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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781.

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Niclas. Potz tausend, Mutter! so muß ich
mein Brod auch in Sack thun?

Mutter. Das versteht sich, Niclas!

Lise. Ich habe mir das wohl eingebildet, Mut-
ter! und sagte es vorher, ich wolle es nicht so ma-
chen.

Mutter. Du bist immer das allerwitzigste,
Lise! Ich habe nur vergessen, dich dafür zu rüh-
men; du thust also recht wohl, daß du mich selbst
daran erinnerst.

Lise erröthete und schwieg; und die Mutter sagte
zu den Kindern: Ihr könnet jezt gehn; aber den-
ket an das, was ich euch gesagt habe -- Die Kin-
der gehn.

Niclas läuft und springt, was er vermag, zu
des Rudis Hütte hinunter; aber dieser ist nicht
auf der Gasse. Niclas hustet ihm, räuspert sich --
ruft, aber vergebens, er kömmt nicht hinunter und
nicht ans Fenster.

Niclas zu sich selber: Was soll ich jezt machen?
Geh ich zu ihm in die Stube? Ja, ich muß es
ihm allein geben. Ich will doch hineingehn, und
ihm nur sagen, er soll herauskommen auf die
Gasse.

Der Rudeli saß eben mit seinem Vater und mit
seinen Geschwistern dey dem offenen Sarge der lie-
ben gestorbenen Großmutter, die man in ein Paar
Stunden begraben sollte -- und der Vater und die

Kin-

Niclas. Potz tauſend, Mutter! ſo muß ich
mein Brod auch in Sack thun?

Mutter. Das verſteht ſich, Niclas!

Liſe. Ich habe mir das wohl eingebildet, Mut-
ter! und ſagte es vorher, ich wolle es nicht ſo ma-
chen.

Mutter. Du biſt immer das allerwitzigſte,
Liſe! Ich habe nur vergeſſen, dich dafuͤr zu ruͤh-
men; du thuſt alſo recht wohl, daß du mich ſelbſt
daran erinnerſt.

Liſe erroͤthete und ſchwieg; und die Mutter ſagte
zu den Kindern: Ihr koͤnnet jezt gehn; aber den-
ket an das, was ich euch geſagt habe — Die Kin-
der gehn.

Niclas laͤuft und ſpringt, was er vermag, zu
des Rudis Huͤtte hinunter; aber dieſer iſt nicht
auf der Gaſſe. Niclas huſtet ihm, raͤuſpert ſich —
ruft, aber vergebens, er koͤmmt nicht hinunter und
nicht ans Fenſter.

Niclas zu ſich ſelber: Was ſoll ich jezt machen?
Geh ich zu ihm in die Stube? Ja, ich muß es
ihm allein geben. Ich will doch hineingehn, und
ihm nur ſagen, er ſoll herauskommen auf die
Gaſſe.

Der Rudeli ſaß eben mit ſeinem Vater und mit
ſeinen Geſchwiſtern dey dem offenen Sarge der lie-
ben geſtorbenen Großmutter, die man in ein Paar
Stunden begraben ſollte — und der Vater und die

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[242/0267] Niclas. Potz tauſend, Mutter! ſo muß ich mein Brod auch in Sack thun? Mutter. Das verſteht ſich, Niclas! Liſe. Ich habe mir das wohl eingebildet, Mut- ter! und ſagte es vorher, ich wolle es nicht ſo ma- chen. Mutter. Du biſt immer das allerwitzigſte, Liſe! Ich habe nur vergeſſen, dich dafuͤr zu ruͤh- men; du thuſt alſo recht wohl, daß du mich ſelbſt daran erinnerſt. Liſe erroͤthete und ſchwieg; und die Mutter ſagte zu den Kindern: Ihr koͤnnet jezt gehn; aber den- ket an das, was ich euch geſagt habe — Die Kin- der gehn. Niclas laͤuft und ſpringt, was er vermag, zu des Rudis Huͤtte hinunter; aber dieſer iſt nicht auf der Gaſſe. Niclas huſtet ihm, raͤuſpert ſich — ruft, aber vergebens, er koͤmmt nicht hinunter und nicht ans Fenſter. Niclas zu ſich ſelber: Was ſoll ich jezt machen? Geh ich zu ihm in die Stube? Ja, ich muß es ihm allein geben. Ich will doch hineingehn, und ihm nur ſagen, er ſoll herauskommen auf die Gaſſe. Der Rudeli ſaß eben mit ſeinem Vater und mit ſeinen Geſchwiſtern dey dem offenen Sarge der lie- ben geſtorbenen Großmutter, die man in ein Paar Stunden begraben ſollte — und der Vater und die Kin-

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Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/267>, abgerufen am 24.11.2024.