Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783.

Bild:
<< vorherige Seite

"Und du bist Siegrist" -- erwiederte der
Michel.

Der Vogt aber sagte: "Es ist nicht mög-
lich, wir müssens anzeigen." -- Und dann
giengen sie zum Schulmeister.

Dieser hatte anstatt einer Kuh, die er
hatte, ihrer zwo angegeben -- Er wollte
deßnahen den Vogt und seine Leute auch fast
gar nicht in den Stall hinein lassen: als er
aber zulezt mußte, sagte er: "Jä, ich hab
einmal meine einte Kuh nicht mehr; sie ist
gestern fort."

"Aber ich habe sie doch schon vor acht
Tagen fortführen gesehen," sagte der Hü-
nerträger.

Schulmstr. Du hast gewiß eine andre
für meine angesehen; meine ist keine 4. Tage
fort, und denn wußte ichs nur nicht; meine
Frau hat den Stall unter den Händen.

Vogt. Das ist izt gleichviel -- wir kön-
nen dir einmal izt nur eine aufschreiben,
weil nur eine da ist.

Schulmstr. Wenn sie doch auch nur ein
paar Tag fort ist?

Michel u. Vogt. Wir können da nicht
eintreten.

Schulmstr. Jhr wißt auch wenig, was
es heißt: Barmherzigkeit erweisen.

Mi-

„Und du biſt Siegriſt“ — erwiederte der
Michel.

Der Vogt aber ſagte: „Es iſt nicht moͤg-
lich, wir muͤſſens anzeigen.“ — Und dann
giengen ſie zum Schulmeiſter.

Dieſer hatte anſtatt einer Kuh, die er
hatte, ihrer zwo angegeben — Er wollte
deßnahen den Vogt und ſeine Leute auch faſt
gar nicht in den Stall hinein laſſen: als er
aber zulezt mußte, ſagte er: „Jaͤ, ich hab
einmal meine einte Kuh nicht mehr; ſie iſt
geſtern fort.“

„Aber ich habe ſie doch ſchon vor acht
Tagen fortfuͤhren geſehen,“ ſagte der Huͤ-
nertraͤger.

Schulmſtr. Du haſt gewiß eine andre
fuͤr meine angeſehen; meine iſt keine 4. Tage
fort, und denn wußte ichs nur nicht; meine
Frau hat den Stall unter den Haͤnden.

Vogt. Das iſt izt gleichviel — wir koͤn-
nen dir einmal izt nur eine aufſchreiben,
weil nur eine da iſt.

Schulmſtr. Wenn ſie doch auch nur ein
paar Tag fort iſt?

Michel u. Vogt. Wir koͤnnen da nicht
eintreten.

Schulmſtr. Jhr wißt auch wenig, was
es heißt: Barmherzigkeit erweiſen.

Mi-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0188" n="170"/>
          <p>&#x201E;Und du bi&#x017F;t Siegri&#x017F;t&#x201C; &#x2014; erwiederte der<lb/>
Michel.</p><lb/>
          <p>Der Vogt aber &#x017F;agte: &#x201E;Es i&#x017F;t nicht mo&#x0364;g-<lb/>
lich, wir mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;ens anzeigen.&#x201C; &#x2014; Und dann<lb/>
giengen &#x017F;ie zum Schulmei&#x017F;ter.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;er hatte an&#x017F;tatt einer Kuh, die er<lb/>
hatte, ihrer zwo angegeben &#x2014; Er wollte<lb/>
deßnahen den Vogt und &#x017F;eine Leute auch fa&#x017F;t<lb/>
gar nicht in den Stall hinein la&#x017F;&#x017F;en: als er<lb/>
aber zulezt mußte, &#x017F;agte er: &#x201E;Ja&#x0364;, ich hab<lb/>
einmal meine einte Kuh nicht mehr; &#x017F;ie i&#x017F;t<lb/>
ge&#x017F;tern fort.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Aber ich habe &#x017F;ie doch &#x017F;chon vor acht<lb/>
Tagen fortfu&#x0364;hren ge&#x017F;ehen,&#x201C; &#x017F;agte der Hu&#x0364;-<lb/>
nertra&#x0364;ger.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Schulm&#x017F;tr.</hi> Du ha&#x017F;t gewiß eine andre<lb/>
fu&#x0364;r meine ange&#x017F;ehen; meine i&#x017F;t keine 4. Tage<lb/>
fort, und denn wußte ichs nur nicht; meine<lb/>
Frau hat den Stall unter den Ha&#x0364;nden.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Vogt.</hi> Das i&#x017F;t izt gleichviel &#x2014; wir ko&#x0364;n-<lb/>
nen dir einmal izt nur eine auf&#x017F;chreiben,<lb/>
weil nur eine da i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Schulm&#x017F;tr.</hi> Wenn &#x017F;ie doch auch nur ein<lb/>
paar Tag fort i&#x017F;t?</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Michel u. Vogt.</hi> Wir ko&#x0364;nnen da nicht<lb/>
eintreten.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Schulm&#x017F;tr.</hi> Jhr wißt auch wenig, was<lb/>
es heißt: Barmherzigkeit erwei&#x017F;en.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#fr">Mi-</hi> </fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[170/0188] „Und du biſt Siegriſt“ — erwiederte der Michel. Der Vogt aber ſagte: „Es iſt nicht moͤg- lich, wir muͤſſens anzeigen.“ — Und dann giengen ſie zum Schulmeiſter. Dieſer hatte anſtatt einer Kuh, die er hatte, ihrer zwo angegeben — Er wollte deßnahen den Vogt und ſeine Leute auch faſt gar nicht in den Stall hinein laſſen: als er aber zulezt mußte, ſagte er: „Jaͤ, ich hab einmal meine einte Kuh nicht mehr; ſie iſt geſtern fort.“ „Aber ich habe ſie doch ſchon vor acht Tagen fortfuͤhren geſehen,“ ſagte der Huͤ- nertraͤger. Schulmſtr. Du haſt gewiß eine andre fuͤr meine angeſehen; meine iſt keine 4. Tage fort, und denn wußte ichs nur nicht; meine Frau hat den Stall unter den Haͤnden. Vogt. Das iſt izt gleichviel — wir koͤn- nen dir einmal izt nur eine aufſchreiben, weil nur eine da iſt. Schulmſtr. Wenn ſie doch auch nur ein paar Tag fort iſt? Michel u. Vogt. Wir koͤnnen da nicht eintreten. Schulmſtr. Jhr wißt auch wenig, was es heißt: Barmherzigkeit erweiſen. Mi-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/188
Zitationshilfe: Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/188>, abgerufen am 24.11.2024.