§. 38. Die reine stille Grösse eines wohlthätigen Herzens.
Fehlt dir etwas, Rudi? Wenn's etwas ist, da wir dir helfen können, so sag es, sagten Lienhard und Gertrud zu ihm.
Nein, es fehlt mir jezt nichts; ich dank euch, antwortete der Rudi.
Aber sichtbar erstickt' er das tiefe Seufzen des Herzens, das immer empordringen wollte.
Mitleidig und traurig sahen ihn Lienhard und Gertrud an, und sprachen: Du seufzest doch, und man sieht's, dein Herz ist über etwas beklemmt.
Sag's doch, ach sag's doch, Vater! sie sind ja so gut, bittet ihn der Kleine.
Thu es doch, und sag es, wenn wir helfen kön- nen, bitten ihn Lienhard und Gertrud.
Darf ich's! erwiederte der Arme; Ich habe weder Schuh noch Strümpfe, und sollte morgen mit der Mutter zum Grabe, und übermorgen in's Schloß gehn.
Lienhard. Daß du dich auch so grämen magst über dieses! Warum sagtest du doch das nicht auch
gerade
§. 38. Die reine ſtille Groͤſſe eines wohlthaͤtigen Herzens.
Fehlt dir etwas, Rudi? Wenn’s etwas iſt, da wir dir helfen koͤnnen, ſo ſag es, ſagten Lienhard und Gertrud zu ihm.
Nein, es fehlt mir jezt nichts; ich dank euch, antwortete der Rudi.
Aber ſichtbar erſtickt’ er das tiefe Seufzen des Herzens, das immer empordringen wollte.
Mitleidig und traurig ſahen ihn Lienhard und Gertrud an, und ſprachen: Du ſeufzeſt doch, und man ſieht’s, dein Herz iſt uͤber etwas beklemmt.
Sag’s doch, ach ſag’s doch, Vater! ſie ſind ja ſo gut, bittet ihn der Kleine.
Thu es doch, und ſag es, wenn wir helfen koͤn- nen, bitten ihn Lienhard und Gertrud.
Darf ich’s! erwiederte der Arme; Ich habe weder Schuh noch Struͤmpfe, und ſollte morgen mit der Mutter zum Grabe, und uͤbermorgen in’s Schloß gehn.
Lienhard. Daß du dich auch ſo graͤmen magſt uͤber dieſes! Warum ſagteſt du doch das nicht auch
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§. 38.
Die reine ſtille Groͤſſe eines wohlthaͤtigen
Herzens.
Fehlt dir etwas, Rudi? Wenn’s etwas iſt, da
wir dir helfen koͤnnen, ſo ſag es, ſagten Lienhard
und Gertrud zu ihm.
Nein, es fehlt mir jezt nichts; ich dank euch,
antwortete der Rudi.
Aber ſichtbar erſtickt’ er das tiefe Seufzen des
Herzens, das immer empordringen wollte.
Mitleidig und traurig ſahen ihn Lienhard und
Gertrud an, und ſprachen: Du ſeufzeſt doch, und
man ſieht’s, dein Herz iſt uͤber etwas beklemmt.
Sag’s doch, ach ſag’s doch, Vater! ſie ſind ja
ſo gut, bittet ihn der Kleine.
Thu es doch, und ſag es, wenn wir helfen koͤn-
nen, bitten ihn Lienhard und Gertrud.
Darf ich’s! erwiederte der Arme; Ich habe
weder Schuh noch Struͤmpfe, und ſollte morgen
mit der Mutter zum Grabe, und uͤbermorgen in’s
Schloß gehn.
Lienhard. Daß du dich auch ſo graͤmen magſt
uͤber dieſes! Warum ſagteſt du doch das nicht auch
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/215>, abgerufen am 16.02.2025.
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