§. 65. Daß es auch beym niedrigsten Volk eine Delicatesse gebe, selbst bey der Annah- me von Wohlthaten, um die sie bit- ten.
Wüst zitterte, da er dem Pfarrer das Geld ab- nahm; dankte und sagte: Aber den Bündel nehme ich gewiß nicht heim, Herr Pfarrer!
Nun so lasse ich ihn denn nachtragen, wenn du ihn nicht gern selber nimmst, erwiederte lächelnd der Pfarrer.
Wüst. Um Gottes willen, Herr Pfarrer! be- haltet den Bündel, damit ihr für eure Sache sicher seyd.
Pfarrer. Das wird sich schon geben, Wüst! bekümmere dich jezt nicht hierüber, und denke viel- mehr an das weit Wichtigere, das dir vorsteht. Ich will heute noch dem Junker schreiben, und du bringst ihm dann morgen den Brief.
Wüst. Ich danke euch, Herr Pfarrer! aber um Gottes willen! behaltet den Bündel, ich darf sonst das Geld nicht nehmen; weiß Gott! ich darf nicht.
Pfarrer. Schweig jezt hievon; geh alsobald mit dem Gelde zu dem Vogt, und komme morgen
etwann
§. 65. Daß es auch beym niedrigſten Volk eine Delicateſſe gebe, ſelbſt bey der Annah- me von Wohlthaten, um die ſie bit- ten.
Wuͤſt zitterte, da er dem Pfarrer das Geld ab- nahm; dankte und ſagte: Aber den Buͤndel nehme ich gewiß nicht heim, Herr Pfarrer!
Nun ſo laſſe ich ihn denn nachtragen, wenn du ihn nicht gern ſelber nimmſt, erwiederte laͤchelnd der Pfarrer.
Wuͤſt. Um Gottes willen, Herr Pfarrer! be- haltet den Buͤndel, damit ihr fuͤr eure Sache ſicher ſeyd.
Pfarrer. Das wird ſich ſchon geben, Wuͤſt! bekuͤmmere dich jezt nicht hieruͤber, und denke viel- mehr an das weit Wichtigere, das dir vorſteht. Ich will heute noch dem Junker ſchreiben, und du bringſt ihm dann morgen den Brief.
Wuͤſt. Ich danke euch, Herr Pfarrer! aber um Gottes willen! behaltet den Buͤndel, ich darf ſonſt das Geld nicht nehmen; weiß Gott! ich darf nicht.
Pfarrer. Schweig jezt hievon; geh alſobald mit dem Gelde zu dem Vogt, und komme morgen
etwann
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§. 65.
Daß es auch beym niedrigſten Volk eine
Delicateſſe gebe, ſelbſt bey der Annah-
me von Wohlthaten, um die ſie bit-
ten.
Wuͤſt zitterte, da er dem Pfarrer das Geld ab-
nahm; dankte und ſagte: Aber den Buͤndel nehme
ich gewiß nicht heim, Herr Pfarrer!
Nun ſo laſſe ich ihn denn nachtragen, wenn
du ihn nicht gern ſelber nimmſt, erwiederte laͤchelnd
der Pfarrer.
Wuͤſt. Um Gottes willen, Herr Pfarrer! be-
haltet den Buͤndel, damit ihr fuͤr eure Sache
ſicher ſeyd.
Pfarrer. Das wird ſich ſchon geben, Wuͤſt!
bekuͤmmere dich jezt nicht hieruͤber, und denke viel-
mehr an das weit Wichtigere, das dir vorſteht.
Ich will heute noch dem Junker ſchreiben, und
du bringſt ihm dann morgen den Brief.
Wuͤſt. Ich danke euch, Herr Pfarrer! aber
um Gottes willen! behaltet den Buͤndel, ich darf
ſonſt das Geld nicht nehmen; weiß Gott! ich darf
nicht.
Pfarrer. Schweig jezt hievon; geh alſobald
mit dem Gelde zu dem Vogt, und komme morgen
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/305>, abgerufen am 23.02.2025.
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