Lienhard. Es geht mir an's Herz, der Mann ist höchst unglücklich. Ich sah es schon lang mitten im Lärm seines Hauses, daß ihn nagende Unruhe plagte.
Gertrud. Mein Lieber! wer von einem stil- len eingezogenen frommen Leben abläßt, dem kann's niemals wohl seyn in seinem Herzen.
Lienhard. Wenn ich je etwas in meinem Le- ben deutlich erfahren und gesehen habe, so ist es die- ses. Alles was immer die gewaltthätigen Anhänger des Vogts in seinem Haus rathschlagten, vornahmen, erschlichen oder erzwangen, alles machte sie nie ei- ne Stunde zufrieden und ruhig.
Unter diesen Gesprächen kamen sie zur Kirche, und wurden da sehr von dem Eifer gerührt, mit welchem der Pfarrer über die Geschichte des Ver- räthers redete.
§. 48. Etwas von der Sünde.
Gertrud hatte das Gemurmel, das in den Wei- berstühlen allgemein war, des Vogts Haus sey schon wieder voll von seinen Lumpen, auch gehört, und sagte es nach der Kirche dem Lienhard. Die- ser antwortete: Ich kann's doch fast nicht glau-
ben --
Lienhard. Es geht mir an’s Herz, der Mann iſt hoͤchſt ungluͤcklich. Ich ſah es ſchon lang mitten im Laͤrm ſeines Hauſes, daß ihn nagende Unruhe plagte.
Gertrud. Mein Lieber! wer von einem ſtil- len eingezogenen frommen Leben ablaͤßt, dem kann’s niemals wohl ſeyn in ſeinem Herzen.
Lienhard. Wenn ich je etwas in meinem Le- ben deutlich erfahren und geſehen habe, ſo iſt es die- ſes. Alles was immer die gewaltthaͤtigen Anhaͤnger des Vogts in ſeinem Haus rathſchlagten, vornahmen, erſchlichen oder erzwangen, alles machte ſie nie ei- ne Stunde zufrieden und ruhig.
Unter dieſen Geſpraͤchen kamen ſie zur Kirche, und wurden da ſehr von dem Eifer geruͤhrt, mit welchem der Pfarrer uͤber die Geſchichte des Ver- raͤthers redete.
§. 48. Etwas von der Suͤnde.
Gertrud hatte das Gemurmel, das in den Wei- berſtuͤhlen allgemein war, des Vogts Haus ſey ſchon wieder voll von ſeinen Lumpen, auch gehoͤrt, und ſagte es nach der Kirche dem Lienhard. Die- ſer antwortete: Ich kann’s doch faſt nicht glau-
ben —
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0261"n="236"/><p><hirendition="#fr">Lienhard.</hi> Es geht mir an’s Herz, der Mann<lb/>
iſt hoͤchſt ungluͤcklich. Ich ſah es ſchon lang mitten<lb/>
im Laͤrm ſeines Hauſes, daß ihn nagende Unruhe<lb/>
plagte.</p><lb/><p><hirendition="#fr">Gertrud.</hi> Mein Lieber! wer von einem ſtil-<lb/>
len eingezogenen frommen Leben ablaͤßt, dem kann’s<lb/>
niemals wohl ſeyn in ſeinem Herzen.</p><lb/><p><hirendition="#fr">Lienhard.</hi> Wenn ich je etwas in meinem Le-<lb/>
ben deutlich erfahren und geſehen habe, ſo iſt es die-<lb/>ſes. Alles was immer die gewaltthaͤtigen Anhaͤnger<lb/>
des Vogts in ſeinem Haus rathſchlagten, vornahmen,<lb/>
erſchlichen oder erzwangen, alles machte ſie nie ei-<lb/>
ne Stunde zufrieden und ruhig.</p><lb/><p>Unter dieſen Geſpraͤchen kamen ſie zur Kirche,<lb/>
und wurden da ſehr von dem Eifer geruͤhrt, mit<lb/>
welchem der Pfarrer uͤber die Geſchichte des Ver-<lb/>
raͤthers redete.</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><divn="2"><head>§. 48.<lb/><hirendition="#b">Etwas von der Suͤnde.</hi></head><lb/><p><hirendition="#in">G</hi>ertrud hatte das Gemurmel, das in den Wei-<lb/>
berſtuͤhlen allgemein war, des Vogts Haus ſey<lb/>ſchon wieder voll von ſeinen Lumpen, auch gehoͤrt,<lb/>
und ſagte es nach der Kirche dem Lienhard. Die-<lb/>ſer antwortete: Ich kann’s doch faſt nicht glau-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ben —</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[236/0261]
Lienhard. Es geht mir an’s Herz, der Mann
iſt hoͤchſt ungluͤcklich. Ich ſah es ſchon lang mitten
im Laͤrm ſeines Hauſes, daß ihn nagende Unruhe
plagte.
Gertrud. Mein Lieber! wer von einem ſtil-
len eingezogenen frommen Leben ablaͤßt, dem kann’s
niemals wohl ſeyn in ſeinem Herzen.
Lienhard. Wenn ich je etwas in meinem Le-
ben deutlich erfahren und geſehen habe, ſo iſt es die-
ſes. Alles was immer die gewaltthaͤtigen Anhaͤnger
des Vogts in ſeinem Haus rathſchlagten, vornahmen,
erſchlichen oder erzwangen, alles machte ſie nie ei-
ne Stunde zufrieden und ruhig.
Unter dieſen Geſpraͤchen kamen ſie zur Kirche,
und wurden da ſehr von dem Eifer geruͤhrt, mit
welchem der Pfarrer uͤber die Geſchichte des Ver-
raͤthers redete.
§. 48.
Etwas von der Suͤnde.
Gertrud hatte das Gemurmel, das in den Wei-
berſtuͤhlen allgemein war, des Vogts Haus ſey
ſchon wieder voll von ſeinen Lumpen, auch gehoͤrt,
und ſagte es nach der Kirche dem Lienhard. Die-
ſer antwortete: Ich kann’s doch faſt nicht glau-
ben —
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/261>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.