Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Seine Frau fragte ihn oft und viel: Warum
er so seufze?

Er antwortete ihr kein Wort. Aber mehr als
einmal sagte er mit bangem Seufzen zu sich sel-
ber: Wohin kommt's noch weiter! Wohin kommt's
noch mit mir?

So gieng er jezt lang seufzend die Stube hin-
auf und himmter.

Endlich sagt' er zur Frauen: Bring mir ein
Jastpulver vom Scheerer, mein Geblüt wallet in
mir, und macht mich unruhig; ich will morgen
zu Ader lassen, wenn's auf das Pulver nicht bes-
ser wird.

Die Frau bracht ihm das Pulver; er nahm's,
und eine Weile darauf ward ihm wirklich leichter.


§. 44.
Geschichte eines Menschenherzens, wäh-
rend dem Nachtmahle.

Da erzählte er der Frauen, wie er heute mit
gutem versöhnten Herzen zur Kirche gegangen wäre,
wie er auch in seinem Stuhl Gott um Verzeihung
seiner Sünden gebeten hätte; aber da über die Pre-
digt des Pfarrers toll geworden wäre, und seither kei-
nen guten Gedanken mehr hätte haben können. Auch

wie

Seine Frau fragte ihn oft und viel: Warum
er ſo ſeufze?

Er antwortete ihr kein Wort. Aber mehr als
einmal ſagte er mit bangem Seufzen zu ſich ſel-
ber: Wohin kommt’s noch weiter! Wohin kommt’s
noch mit mir?

So gieng er jezt lang ſeufzend die Stube hin-
auf und himmter.

Endlich ſagt’ er zur Frauen: Bring mir ein
Jaſtpulver vom Scheerer, mein Gebluͤt wallet in
mir, und macht mich unruhig; ich will morgen
zu Ader laſſen, wenn’s auf das Pulver nicht beſ-
ſer wird.

Die Frau bracht ihm das Pulver; er nahm’s,
und eine Weile darauf ward ihm wirklich leichter.


§. 44.
Geſchichte eines Menſchenherzens, waͤh-
rend dem Nachtmahle.

Da erzaͤhlte er der Frauen, wie er heute mit
gutem verſoͤhnten Herzen zur Kirche gegangen waͤre,
wie er auch in ſeinem Stuhl Gott um Verzeihung
ſeiner Suͤnden gebeten haͤtte; aber da uͤber die Pre-
digt des Pfarrers toll geworden waͤre, und ſeither kei-
nen guten Gedanken mehr haͤtte haben koͤnnen. Auch

wie
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0247" n="222"/>
          <p>Seine Frau fragte ihn oft und viel: Warum<lb/>
er &#x017F;o &#x017F;eufze?</p><lb/>
          <p>Er antwortete ihr kein Wort. Aber mehr als<lb/>
einmal &#x017F;agte er mit bangem Seufzen zu &#x017F;ich &#x017F;el-<lb/>
ber: Wohin kommt&#x2019;s noch weiter! Wohin kommt&#x2019;s<lb/>
noch mit mir?</p><lb/>
          <p>So gieng er jezt lang &#x017F;eufzend die Stube hin-<lb/>
auf und himmter.</p><lb/>
          <p>Endlich &#x017F;agt&#x2019; er zur Frauen: Bring mir ein<lb/>
Ja&#x017F;tpulver vom Scheerer, mein Geblu&#x0364;t wallet in<lb/>
mir, und macht mich unruhig; ich will morgen<lb/>
zu Ader la&#x017F;&#x017F;en, wenn&#x2019;s auf das Pulver nicht be&#x017F;-<lb/>
&#x017F;er wird.</p><lb/>
          <p>Die Frau bracht ihm das Pulver; er nahm&#x2019;s,<lb/>
und eine Weile darauf ward ihm wirklich leichter.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>§. 44.<lb/><hi rendition="#b">Ge&#x017F;chichte eines Men&#x017F;chenherzens, wa&#x0364;h-<lb/>
rend dem Nachtmahle.</hi></head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">D</hi>a erza&#x0364;hlte er der Frauen, wie er heute mit<lb/>
gutem ver&#x017F;o&#x0364;hnten Herzen zur Kirche gegangen wa&#x0364;re,<lb/>
wie er auch in &#x017F;einem Stuhl Gott um Verzeihung<lb/>
&#x017F;einer Su&#x0364;nden gebeten ha&#x0364;tte; aber da u&#x0364;ber die Pre-<lb/>
digt des Pfarrers toll geworden wa&#x0364;re, und &#x017F;either kei-<lb/>
nen guten Gedanken mehr ha&#x0364;tte haben ko&#x0364;nnen. Auch<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">wie</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[222/0247] Seine Frau fragte ihn oft und viel: Warum er ſo ſeufze? Er antwortete ihr kein Wort. Aber mehr als einmal ſagte er mit bangem Seufzen zu ſich ſel- ber: Wohin kommt’s noch weiter! Wohin kommt’s noch mit mir? So gieng er jezt lang ſeufzend die Stube hin- auf und himmter. Endlich ſagt’ er zur Frauen: Bring mir ein Jaſtpulver vom Scheerer, mein Gebluͤt wallet in mir, und macht mich unruhig; ich will morgen zu Ader laſſen, wenn’s auf das Pulver nicht beſ- ſer wird. Die Frau bracht ihm das Pulver; er nahm’s, und eine Weile darauf ward ihm wirklich leichter. §. 44. Geſchichte eines Menſchenherzens, waͤh- rend dem Nachtmahle. Da erzaͤhlte er der Frauen, wie er heute mit gutem verſoͤhnten Herzen zur Kirche gegangen waͤre, wie er auch in ſeinem Stuhl Gott um Verzeihung ſeiner Suͤnden gebeten haͤtte; aber da uͤber die Pre- digt des Pfarrers toll geworden waͤre, und ſeither kei- nen guten Gedanken mehr haͤtte haben koͤnnen. Auch wie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/247
Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/247>, abgerufen am 22.12.2024.