Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781.

Bild:
<< vorherige Seite

glaub mir, dieses unbedachtsame Wesen würde dich
gewiß unglücklich machen.

Niclas. Liebe, liebe Mutter! ich weiß es und
ich glaub es, und ich will gewiß Acht geben.

Mutter. Und du, Lise! wie hast du dich in
dieser Woche aufgeführt?

Lise. Ich weiß einmal nichts anders diese
Woche, Mutter!

Mutter. Gewiß nicht?

Lise. Nein einmal, Mutter! so viel ich mich
besinne; ich wollte es sonst gern sagen, Mutter!

Mutter. Daß du immer, auch wenn du nichts
weißst, mit so viel Worten antwortest, als ein an-
ders, wenn es recht viel zu sagen hat.

Lise. Was habe ich jezt denn auch gesagt, Mut-
ter?

Mutter. Eben nichts, und doch viel geant-
wortet. Es ist das, was wir dir tausendmal schon
sagten, du seyst nicht bescheiden, du besinnest dich
über nichts, was du reden sollst, und müssest doch
immer geredt haben -- Was hattest du gerad vor-
gestern dem Untervogt zu sagen, du wissest, daß
Arner bald kommen werde?

Lise. Es ist mir leid, Mutter!

Mutter. Wir haben's dir schon so oft gesagt,
daß du nicht in alles, was dich nicht angeht, re-
den sollst, insonderheit vor fremden Leuten; und
doch thust du es immerfort -- Wenn jezt dein Va-

ter

glaub mir, dieſes unbedachtſame Weſen wuͤrde dich
gewiß ungluͤcklich machen.

Niclas. Liebe, liebe Mutter! ich weiß es und
ich glaub es, und ich will gewiß Acht geben.

Mutter. Und du, Liſe! wie haſt du dich in
dieſer Woche aufgefuͤhrt?

Liſe. Ich weiß einmal nichts anders dieſe
Woche, Mutter!

Mutter. Gewiß nicht?

Liſe. Nein einmal, Mutter! ſo viel ich mich
beſinne; ich wollte es ſonſt gern ſagen, Mutter!

Mutter. Daß du immer, auch wenn du nichts
weißſt, mit ſo viel Worten antworteſt, als ein an-
ders, wenn es recht viel zu ſagen hat.

Liſe. Was habe ich jezt denn auch geſagt, Mut-
ter?

Mutter. Eben nichts, und doch viel geant-
wortet. Es iſt das, was wir dir tauſendmal ſchon
ſagten, du ſeyſt nicht beſcheiden, du beſinneſt dich
uͤber nichts, was du reden ſollſt, und muͤſſeſt doch
immer geredt haben — Was hatteſt du gerad vor-
geſtern dem Untervogt zu ſagen, du wiſſeſt, daß
Arner bald kommen werde?

Liſe. Es iſt mir leid, Mutter!

Mutter. Wir haben’s dir ſchon ſo oft geſagt,
daß du nicht in alles, was dich nicht angeht, re-
den ſollſt, inſonderheit vor fremden Leuten; und
doch thuſt du es immerfort — Wenn jezt dein Va-

ter
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0200" n="175"/>
glaub mir, die&#x017F;es unbedacht&#x017F;ame We&#x017F;en wu&#x0364;rde dich<lb/>
gewiß unglu&#x0364;cklich machen.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Niclas.</hi> Liebe, liebe Mutter! ich weiß es und<lb/>
ich glaub es, und ich will gewiß Acht geben.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Mutter.</hi> Und du, Li&#x017F;e! wie ha&#x017F;t du dich in<lb/>
die&#x017F;er Woche aufgefu&#x0364;hrt?</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Li&#x017F;e.</hi> Ich weiß einmal nichts anders die&#x017F;e<lb/>
Woche, Mutter!</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Mutter.</hi> Gewiß nicht?</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Li&#x017F;e.</hi> Nein einmal, Mutter! &#x017F;o viel ich mich<lb/>
be&#x017F;inne; ich wollte es &#x017F;on&#x017F;t gern &#x017F;agen, Mutter!</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Mutter.</hi> Daß du immer, auch wenn du nichts<lb/>
weiß&#x017F;t, mit &#x017F;o viel Worten antworte&#x017F;t, als ein an-<lb/>
ders, wenn es recht viel zu &#x017F;agen hat.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Li&#x017F;e.</hi> Was habe ich jezt denn auch ge&#x017F;agt, Mut-<lb/>
ter?</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Mutter.</hi> Eben nichts, und doch viel geant-<lb/>
wortet. Es i&#x017F;t das, was wir dir tau&#x017F;endmal &#x017F;chon<lb/>
&#x017F;agten, du &#x017F;ey&#x017F;t nicht be&#x017F;cheiden, du be&#x017F;inne&#x017F;t dich<lb/>
u&#x0364;ber nichts, was du reden &#x017F;oll&#x017F;t, und mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e&#x017F;t doch<lb/>
immer geredt haben &#x2014; Was hatte&#x017F;t du gerad vor-<lb/>
ge&#x017F;tern dem Untervogt zu &#x017F;agen, du wi&#x017F;&#x017F;e&#x017F;t, daß<lb/>
Arner bald kommen werde?</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Li&#x017F;e.</hi> Es i&#x017F;t mir leid, Mutter!</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Mutter.</hi> Wir haben&#x2019;s dir &#x017F;chon &#x017F;o oft ge&#x017F;agt,<lb/>
daß du nicht in alles, was dich nicht angeht, re-<lb/>
den &#x017F;oll&#x017F;t, in&#x017F;onderheit vor fremden Leuten; und<lb/>
doch thu&#x017F;t du es immerfort &#x2014; Wenn jezt dein Va-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ter</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[175/0200] glaub mir, dieſes unbedachtſame Weſen wuͤrde dich gewiß ungluͤcklich machen. Niclas. Liebe, liebe Mutter! ich weiß es und ich glaub es, und ich will gewiß Acht geben. Mutter. Und du, Liſe! wie haſt du dich in dieſer Woche aufgefuͤhrt? Liſe. Ich weiß einmal nichts anders dieſe Woche, Mutter! Mutter. Gewiß nicht? Liſe. Nein einmal, Mutter! ſo viel ich mich beſinne; ich wollte es ſonſt gern ſagen, Mutter! Mutter. Daß du immer, auch wenn du nichts weißſt, mit ſo viel Worten antworteſt, als ein an- ders, wenn es recht viel zu ſagen hat. Liſe. Was habe ich jezt denn auch geſagt, Mut- ter? Mutter. Eben nichts, und doch viel geant- wortet. Es iſt das, was wir dir tauſendmal ſchon ſagten, du ſeyſt nicht beſcheiden, du beſinneſt dich uͤber nichts, was du reden ſollſt, und muͤſſeſt doch immer geredt haben — Was hatteſt du gerad vor- geſtern dem Untervogt zu ſagen, du wiſſeſt, daß Arner bald kommen werde? Liſe. Es iſt mir leid, Mutter! Mutter. Wir haben’s dir ſchon ſo oft geſagt, daß du nicht in alles, was dich nicht angeht, re- den ſollſt, inſonderheit vor fremden Leuten; und doch thuſt du es immerfort — Wenn jezt dein Va- ter

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/200
Zitationshilfe: [Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/200>, abgerufen am 22.11.2024.