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Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783.

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uns nicht nach unserer Missethat: -- Lob-
preise den Namen des Herrn -- Seine
Barmherzigkeit ist groß gegen dich, und er
hat dir Hülffe gesendet in den Stunden, wo
du keine Hülffe hattest, und von der Hand
derer, die du elend gemacht, giebt er dir das
Brod deines Alters -- Steh izt auf, Vogt,
und höre, was ich dir sagen muß: Der
Mann da, dessen Aug noch voll Thränen
ist, ob dem Leiden seiner Mutter, und ob
dem grausammen Wort, das du noch an ih-
rem Todestage gegen sie geredet, der gute
Rudi, den du so elend gemacht, will dein
Freund seyn, so lang du lebst, und seinen
Wohlstand, den du ihm so lang vorenthal-
ten, wie ein Bruder mit dir theilen -- denk
Vogt! Er versichert dir, so lang du lebst,
die Freyheit, alle Jahr für eine Kuh Som-
mer- und Winterfutter ab seiner Matten neh-
men zu dörffen.

Der Rudi bestättigte, was der Pfarrer
sagte, und sezte noch hinzu: So lang er und
seine Frau oder eines von beyden, welches
es ist, lebt, so lang soll es gelten.

Der Vogt konnte nicht reden: Es war zu
viel; Er stammelte an Worten -- nicht zu
danken, sondern auszudrüken, wie unwürdig
er sey, und wie erschreklich er sich an ihnen
versündiget, und war in einem Zustand, daß

der

uns nicht nach unſerer Miſſethat: — Lob-
preiſe den Namen des Herrn — Seine
Barmherzigkeit iſt groß gegen dich, und er
hat dir Huͤlffe geſendet in den Stunden, wo
du keine Huͤlffe hatteſt, und von der Hand
derer, die du elend gemacht, giebt er dir das
Brod deines Alters — Steh izt auf, Vogt,
und hoͤre, was ich dir ſagen muß: Der
Mann da, deſſen Aug noch voll Thraͤnen
iſt, ob dem Leiden ſeiner Mutter, und ob
dem grauſammen Wort, das du noch an ih-
rem Todestage gegen ſie geredet, der gute
Rudi, den du ſo elend gemacht, will dein
Freund ſeyn, ſo lang du lebſt, und ſeinen
Wohlſtand, den du ihm ſo lang vorenthal-
ten, wie ein Bruder mit dir theilen — denk
Vogt! Er verſichert dir, ſo lang du lebſt,
die Freyheit, alle Jahr fuͤr eine Kuh Som-
mer- und Winterfutter ab ſeiner Matten neh-
men zu doͤrffen.

Der Rudi beſtaͤttigte, was der Pfarrer
ſagte, und ſezte noch hinzu: So lang er und
ſeine Frau oder eines von beyden, welches
es iſt, lebt, ſo lang ſoll es gelten.

Der Vogt konnte nicht reden: Es war zu
viel; Er ſtammelte an Worten — nicht zu
danken, ſondern auszudruͤken, wie unwuͤrdig
er ſey, und wie erſchreklich er ſich an ihnen
verſuͤndiget, und war in einem Zuſtand, daß

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[102/0120] uns nicht nach unſerer Miſſethat: — Lob- preiſe den Namen des Herrn — Seine Barmherzigkeit iſt groß gegen dich, und er hat dir Huͤlffe geſendet in den Stunden, wo du keine Huͤlffe hatteſt, und von der Hand derer, die du elend gemacht, giebt er dir das Brod deines Alters — Steh izt auf, Vogt, und hoͤre, was ich dir ſagen muß: Der Mann da, deſſen Aug noch voll Thraͤnen iſt, ob dem Leiden ſeiner Mutter, und ob dem grauſammen Wort, das du noch an ih- rem Todestage gegen ſie geredet, der gute Rudi, den du ſo elend gemacht, will dein Freund ſeyn, ſo lang du lebſt, und ſeinen Wohlſtand, den du ihm ſo lang vorenthal- ten, wie ein Bruder mit dir theilen — denk Vogt! Er verſichert dir, ſo lang du lebſt, die Freyheit, alle Jahr fuͤr eine Kuh Som- mer- und Winterfutter ab ſeiner Matten neh- men zu doͤrffen. Der Rudi beſtaͤttigte, was der Pfarrer ſagte, und ſezte noch hinzu: So lang er und ſeine Frau oder eines von beyden, welches es iſt, lebt, ſo lang ſoll es gelten. Der Vogt konnte nicht reden: Es war zu viel; Er ſtammelte an Worten — nicht zu danken, ſondern auszudruͤken, wie unwuͤrdig er ſey, und wie erſchreklich er ſich an ihnen verſuͤndiget, und war in einem Zuſtand, daß der

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Zitationshilfe: Pestalozzi, Johann Heinrich: Lienhard und Gertrud. Bd. 2. Frankfurt (Main) u. a., 1783, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard02_1783/120>, abgerufen am 23.11.2024.