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Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783.

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und von den Ursachen aller Unordnungen im
Dorf zeigte, brachte den Junker dahin, daß
er mit einem Zutrauen mit ihm redte, wel-
ches vermögend gewesen wäre, aus dem Mi-
chel einen brafen Kerl zu machen, wenn ers
nicht schon gewesen wäre.

Er fragte ihn einst mitten im Gespräch
über diese tausenderley Bosheiten, warum
es auch so schwer sey, die Leute von einem
so unglüklichen Leben abzubringen?

Der Michel antwortete ihm: "Der Mensch
ist immer mit gar vielen Fäden an sein Leben
angebunden, und es braucht gar viel, ihm
neue anzuspinnen, die ihn so stark als die al-
ten auf eine andre Seite hinziehen."

Diese Antwort frappierte den Junker, daß
er sich einen Augenblik von ihm wegkehrte,
und dieselbe von Wort zu Wort wiederhollte:
"Es ist wahr, sagte er zu sich selbst, die Fä-
den, womit ein Verbrecher an sein altes Le-
ben angebunden, abzuschneiden, und ihm
neue anzuspinnen, die ihn zu einem bessern
führen, ist das einige Mittel, den Verbre-
cher zu bessern; und es ist wahr, wenn man
dieses Mittel nicht braucht, so ist alles, was
man sonst an ihm thut, wie ein Tropfen
Wasser ins Meer.

Er redete noch über eine Stunde mit ihm,
u. ließ sich besonders die Geschichte mit dem

Ge-

und von den Urſachen aller Unordnungen im
Dorf zeigte, brachte den Junker dahin, daß
er mit einem Zutrauen mit ihm redte, wel-
ches vermoͤgend geweſen waͤre, aus dem Mi-
chel einen brafen Kerl zu machen, wenn ers
nicht ſchon geweſen waͤre.

Er fragte ihn einſt mitten im Geſpraͤch
uͤber dieſe tauſenderley Bosheiten, warum
es auch ſo ſchwer ſey, die Leute von einem
ſo ungluͤklichen Leben abzubringen?

Der Michel antwortete ihm: „Der Menſch
iſt immer mit gar vielen Faͤden an ſein Leben
angebunden, und es braucht gar viel, ihm
neue anzuſpinnen, die ihn ſo ſtark als die al-
ten auf eine andre Seite hinziehen.“

Dieſe Antwort frappierte den Junker, daß
er ſich einen Augenblik von ihm wegkehrte,
und dieſelbe von Wort zu Wort wiederhollte:
„Es iſt wahr, ſagte er zu ſich ſelbſt, die Faͤ-
den, womit ein Verbrecher an ſein altes Le-
ben angebunden, abzuſchneiden, und ihm
neue anzuſpinnen, die ihn zu einem beſſern
fuͤhren, iſt das einige Mittel, den Verbre-
cher zu beſſern; und es iſt wahr, wenn man
dieſes Mittel nicht braucht, ſo iſt alles, was
man ſonſt an ihm thut, wie ein Tropfen
Waſſer ins Meer.

Er redete noch uͤber eine Stunde mit ihm,
u. ließ ſich beſonders die Geſchichte mit dem

Ge-
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[124/0142] und von den Urſachen aller Unordnungen im Dorf zeigte, brachte den Junker dahin, daß er mit einem Zutrauen mit ihm redte, wel- ches vermoͤgend geweſen waͤre, aus dem Mi- chel einen brafen Kerl zu machen, wenn ers nicht ſchon geweſen waͤre. Er fragte ihn einſt mitten im Geſpraͤch uͤber dieſe tauſenderley Bosheiten, warum es auch ſo ſchwer ſey, die Leute von einem ſo ungluͤklichen Leben abzubringen? Der Michel antwortete ihm: „Der Menſch iſt immer mit gar vielen Faͤden an ſein Leben angebunden, und es braucht gar viel, ihm neue anzuſpinnen, die ihn ſo ſtark als die al- ten auf eine andre Seite hinziehen.“ Dieſe Antwort frappierte den Junker, daß er ſich einen Augenblik von ihm wegkehrte, und dieſelbe von Wort zu Wort wiederhollte: „Es iſt wahr, ſagte er zu ſich ſelbſt, die Faͤ- den, womit ein Verbrecher an ſein altes Le- ben angebunden, abzuſchneiden, und ihm neue anzuſpinnen, die ihn zu einem beſſern fuͤhren, iſt das einige Mittel, den Verbre- cher zu beſſern; und es iſt wahr, wenn man dieſes Mittel nicht braucht, ſo iſt alles, was man ſonſt an ihm thut, wie ein Tropfen Waſſer ins Meer. Er redete noch uͤber eine Stunde mit ihm, u. ließ ſich beſonders die Geſchichte mit dem Ge-

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Zitationshilfe: Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/142>, abgerufen am 24.11.2024.