Stund nicht sicher, daß er uns um Haus und Hof bringt." Der Vogt that selbst, als ob er es nicht gehört, und machte die Vorgesezten das Zeugsame unterschreiben, und das Datum 2. Monat früher sezen.
Die offentliche Gerechtigkeit war nun in seiner Hand, und er brauchte sie fast immer zum Schuz derer, die Unrecht hatten, da- mit er sich einen Anhang machte von Leuten, die ihn förchten müßen, um mit diesen die- jenigen zu unterdrüken, die ihm entgegen wären.
Weit und breit ward nicht so viel gestoh- len als bey uns, aber sint dem er Vogt war, war fast Niemand abgestraft -- und er machte sich groß damit, "Wenn er 5. Jahre früher Vogt gewesen, so wäre dem Ueli u. vielen andern gewiß nicht begegnet, was ih- nen begegnet." Er erschwerte immer den Leidenden den Beweis wider den Frefler -- dem Schwachen den Beweis wider den Ge- waltthätigen, und dem Bestohlnen wider den Dieb. -- Er zog den Klagenden auf, bis der Beklagte entrunnen, und der Frefel bedekt war. Wenn der Kläger den ganzen Tag auf ihn wartete, so ware er nicht da- heim, aber die Nacht durch stuhnd dem Schelmen für Rath und That sein Haus offen. Was du mit deinen Augen sahest,
muß-
Stund nicht ſicher, daß er uns um Haus und Hof bringt.“ Der Vogt that ſelbſt, als ob er es nicht gehoͤrt, und machte die Vorgeſezten das Zeugſame unterſchreiben, und das Datum 2. Monat fruͤher ſezen.
Die offentliche Gerechtigkeit war nun in ſeiner Hand, und er brauchte ſie faſt im̃er zum Schuz derer, die Unrecht hatten, da- mit er ſich einen Anhang machte von Leuten, die ihn foͤrchten muͤßen, um mit dieſen die- jenigen zu unterdruͤken, die ihm entgegen waͤren.
Weit und breit ward nicht ſo viel geſtoh- len als bey uns, aber ſint dem er Vogt war, war faſt Niemand abgeſtraft — und er machte ſich groß damit, „Wenn er 5. Jahre fruͤher Vogt geweſen, ſo waͤre dem Ueli u. vielen andern gewiß nicht begegnet, was ih- nen begegnet.“ Er erſchwerte immer den Leidenden den Beweis wider den Frefler — dem Schwachen den Beweis wider den Ge- waltthaͤtigen, und dem Beſtohlnen wider den Dieb. — Er zog den Klagenden auf, bis der Beklagte entrunnen, und der Frefel bedekt war. Wenn der Klaͤger den ganzen Tag auf ihn wartete, ſo ware er nicht da- heim, aber die Nacht durch ſtuhnd dem Schelmen fuͤr Rath und That ſein Haus offen. Was du mit deinen Augen ſaheſt,
muß-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0304"n="286"/>
Stund nicht ſicher, daß er uns um Haus<lb/>
und Hof bringt.“ Der Vogt that ſelbſt,<lb/>
als ob er es nicht gehoͤrt, und machte die<lb/>
Vorgeſezten das Zeugſame unterſchreiben,<lb/>
und das Datum 2. Monat fruͤher ſezen.</p><lb/><p>Die offentliche Gerechtigkeit war nun in<lb/>ſeiner Hand, und er brauchte ſie faſt im̃er<lb/>
zum Schuz derer, die Unrecht hatten, da-<lb/>
mit er ſich einen Anhang machte von Leuten,<lb/>
die ihn foͤrchten muͤßen, um mit dieſen die-<lb/>
jenigen zu unterdruͤken, die ihm entgegen<lb/>
waͤren.</p><lb/><p>Weit und breit ward nicht ſo viel geſtoh-<lb/>
len als bey uns, aber ſint dem er Vogt war,<lb/>
war faſt Niemand abgeſtraft — und er<lb/>
machte ſich groß damit, „Wenn er 5. Jahre<lb/>
fruͤher Vogt geweſen, ſo waͤre dem Ueli u.<lb/>
vielen andern gewiß nicht begegnet, was ih-<lb/>
nen begegnet.“ Er erſchwerte immer den<lb/>
Leidenden den Beweis wider den Frefler —<lb/>
dem Schwachen den Beweis wider den Ge-<lb/>
waltthaͤtigen, und dem Beſtohlnen wider<lb/>
den Dieb. — Er zog den Klagenden auf,<lb/>
bis der Beklagte entrunnen, und der Frefel<lb/>
bedekt war. Wenn der Klaͤger den ganzen<lb/>
Tag auf ihn wartete, ſo ware er nicht da-<lb/>
heim, aber die Nacht durch ſtuhnd dem<lb/>
Schelmen fuͤr Rath und That ſein Haus<lb/>
offen. Was du mit deinen Augen ſaheſt,<lb/><fwplace="bottom"type="catch">muß-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[286/0304]
Stund nicht ſicher, daß er uns um Haus
und Hof bringt.“ Der Vogt that ſelbſt,
als ob er es nicht gehoͤrt, und machte die
Vorgeſezten das Zeugſame unterſchreiben,
und das Datum 2. Monat fruͤher ſezen.
Die offentliche Gerechtigkeit war nun in
ſeiner Hand, und er brauchte ſie faſt im̃er
zum Schuz derer, die Unrecht hatten, da-
mit er ſich einen Anhang machte von Leuten,
die ihn foͤrchten muͤßen, um mit dieſen die-
jenigen zu unterdruͤken, die ihm entgegen
waͤren.
Weit und breit ward nicht ſo viel geſtoh-
len als bey uns, aber ſint dem er Vogt war,
war faſt Niemand abgeſtraft — und er
machte ſich groß damit, „Wenn er 5. Jahre
fruͤher Vogt geweſen, ſo waͤre dem Ueli u.
vielen andern gewiß nicht begegnet, was ih-
nen begegnet.“ Er erſchwerte immer den
Leidenden den Beweis wider den Frefler —
dem Schwachen den Beweis wider den Ge-
waltthaͤtigen, und dem Beſtohlnen wider
den Dieb. — Er zog den Klagenden auf,
bis der Beklagte entrunnen, und der Frefel
bedekt war. Wenn der Klaͤger den ganzen
Tag auf ihn wartete, ſo ware er nicht da-
heim, aber die Nacht durch ſtuhnd dem
Schelmen fuͤr Rath und That ſein Haus
offen. Was du mit deinen Augen ſaheſt,
muß-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/304>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.