Schon beym Aufgang der Sonne stand er im Pfarrhof neben seinem Pfarrer. -- Die ersten Strahlen glänzten auf der Thräne des Manns, der sanft und mild gegen sie hinsah, und sagte: "Gott geb', daß ich sie heut mit leichtem Herzen untergehen sehe!" -- Das geb' Gott! erwiederte sein Pfarrer, und auch er hatte eine Thräne im Auge. --
Dann redeten sie von den Geschäften des Tages, und vom Hummel, wie er izt alles so ganz anderst ansehe als vorher, und wie seine Erfahrungen ihm mitten durch seine Thorheiten und Laster einen so großen Wahr- heitssinn ertheilt, daß der Pfarrer hundert- mal darob erstaunen müßte.
Sie kamen auch auf die Obstbäume zu reden, welche der alte Junker schon vor mehr als zwanzig Jahren auf dem Bonna- ler Riedt gepflanzt, und der Gemeind ver- ehrt, die aber alle serben und nirgends hin wollen.
Der Hummel hatte nämlich dem Pfarrer gestern gesagt, es fehle da gar nicht am Bo- den, sonder nur an der Besorgung, und man solle die Bäume nur unter Leute aus- theilen, die Obst nöthig haben, so werden sie bald groß und schön seyn.
Der Junker verwunderte sich über die Ausgaben, die jährlich für das Riedt der
Ge-
Schon beym Aufgang der Sonne ſtand er im Pfarrhof neben ſeinem Pfarrer. — Die erſten Strahlen glaͤnzten auf der Thraͤne des Manns, der ſanft und mild gegen ſie hinſah, und ſagte: „Gott geb', daß ich ſie heut mit leichtem Herzen untergehen ſehe!“ — Das geb' Gott! erwiederte ſein Pfarrer, und auch er hatte eine Thraͤne im Auge. —
Dann redeten ſie von den Geſchaͤften des Tages, und vom Hummel, wie er izt alles ſo ganz anderſt anſehe als vorher, und wie ſeine Erfahrungen ihm mitten durch ſeine Thorheiten und Laſter einen ſo großen Wahr- heitsſinn ertheilt, daß der Pfarrer hundert- mal darob erſtaunen muͤßte.
Sie kamen auch auf die Obſtbaͤume zu reden, welche der alte Junker ſchon vor mehr als zwanzig Jahren auf dem Bonna- ler Riedt gepflanzt, und der Gemeind ver- ehrt, die aber alle ſerben und nirgends hin wollen.
Der Hummel hatte naͤmlich dem Pfarrer geſtern geſagt, es fehle da gar nicht am Bo- den, ſonder nur an der Beſorgung, und man ſolle die Baͤume nur unter Leute aus- theilen, die Obſt noͤthig haben, ſo werden ſie bald groß und ſchoͤn ſeyn.
Der Junker verwunderte ſich uͤber die Ausgaben, die jaͤhrlich fuͤr das Riedt der
Ge-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0161"n="143"/><p>Schon beym Aufgang der Sonne ſtand er<lb/>
im Pfarrhof neben ſeinem Pfarrer. — Die<lb/>
erſten Strahlen glaͤnzten auf der Thraͤne des<lb/>
Manns, der ſanft und mild gegen ſie hinſah,<lb/>
und ſagte: „Gott geb', daß ich ſie heut mit<lb/>
leichtem Herzen untergehen ſehe!“— Das<lb/>
geb' Gott! erwiederte ſein Pfarrer, und<lb/>
auch er hatte eine Thraͤne im Auge. —</p><lb/><p>Dann redeten ſie von den Geſchaͤften des<lb/>
Tages, und vom Hummel, wie er izt alles<lb/>ſo ganz anderſt anſehe als vorher, und wie<lb/>ſeine Erfahrungen ihm mitten durch ſeine<lb/>
Thorheiten und Laſter einen ſo großen Wahr-<lb/>
heitsſinn ertheilt, daß der Pfarrer hundert-<lb/>
mal darob erſtaunen muͤßte.</p><lb/><p>Sie kamen auch auf die Obſtbaͤume zu<lb/>
reden, welche der alte Junker ſchon vor<lb/>
mehr als zwanzig Jahren auf dem Bonna-<lb/>
ler Riedt gepflanzt, und der Gemeind ver-<lb/>
ehrt, die aber alle ſerben und nirgends hin<lb/>
wollen.</p><lb/><p>Der Hummel hatte naͤmlich dem Pfarrer<lb/>
geſtern geſagt, es fehle da gar nicht am Bo-<lb/>
den, ſonder nur an der Beſorgung, und<lb/>
man ſolle die Baͤume nur unter Leute aus-<lb/>
theilen, die Obſt noͤthig haben, ſo werden<lb/>ſie bald groß und ſchoͤn ſeyn.</p><lb/><p>Der Junker verwunderte ſich uͤber die<lb/>
Ausgaben, die jaͤhrlich fuͤr das Riedt der<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Ge-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[143/0161]
Schon beym Aufgang der Sonne ſtand er
im Pfarrhof neben ſeinem Pfarrer. — Die
erſten Strahlen glaͤnzten auf der Thraͤne des
Manns, der ſanft und mild gegen ſie hinſah,
und ſagte: „Gott geb', daß ich ſie heut mit
leichtem Herzen untergehen ſehe!“ — Das
geb' Gott! erwiederte ſein Pfarrer, und
auch er hatte eine Thraͤne im Auge. —
Dann redeten ſie von den Geſchaͤften des
Tages, und vom Hummel, wie er izt alles
ſo ganz anderſt anſehe als vorher, und wie
ſeine Erfahrungen ihm mitten durch ſeine
Thorheiten und Laſter einen ſo großen Wahr-
heitsſinn ertheilt, daß der Pfarrer hundert-
mal darob erſtaunen muͤßte.
Sie kamen auch auf die Obſtbaͤume zu
reden, welche der alte Junker ſchon vor
mehr als zwanzig Jahren auf dem Bonna-
ler Riedt gepflanzt, und der Gemeind ver-
ehrt, die aber alle ſerben und nirgends hin
wollen.
Der Hummel hatte naͤmlich dem Pfarrer
geſtern geſagt, es fehle da gar nicht am Bo-
den, ſonder nur an der Beſorgung, und
man ſolle die Baͤume nur unter Leute aus-
theilen, die Obſt noͤthig haben, ſo werden
ſie bald groß und ſchoͤn ſeyn.
Der Junker verwunderte ſich uͤber die
Ausgaben, die jaͤhrlich fuͤr das Riedt der
Ge-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/161>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.