Während dem ganzen Gespräch stuhnde der Vogt am Ofen, staunte, wärmte sich, hörte kaum, was sie sagten, und sprach nur wenig und ganz ver- wirrt in das, so sie redten. Er vergaß so gar den Wein bey seinem Staunen, darum währete auch das Gespräch mit dem Aebi und dem Fremden so lange. Vielleicht aber hat er seinen Kram nicht gerne aus- geleert, bis der Fremde ausgetrunken hatte, und fort war -- Denn er fieng da endlich auf einmal damit an, und sagte ihnen, als ob er's bey sei- nem langen Staunen auswendig gelernt hätte, her- unter.
Der Pfarrer kömmt immer mit dem, daß man die Armen drücke. Wenn das, was er die Armen drücken heißt, Niemand thäte, so wären, mich soll der Teufel holen, wenn es nicht so ist, gar keine Arme in der Welt; aber wo ich mich umsehe, vom Fürsten an bis zum Nachtwächter, von der ersten Landeskammer [bi]s zur lezten Dorfgemeinde, sucht Alles seinen Vorthen, und drückt jedes gegen das, das ihm im Weg steht. Der alte Pfarrer hat selbst Wein aus- geschenkt, wie ich, und Heu und Korn und Haber so wohlfeil an die Zahlung genommen, als ich's im- mer bekomme. Es drückt in der Welt Alles den Niedern, ich muß mich auch drücken lassen. Wer etwas hat, oder zu etwas kommen will, der muß drücken, oder er muß das Seine wegschenken und
betteln.
O 3
Aebi. Man faͤngt das in der Schul an.
Waͤhrend dem ganzen Geſpraͤch ſtuhnde der Vogt am Ofen, ſtaunte, waͤrmte ſich, hoͤrte kaum, was ſie ſagten, und ſprach nur wenig und ganz ver- wirrt in das, ſo ſie redten. Er vergaß ſo gar den Wein bey ſeinem Staunen, darum waͤhrete auch das Geſpraͤch mit dem Aebi und dem Fremden ſo lange. Vielleicht aber hat er ſeinen Kram nicht gerne aus- geleert, bis der Fremde ausgetrunken hatte, und fort war — Denn er fieng da endlich auf einmal damit an, und ſagte ihnen, als ob er’s bey ſei- nem langen Staunen auswendig gelernt haͤtte, her- unter.
Der Pfarrer koͤmmt immer mit dem, daß man die Armen druͤcke. Wenn das, was er die Armen druͤcken heißt, Niemand thaͤte, ſo waͤren, mich ſoll der Teufel holen, wenn es nicht ſo iſt, gar keine Arme in der Welt; aber wo ich mich umſehe, vom Fuͤrſten an bis zum Nachtwaͤchter, von der erſten Landeskam̄er [bi]s zur lezten Dorfgemeinde, ſucht Alles ſeinen Vorthen, und druͤckt jedes gegen das, das ihm im Weg ſteht. Der alte Pfarrer hat ſelbſt Wein aus- geſchenkt, wie ich, und Heu und Korn und Haber ſo wohlfeil an die Zahlung genommen, als ich’s im- mer bekomme. Es druͤckt in der Welt Alles den Niedern, ich muß mich auch druͤcken laſſen. Wer etwas hat, oder zu etwas kommen will, der muß druͤcken, oder er muß das Seine wegſchenken und
betteln.
O 3
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0238"n="213"/><p><hirendition="#fr">Aebi.</hi> Man faͤngt das in der Schul an.</p><lb/><p>Waͤhrend dem ganzen Geſpraͤch ſtuhnde der<lb/>
Vogt am Ofen, ſtaunte, waͤrmte ſich, hoͤrte kaum,<lb/>
was ſie ſagten, und ſprach nur wenig und ganz ver-<lb/>
wirrt in das, ſo ſie redten. Er vergaß ſo gar den<lb/>
Wein bey ſeinem Staunen, darum waͤhrete auch das<lb/>
Geſpraͤch mit dem Aebi und dem Fremden ſo lange.<lb/>
Vielleicht aber hat er ſeinen Kram nicht gerne aus-<lb/>
geleert, bis der Fremde ausgetrunken hatte, und<lb/>
fort war — Denn er fieng da endlich auf einmal<lb/>
damit an, und ſagte ihnen, als ob er’s bey ſei-<lb/>
nem langen Staunen auswendig gelernt haͤtte, her-<lb/>
unter.</p><lb/><p>Der Pfarrer koͤmmt immer mit dem, daß man<lb/>
die Armen druͤcke. Wenn das, was er die Armen<lb/>
druͤcken heißt, Niemand thaͤte, ſo waͤren, mich ſoll<lb/>
der Teufel holen, wenn es nicht ſo iſt, gar keine<lb/>
Arme in der Welt; aber wo ich mich umſehe, vom<lb/>
Fuͤrſten an bis zum Nachtwaͤchter, von der erſten<lb/>
Landeskam̄er <supplied>bi</supplied>s zur lezten Dorfgemeinde, ſucht Alles<lb/>ſeinen Vorthen, und druͤckt jedes gegen das, das ihm<lb/>
im Weg ſteht. Der alte Pfarrer hat ſelbſt Wein aus-<lb/>
geſchenkt, wie ich, und Heu und Korn und Haber ſo<lb/>
wohlfeil an die Zahlung genommen, als ich’s im-<lb/>
mer bekomme. Es druͤckt in der Welt Alles den<lb/>
Niedern, ich muß mich auch druͤcken laſſen. Wer<lb/>
etwas hat, oder zu etwas kommen will, der muß<lb/>
druͤcken, oder er muß das Seine wegſchenken und<lb/><fwplace="bottom"type="sig">O 3</fw><fwplace="bottom"type="catch">betteln.</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[213/0238]
Aebi. Man faͤngt das in der Schul an.
Waͤhrend dem ganzen Geſpraͤch ſtuhnde der
Vogt am Ofen, ſtaunte, waͤrmte ſich, hoͤrte kaum,
was ſie ſagten, und ſprach nur wenig und ganz ver-
wirrt in das, ſo ſie redten. Er vergaß ſo gar den
Wein bey ſeinem Staunen, darum waͤhrete auch das
Geſpraͤch mit dem Aebi und dem Fremden ſo lange.
Vielleicht aber hat er ſeinen Kram nicht gerne aus-
geleert, bis der Fremde ausgetrunken hatte, und
fort war — Denn er fieng da endlich auf einmal
damit an, und ſagte ihnen, als ob er’s bey ſei-
nem langen Staunen auswendig gelernt haͤtte, her-
unter.
Der Pfarrer koͤmmt immer mit dem, daß man
die Armen druͤcke. Wenn das, was er die Armen
druͤcken heißt, Niemand thaͤte, ſo waͤren, mich ſoll
der Teufel holen, wenn es nicht ſo iſt, gar keine
Arme in der Welt; aber wo ich mich umſehe, vom
Fuͤrſten an bis zum Nachtwaͤchter, von der erſten
Landeskam̄er bis zur lezten Dorfgemeinde, ſucht Alles
ſeinen Vorthen, und druͤckt jedes gegen das, das ihm
im Weg ſteht. Der alte Pfarrer hat ſelbſt Wein aus-
geſchenkt, wie ich, und Heu und Korn und Haber ſo
wohlfeil an die Zahlung genommen, als ich’s im-
mer bekomme. Es druͤckt in der Welt Alles den
Niedern, ich muß mich auch druͤcken laſſen. Wer
etwas hat, oder zu etwas kommen will, der muß
druͤcken, oder er muß das Seine wegſchenken und
betteln.
O 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/238>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.