wenn die Frucht des Lebens im Herbst reifet, und wenn der Baum sich zum Schlafe des Winters ent- blättert: dann ist das Leiden des Lebens ihm hei- lig, und die Freuden des Lebens sind ihm nur ein Traum. Denk an mich, Rudi! Es wird dir wohl gehen bey allem deinem Leiden.
Rudi. O Mutter! Liebe Mutter!
Die Mutter. Aber jezt noch eins, Rudi.
Rudi. Was? Mutter!
Die Mutter. Es liegt mir seit gestern, wie ein Stein, auf dem Herzen. Ich muß dir's sagen.
Rudi. Was ist's denn, liebe Mutter?
Die Mutter. Ich sah gestern, daß sich der Rudeli hinter meinem Bette versteckte, und gebra- tene Erdäpfel aus seinem Sack aß. Er gab auch seinen Geschwistern, und auch sie assen verstohlen. Rudi! Diese Erdäpfel sind nicht unser; sonst würde der Junge sie auf den Tisch geworfen, und seinen Geschwistern laut gerufen haben, ach! er würde auch mir einen gebracht haben, wie ers tausendmal that. Es gieng mir allemal ans Herz, wenn er so mit etwas auf den Händen zu mir sprang, und so herzlich zu mir sagte: Iß auch, Großmutter! O Ru- di! wenn dieser Herzensjunge ein Dieb werden sollte. O Rudi! wie mir dieser Gedanke seit gestern so schwer macht! Wo ist er? Bring mir ihn, ich will mit ihm reden.
Rudi.
wenn die Frucht des Lebens im Herbſt reifet, und wenn der Baum ſich zum Schlafe des Winters ent- blaͤttert: dann iſt das Leiden des Lebens ihm hei- lig, und die Freuden des Lebens ſind ihm nur ein Traum. Denk an mich, Rudi! Es wird dir wohl gehen bey allem deinem Leiden.
Rudi. O Mutter! Liebe Mutter!
Die Mutter. Aber jezt noch eins, Rudi.
Rudi. Was? Mutter!
Die Mutter. Es liegt mir ſeit geſtern, wie ein Stein, auf dem Herzen. Ich muß dir’s ſagen.
Rudi. Was iſt’s denn, liebe Mutter?
Die Mutter. Ich ſah geſtern, daß ſich der Rudeli hinter meinem Bette verſteckte, und gebra- tene Erdaͤpfel aus ſeinem Sack aß. Er gab auch ſeinen Geſchwiſtern, und auch ſie aſſen verſtohlen. Rudi! Dieſe Erdaͤpfel ſind nicht unſer; ſonſt wuͤrde der Junge ſie auf den Tiſch geworfen, und ſeinen Geſchwiſtern laut gerufen haben, ach! er wuͤrde auch mir einen gebracht haben, wie ers tauſendmal that. Es gieng mir allemal ans Herz, wenn er ſo mit etwas auf den Haͤnden zu mir ſprang, und ſo herzlich zu mir ſagte: Iß auch, Großmutter! O Ru- di! wenn dieſer Herzensjunge ein Dieb werden ſollte. O Rudi! wie mir dieſer Gedanke ſeit geſtern ſo ſchwer macht! Wo iſt er? Bring mir ihn, ich will mit ihm reden.
Rudi.
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wenn die Frucht des Lebens im Herbſt reifet, und
wenn der Baum ſich zum Schlafe des Winters ent-
blaͤttert: dann iſt das Leiden des Lebens ihm hei-
lig, und die Freuden des Lebens ſind ihm nur ein
Traum. Denk an mich, Rudi! Es wird dir wohl
gehen bey allem deinem Leiden.
Rudi. O Mutter! Liebe Mutter!
Die Mutter. Aber jezt noch eins, Rudi.
Rudi. Was? Mutter!
Die Mutter. Es liegt mir ſeit geſtern, wie
ein Stein, auf dem Herzen. Ich muß dir’s ſagen.
Rudi. Was iſt’s denn, liebe Mutter?
Die Mutter. Ich ſah geſtern, daß ſich der
Rudeli hinter meinem Bette verſteckte, und gebra-
tene Erdaͤpfel aus ſeinem Sack aß. Er gab auch
ſeinen Geſchwiſtern, und auch ſie aſſen verſtohlen.
Rudi! Dieſe Erdaͤpfel ſind nicht unſer; ſonſt wuͤrde
der Junge ſie auf den Tiſch geworfen, und ſeinen
Geſchwiſtern laut gerufen haben, ach! er wuͤrde
auch mir einen gebracht haben, wie ers tauſendmal
that. Es gieng mir allemal ans Herz, wenn er ſo
mit etwas auf den Haͤnden zu mir ſprang, und ſo
herzlich zu mir ſagte: Iß auch, Großmutter! O Ru-
di! wenn dieſer Herzensjunge ein Dieb werden ſollte.
O Rudi! wie mir dieſer Gedanke ſeit geſtern ſo
ſchwer macht! Wo iſt er? Bring mir ihn, ich
will mit ihm reden.
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/118>, abgerufen am 22.11.2024.
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