Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

Christen. Ja, es mußten wohl andre Leute
seyn, denn sonst hätten sie es nicht dürfen; den-
ket, wie sie es machten -- Einst einem Annas -- ja
Annas hieß er -- und hinten nach auch seiner
Frauen; nur daß sie eine Lüge sagten, sind sie zu
Boden gefallen, und waren todt.

Bauern. Ist das auch wahr, um einer Lüge
willen?

Christen. Ja, so wahr ich lebe, und da vor
euch stehe.

Aebi. Es ist doch schön, wenn man die Bi-
bel versteht.

Christen. Ich dank's meinem Vater unter dem
Boden; er war leider, Gott erbarm! eben nichts
Sonderbares. Er hat uns unser ganzes Muttergut
durchgebracht, bis auf den letzten Heller; und das
könnte ich noch wohl verschmerzen, hätte er sich nur
nicht mit dem gehängten Uli so eingelassen! so etwas
trägt man Kind und Kindskindern nach; aber lesen
konnte er in der Bibel, trotz einem Pfarrer, und das
mußten wir auch können; er ließ es keinem nach.

Aebi. Es hat mich tausendmal gewundert, wie
er auch so ein Schlimmling hat seyn können, da er
doch so viel wußte.

Bauern. Ja, es ist freylich wunderlich, so
viel er wußte.

Jost. (Ein Fremder, der eben im Wirthshaus
ist.) Ich muß nur lachen, Nachbaren! daß ihr euch

hier-

Chriſten. Ja, es mußten wohl andre Leute
ſeyn, denn ſonſt haͤtten ſie es nicht duͤrfen; den-
ket, wie ſie es machten — Einſt einem Annas — ja
Annas hieß er — und hinten nach auch ſeiner
Frauen; nur daß ſie eine Luͤge ſagten, ſind ſie zu
Boden gefallen, und waren todt.

Bauern. Iſt das auch wahr, um einer Luͤge
willen?

Chriſten. Ja, ſo wahr ich lebe, und da vor
euch ſtehe.

Aebi. Es iſt doch ſchoͤn, wenn man die Bi-
bel verſteht.

Chriſten. Ich dank’s meinem Vater unter dem
Boden; er war leider, Gott erbarm! eben nichts
Sonderbares. Er hat uns unſer ganzes Muttergut
durchgebracht, bis auf den letzten Heller; und das
koͤnnte ich noch wohl verſchmerzen, haͤtte er ſich nur
nicht mit dem gehaͤngten Uli ſo eingelaſſen! ſo etwas
traͤgt man Kind und Kindskindern nach; aber leſen
konnte er in der Bibel, trotz einem Pfarrer, und das
mußten wir auch koͤnnen; er ließ es keinem nach.

Aebi. Es hat mich tauſendmal gewundert, wie
er auch ſo ein Schlimmling hat ſeyn koͤnnen, da er
doch ſo viel wußte.

Bauern. Ja, es iſt freylich wunderlich, ſo
viel er wußte.

Joſt. (Ein Fremder, der eben im Wirthshaus
iſt.) Ich muß nur lachen, Nachbaren! daß ihr euch

hier-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0231" n="206"/>
          <p><hi rendition="#fr">Chri&#x017F;ten.</hi> Ja, es mußten wohl andre Leute<lb/>
&#x017F;eyn, denn &#x017F;on&#x017F;t ha&#x0364;tten &#x017F;ie es nicht du&#x0364;rfen; den-<lb/>
ket, wie &#x017F;ie es machten &#x2014; Ein&#x017F;t einem Annas &#x2014; ja<lb/>
Annas hieß er &#x2014; und hinten nach auch &#x017F;einer<lb/>
Frauen; nur daß &#x017F;ie eine Lu&#x0364;ge &#x017F;agten, &#x017F;ind &#x017F;ie zu<lb/>
Boden gefallen, und waren todt.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Bauern.</hi> I&#x017F;t das auch wahr, um einer Lu&#x0364;ge<lb/>
willen?</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Chri&#x017F;ten.</hi> Ja, &#x017F;o wahr ich lebe, und da vor<lb/>
euch &#x017F;tehe.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Aebi.</hi> Es i&#x017F;t doch &#x017F;cho&#x0364;n, wenn man die Bi-<lb/>
bel ver&#x017F;teht.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Chri&#x017F;ten.</hi> Ich dank&#x2019;s meinem Vater unter dem<lb/>
Boden; er war leider, Gott erbarm! eben nichts<lb/>
Sonderbares. Er hat uns un&#x017F;er ganzes Muttergut<lb/>
durchgebracht, bis auf den letzten Heller; und das<lb/>
ko&#x0364;nnte ich noch wohl ver&#x017F;chmerzen, ha&#x0364;tte er &#x017F;ich nur<lb/>
nicht mit dem geha&#x0364;ngten Uli &#x017F;o eingela&#x017F;&#x017F;en! &#x017F;o etwas<lb/>
tra&#x0364;gt man Kind und Kindskindern nach; aber le&#x017F;en<lb/>
konnte er in der Bibel, trotz einem Pfarrer, und das<lb/>
mußten wir auch ko&#x0364;nnen; er ließ es keinem nach.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Aebi.</hi> Es hat mich tau&#x017F;endmal gewundert, wie<lb/>
er auch &#x017F;o ein Schlimmling hat &#x017F;eyn ko&#x0364;nnen, da er<lb/>
doch &#x017F;o viel wußte.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Bauern.</hi> Ja, es i&#x017F;t freylich wunderlich, &#x017F;o<lb/>
viel er wußte.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Jo&#x017F;t.</hi> (Ein Fremder, der eben im Wirthshaus<lb/>
i&#x017F;t.) Ich muß nur lachen, Nachbaren! daß ihr euch<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">hier-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[206/0231] Chriſten. Ja, es mußten wohl andre Leute ſeyn, denn ſonſt haͤtten ſie es nicht duͤrfen; den- ket, wie ſie es machten — Einſt einem Annas — ja Annas hieß er — und hinten nach auch ſeiner Frauen; nur daß ſie eine Luͤge ſagten, ſind ſie zu Boden gefallen, und waren todt. Bauern. Iſt das auch wahr, um einer Luͤge willen? Chriſten. Ja, ſo wahr ich lebe, und da vor euch ſtehe. Aebi. Es iſt doch ſchoͤn, wenn man die Bi- bel verſteht. Chriſten. Ich dank’s meinem Vater unter dem Boden; er war leider, Gott erbarm! eben nichts Sonderbares. Er hat uns unſer ganzes Muttergut durchgebracht, bis auf den letzten Heller; und das koͤnnte ich noch wohl verſchmerzen, haͤtte er ſich nur nicht mit dem gehaͤngten Uli ſo eingelaſſen! ſo etwas traͤgt man Kind und Kindskindern nach; aber leſen konnte er in der Bibel, trotz einem Pfarrer, und das mußten wir auch koͤnnen; er ließ es keinem nach. Aebi. Es hat mich tauſendmal gewundert, wie er auch ſo ein Schlimmling hat ſeyn koͤnnen, da er doch ſo viel wußte. Bauern. Ja, es iſt freylich wunderlich, ſo viel er wußte. Joſt. (Ein Fremder, der eben im Wirthshaus iſt.) Ich muß nur lachen, Nachbaren! daß ihr euch hier-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/231
Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/231>, abgerufen am 22.11.2024.