Wüst. O Herr Pfarrer! das ist alles nichts gegen dem Schrecken der Verzweiflung und gegen der Furcht, daß einem Gott in der Ewigkeit nicht mehr gnädig seyn werde.
Pfarrer. Du siebst die Sache in deinem Un- glück so redlich und vernünftig an, daß ich wahre Fr[eu]de daran habe. Bitte den lieben Gott, der dir so viel gute Gedanken und so viel Stärke zu guten und rechtschaffenen Entschlüssen gegeben hat, daß er diese Gnade dir ferner schenken wolle; so bist du auf einem recht guten Weg, und wirst, will's Gott! al- les, was auf dich wartet, mit Demuth und mit Ge- dult leicht ertragen können. Und was dir immer begegnen wird, so zeige mir dein Zutrauen ferner; ich will dich gewiß nie verlassen.
Wüst. Ach Gott! Herr Pfarrer! wie ihr auch so gut und liebreich seyd, mit einem so schweren Sünder!
Pfarrer. Gott selber ist in seinem Thun gegen uns arme Menschen nur Schonung und Liebe; und ich würde wohl ein unglücklicher Knecht meines gu- ten Gottes und Herrn seyn, wenn ich, in welchem Fall es immer wäre, mit einem meiner fehlenden Mitknechte zankte, haderte und schmählte.
So väterlich redte der Pfarrer mit dem Wüst, der vor ihm in Thränen zerfloß, und jezt lang nichts sagte.
Der Pfarrer schwieg auch eine Weile.
Der
Wuͤſt. O Herr Pfarrer! das iſt alles nichts gegen dem Schrecken der Verzweiflung und gegen der Furcht, daß einem Gott in der Ewigkeit nicht mehr gnaͤdig ſeyn werde.
Pfarrer. Du ſiebſt die Sache in deinem Un- gluͤck ſo redlich und vernuͤnftig an, daß ich wahre Fr[eu]de daran habe. Bitte den lieben Gott, der dir ſo viel gute Gedanken und ſo viel Staͤrke zu guten und rechtſchaffenen Entſchluͤſſen gegeben hat, daß er dieſe Gnade dir ferner ſchenken wolle; ſo biſt du auf einem recht guten Weg, und wirſt, will’s Gott! al- les, was auf dich wartet, mit Demuth und mit Ge- dult leicht ertragen koͤnnen. Und was dir immer begegnen wird, ſo zeige mir dein Zutrauen ferner; ich will dich gewiß nie verlaſſen.
Wuͤſt. Ach Gott! Herr Pfarrer! wie ihr auch ſo gut und liebreich ſeyd, mit einem ſo ſchweren Suͤnder!
Pfarrer. Gott ſelber iſt in ſeinem Thun gegen uns arme Menſchen nur Schonung und Liebe; und ich wuͤrde wohl ein ungluͤcklicher Knecht meines gu- ten Gottes und Herrn ſeyn, wenn ich, in welchem Fall es immer waͤre, mit einem meiner fehlenden Mitknechte zankte, haderte und ſchmaͤhlte.
So vaͤterlich redte der Pfarrer mit dem Wuͤſt, der vor ihm in Thraͤnen zerfloß, und jezt lang nichts ſagte.
Der Pfarrer ſchwieg auch eine Weile.
Der
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Wuͤſt. O Herr Pfarrer! das iſt alles nichts
gegen dem Schrecken der Verzweiflung und gegen der
Furcht, daß einem Gott in der Ewigkeit nicht
mehr gnaͤdig ſeyn werde.
Pfarrer. Du ſiebſt die Sache in deinem Un-
gluͤck ſo redlich und vernuͤnftig an, daß ich wahre
Freude daran habe. Bitte den lieben Gott, der dir
ſo viel gute Gedanken und ſo viel Staͤrke zu guten
und rechtſchaffenen Entſchluͤſſen gegeben hat, daß er
dieſe Gnade dir ferner ſchenken wolle; ſo biſt du auf
einem recht guten Weg, und wirſt, will’s Gott! al-
les, was auf dich wartet, mit Demuth und mit Ge-
dult leicht ertragen koͤnnen. Und was dir immer
begegnen wird, ſo zeige mir dein Zutrauen ferner;
ich will dich gewiß nie verlaſſen.
Wuͤſt. Ach Gott! Herr Pfarrer! wie ihr auch
ſo gut und liebreich ſeyd, mit einem ſo ſchweren
Suͤnder!
Pfarrer. Gott ſelber iſt in ſeinem Thun gegen
uns arme Menſchen nur Schonung und Liebe; und
ich wuͤrde wohl ein ungluͤcklicher Knecht meines gu-
ten Gottes und Herrn ſeyn, wenn ich, in welchem
Fall es immer waͤre, mit einem meiner fehlenden
Mitknechte zankte, haderte und ſchmaͤhlte.
So vaͤterlich redte der Pfarrer mit dem Wuͤſt,
der vor ihm in Thraͤnen zerfloß, und jezt lang nichts
ſagte.
Der Pfarrer ſchwieg auch eine Weile.
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/303>, abgerufen am 22.11.2024.
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