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Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783.

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wüthen, ohne mehr zu denken, wohin das
führe, was er thue.

Aber wenn es dann so weit mit einem
Menschen kommt, so ist er dem End seiner
Laufbahn nahe.

Der Vogt verstieß izt seinen Kopf an ei-
nem armen Maurer, da er hundertmal die
ganze Gemeind an die Wand gestellt, wie
wenn sie nichts wäre.

Jch will euch die Geschichte seiner lezten
Tagen nicht wiederholen, ihr wisset sie alle
-- nur das will ich noch sagen, daß ihm der
Gedanke, dem Junker den Markstein zu ver-
sezen, in währendem Nachtmahl zu Sinn
gekommen -- und dann, daß er bis ein paar
Augenblik vor der That nichts weniger ge-
glaubt, als daß er im Stand sey zu thun,
was er gethan. -- Er sagt auch izt noch,
wenn man ihm eine Viertelstund vorher ge-
sagt, er werde dem liebsten Mann, den er
in der Welt habe, das Messer in Leib stos-
sen, oder den Junker in der Audienzstuben
umbringen, er hätte das alles hundertmal
eher möglich geglaubt, als daß er im Stand
seyn sollte, die Forcht zu überwinden, und
Nachts am 12. Uhr in Wald zu gehen, ei-
nen Markstein zu versezen. --

Und doch hat ers gethan, und leidet izt
die Straffe der That, deren er sich vor kur-
zem noch nicht fähig geglaubt.

Lie-

wuͤthen, ohne mehr zu denken, wohin das
fuͤhre, was er thue.

Aber wenn es dann ſo weit mit einem
Menſchen kommt, ſo iſt er dem End ſeiner
Laufbahn nahe.

Der Vogt verſtieß izt ſeinen Kopf an ei-
nem armen Maurer, da er hundertmal die
ganze Gemeind an die Wand geſtellt, wie
wenn ſie nichts waͤre.

Jch will euch die Geſchichte ſeiner lezten
Tagen nicht wiederholen, ihr wiſſet ſie alle
— nur das will ich noch ſagen, daß ihm der
Gedanke, dem Junker den Markſtein zu ver-
ſezen, in waͤhrendem Nachtmahl zu Sinn
gekommen — und dann, daß er bis ein paar
Augenblik vor der That nichts weniger ge-
glaubt, als daß er im Stand ſey zu thun,
was er gethan. — Er ſagt auch izt noch,
wenn man ihm eine Viertelſtund vorher ge-
ſagt, er werde dem liebſten Mann, den er
in der Welt habe, das Meſſer in Leib ſtoſ-
ſen, oder den Junker in der Audienzſtuben
umbringen, er haͤtte das alles hundertmal
eher moͤglich geglaubt, als daß er im Stand
ſeyn ſollte, die Forcht zu uͤberwinden, und
Nachts am 12. Uhr in Wald zu gehen, ei-
nen Markſtein zu verſezen. —

Und doch hat ers gethan, und leidet izt
die Straffe der That, deren er ſich vor kur-
zem noch nicht faͤhig geglaubt.

Lie-
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[344/0362] wuͤthen, ohne mehr zu denken, wohin das fuͤhre, was er thue. Aber wenn es dann ſo weit mit einem Menſchen kommt, ſo iſt er dem End ſeiner Laufbahn nahe. Der Vogt verſtieß izt ſeinen Kopf an ei- nem armen Maurer, da er hundertmal die ganze Gemeind an die Wand geſtellt, wie wenn ſie nichts waͤre. Jch will euch die Geſchichte ſeiner lezten Tagen nicht wiederholen, ihr wiſſet ſie alle — nur das will ich noch ſagen, daß ihm der Gedanke, dem Junker den Markſtein zu ver- ſezen, in waͤhrendem Nachtmahl zu Sinn gekommen — und dann, daß er bis ein paar Augenblik vor der That nichts weniger ge- glaubt, als daß er im Stand ſey zu thun, was er gethan. — Er ſagt auch izt noch, wenn man ihm eine Viertelſtund vorher ge- ſagt, er werde dem liebſten Mann, den er in der Welt habe, das Meſſer in Leib ſtoſ- ſen, oder den Junker in der Audienzſtuben umbringen, er haͤtte das alles hundertmal eher moͤglich geglaubt, als daß er im Stand ſeyn ſollte, die Forcht zu uͤberwinden, und Nachts am 12. Uhr in Wald zu gehen, ei- nen Markſtein zu verſezen. — Und doch hat ers gethan, und leidet izt die Straffe der That, deren er ſich vor kur- zem noch nicht faͤhig geglaubt. Lie-

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Zitationshilfe: Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/362>, abgerufen am 21.11.2024.