darauf kömmt's allein an -- Mein Lieber! Thrä- nen sind nichts, und Kniefallen ist nichts; aber der Entschluß, gegen Gott und Menschen redlich und dankbar zu seyn, das ist alles. Daß der eine Mensch weichmüthig, und daß der andre es weniger ist, das ist eben so viel, als daß der eine Wurm schwär- fälliger und der andre leichter in dem Staube daher schleicht. Wenn es dir nur Ernst ist, mein Lieber! so wirst du ihn finden. Ihn, der allen Menschen Vater ist.
Lienhard senkt mit einer Thräne im Aug sein Haupt auf ihren Schooß, und sie hält ihr Ange- sicht in stiller Wehmuth über das seine.
Sie bleiben eine Weile in dieser Stellung still, staunen -- und schweigen.
Endlich sagte Gertrud zu ihm: Willst du nicht zu Nacht essen?
Ich mag nicht, antwortete er. Mein Herz ist zu voll, ich könnte jezt nicht essen.
Ich mag auch nicht, mein Lieber! erwiederte sie; aber weißst du, was wir thun wollen -- Ich trage das Essen zu dem armen Rudi -- Seine Mutter ist heute gestorben.
§. 37.
darauf koͤmmt’s allein an — Mein Lieber! Thraͤ- nen ſind nichts, und Kniefallen iſt nichts; aber der Entſchluß, gegen Gott und Menſchen redlich und dankbar zu ſeyn, das iſt alles. Daß der eine Menſch weichmuͤthig, und daß der andre es weniger iſt, das iſt eben ſo viel, als daß der eine Wurm ſchwaͤr- faͤlliger und der andre leichter in dem Staube daher ſchleicht. Wenn es dir nur Ernſt iſt, mein Lieber! ſo wirſt du ihn finden. Ihn, der allen Menſchen Vater iſt.
Lienhard ſenkt mit einer Thraͤne im Aug ſein Haupt auf ihren Schooß, und ſie haͤlt ihr Ange- ſicht in ſtiller Wehmuth uͤber das ſeine.
Sie bleiben eine Weile in dieſer Stellung ſtill, ſtaunen — und ſchweigen.
Endlich ſagte Gertrud zu ihm: Willſt du nicht zu Nacht eſſen?
Ich mag nicht, antwortete er. Mein Herz iſt zu voll, ich koͤnnte jezt nicht eſſen.
Ich mag auch nicht, mein Lieber! erwiederte ſie; aber weißſt du, was wir thun wollen — Ich trage das Eſſen zu dem armen Rudi — Seine Mutter iſt heute geſtorben.
§. 37.
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darauf koͤmmt’s allein an — Mein Lieber! Thraͤ-
nen ſind nichts, und Kniefallen iſt nichts; aber der
Entſchluß, gegen Gott und Menſchen redlich und
dankbar zu ſeyn, das iſt alles. Daß der eine Menſch
weichmuͤthig, und daß der andre es weniger iſt, das
iſt eben ſo viel, als daß der eine Wurm ſchwaͤr-
faͤlliger und der andre leichter in dem Staube daher
ſchleicht. Wenn es dir nur Ernſt iſt, mein Lieber!
ſo wirſt du ihn finden. Ihn, der allen Menſchen
Vater iſt.
Lienhard ſenkt mit einer Thraͤne im Aug ſein
Haupt auf ihren Schooß, und ſie haͤlt ihr Ange-
ſicht in ſtiller Wehmuth uͤber das ſeine.
Sie bleiben eine Weile in dieſer Stellung ſtill,
ſtaunen — und ſchweigen.
Endlich ſagte Gertrud zu ihm: Willſt du nicht
zu Nacht eſſen?
Ich mag nicht, antwortete er. Mein Herz iſt
zu voll, ich koͤnnte jezt nicht eſſen.
Ich mag auch nicht, mein Lieber! erwiederte
ſie; aber weißſt du, was wir thun wollen — Ich
trage das Eſſen zu dem armen Rudi — Seine
Mutter iſt heute geſtorben.
§. 37.
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/211>, abgerufen am 24.11.2024.
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