmenſchen thun muß.

Jch will Gott danken, daß ich von Jugend
auf unter beſſeren und froͤmmern Menſchen
gelebt, und nicht von Kindsbeinen auf ſo viel
Beyſpiele der Thorheit, der Unordnung, der
Gedankenloſigkeit und Niedertraͤchtigkeit vor
meinen Augen hatte.

O Gott! auf meine Knie will ich fallen,
und dich anbethen, daß deine Welt mir im-
mer in einem reinen und beſſern Licht vor Au-
gen geſtanden, und mich ruhiger, gluͤklicher,
und ſeliger bildete, als dieſen Mann, der
noch in den Tagen ſeines Alters, und ſeiner
Entkraͤftung, von den Folgen ſeiner Thorhei-

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[351/0369] arme Menſch vor euch leidet, und je mehr ich ſeinem Leben nachdenke, je mehr weiß ich in Beziehung auf mich nichts zu ſagen, als: ich will Gott danken, daß Er nicht ſolche Verſuchungen uͤber mein Haupt ge- haͤuffet, wie diejenigen waren, unter denen dieſer arme Mann lebte. Jch will Gott danken, daß Er mir einen Vater und eine Mutter gegeben, die mich in Zucht und Ehren erzogen, und Arbeit und Ordnung liebhaben gelehrt. Jch will Gott danken, daß ich kein Vogt und kein Waibel worden, und mein Brod in keinem Beruf ſuchen muͤſſen, in welchem man taͤglich ſo viel Bedruͤkendes gegen ſeine Mitmenſchen thun muß. Jch will Gott danken, daß ich von Jugend auf unter beſſeren und froͤmmern Menſchen gelebt, und nicht von Kindsbeinen auf ſo viel Beyſpiele der Thorheit, der Unordnung, der Gedankenloſigkeit und Niedertraͤchtigkeit vor meinen Augen hatte. O Gott! auf meine Knie will ich fallen, und dich anbethen, daß deine Welt mir im- mer in einem reinen und beſſern Licht vor Au- gen geſtanden, und mich ruhiger, gluͤklicher, und ſeliger bildete, als dieſen Mann, der noch in den Tagen ſeines Alters, und ſeiner Entkraͤftung, von den Folgen ſeiner Thorhei- ten,

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Zitationshilfe: Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/369>, abgerufen am 21.11.2024.