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Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783.

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Dem Stiefkinde: Es sey himmelschreyend,
was für einen Unterschied seine Eltern zwi-
schen ihm und den andern machen.

Dem Knecht, der einen guten Meister
hatte: Es sey gut, aber doch auch nicht im-
mer, bey einem Esel dienen.

Dem, der einen strengen hatte: Wenn du
dich beym Teufel verdinget hättest, du hät-
test es nicht schlimmer, als bey deinem
Meister.

Und so auch der Magd, wenn sie ihre
Meisterleute rühmte, oder wenn sie selbige
schalt. -- Und so auch dem Weib, wenn
es seinen Mann lobte, und wenn es ihn
schalt.

Aber allemal kam das Lied, wenn sie dann
vertraulich worden, am End dahinaus: Du
bist ein Narr -- oder eine Närrin, daß du
dir nicht selber hilfst -- an deinem Plaz
würde ich lachen, und dieß und das thun --
das allemal deutsch sagen wollte, "stihl --
was man dir nicht giebt, und bring's mir."

Ach! die Lehre ward so wohl verstanden,
daß unser Volk ein Schelmenvolk, und un-
sere Haushaltungen elend geworden.

Die Kinder aus der Schul nahmen ihren
Eltern was sie konnten, und brachtens ihm
-- Die Eheleuthe stahlen sich selbst das
Jhre, und brachtens ihm -- Die Dienste

nah-
S 2

Dem Stiefkinde: Es ſey himmelſchreyend,
was fuͤr einen Unterſchied ſeine Eltern zwi-
ſchen ihm und den andern machen.

Dem Knecht, der einen guten Meiſter
hatte: Es ſey gut, aber doch auch nicht im-
mer, bey einem Eſel dienen.

Dem, der einen ſtrengen hatte: Wenn du
dich beym Teufel verdinget haͤtteſt, du haͤt-
teſt es nicht ſchlimmer, als bey deinem
Meiſter.

Und ſo auch der Magd, wenn ſie ihre
Meiſterleute ruͤhmte, oder wenn ſie ſelbige
ſchalt. — Und ſo auch dem Weib, wenn
es ſeinen Mann lobte, und wenn es ihn
ſchalt.

Aber allemal kam das Lied, wenn ſie dann
vertraulich worden, am End dahinaus: Du
biſt ein Narr — oder eine Naͤrrin, daß du
dir nicht ſelber hilfſt — an deinem Plaz
wuͤrde ich lachen, und dieß und das thun —
das allemal deutſch ſagen wollte, „ſtihl —
was man dir nicht giebt, und bring's mir.“

Ach! die Lehre ward ſo wohl verſtanden,
daß unſer Volk ein Schelmenvolk, und un-
ſere Haushaltungen elend geworden.

Die Kinder aus der Schul nahmen ihren
Eltern was ſie konnten, und brachtens ihm
— Die Eheleuthe ſtahlen ſich ſelbſt das
Jhre, und brachtens ihm — Die Dienſte

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S 2
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[275/0293] Dem Stiefkinde: Es ſey himmelſchreyend, was fuͤr einen Unterſchied ſeine Eltern zwi- ſchen ihm und den andern machen. Dem Knecht, der einen guten Meiſter hatte: Es ſey gut, aber doch auch nicht im- mer, bey einem Eſel dienen. Dem, der einen ſtrengen hatte: Wenn du dich beym Teufel verdinget haͤtteſt, du haͤt- teſt es nicht ſchlimmer, als bey deinem Meiſter. Und ſo auch der Magd, wenn ſie ihre Meiſterleute ruͤhmte, oder wenn ſie ſelbige ſchalt. — Und ſo auch dem Weib, wenn es ſeinen Mann lobte, und wenn es ihn ſchalt. Aber allemal kam das Lied, wenn ſie dann vertraulich worden, am End dahinaus: Du biſt ein Narr — oder eine Naͤrrin, daß du dir nicht ſelber hilfſt — an deinem Plaz wuͤrde ich lachen, und dieß und das thun — das allemal deutſch ſagen wollte, „ſtihl — was man dir nicht giebt, und bring's mir.“ Ach! die Lehre ward ſo wohl verſtanden, daß unſer Volk ein Schelmenvolk, und un- ſere Haushaltungen elend geworden. Die Kinder aus der Schul nahmen ihren Eltern was ſie konnten, und brachtens ihm — Die Eheleuthe ſtahlen ſich ſelbſt das Jhre, und brachtens ihm — Die Dienſte nah- S 2

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Zitationshilfe: Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/293>, abgerufen am 28.09.2024.