Rudi. O Mutter! Noch nie that mir meine Armuth so weh, als jezt, da ich dir nichts geben und nichts thun kann. Ach Gott! so krank und elend leidest du, und trägst du meinen Mangel --
Die Mutter. Wenn man seinem Ende nahe ist, so braucht man wenig mehr auf Erden, und was man braucht, gibt der Vater im Himmel. Ich danke ihm, Rudi; er stärkt mich in meiner nahen Stunde.
Rudi. (in Thränen) Meynst du denn, Mut- ter! du erholest dich nicht wieder?
Die Mutter. Nein, Rudi! Gewiß nicht.
Rudi. O mein Gott!
Die Mutter. Tröste dich, Rudi! Ich gehe ins bessere Leben.
Rudi. (schluchzend) O Gott!
Die Mutter. Tröste dich, Rudi! Du warst die Freude meiner Jugend, und der Trost meines Alters. Und nun danke ich Gott! Deine Hände werden jezt bald meine Augen schliessen. Dann werde ich zu Gott kommen, und ich will für dich beten, und es wird dir wohl gehen ewiglich. Denk an mich, Rudi. Alles Leiden und aller Jammer dieses Lebens, wenn sie überstanden sind, machen einem nur wohl. Mich tröstet und mir ist wie heilig alles, was ich überstanden habe, so gut als alle Lust und Freude des Lebens. Ich danke Gott, für diese frohe Erquickung der Tage meiner Kindheit; aber
wenn
Rudi. O Mutter! Noch nie that mir meine Armuth ſo weh, als jezt, da ich dir nichts geben und nichts thun kann. Ach Gott! ſo krank und elend leideſt du, und traͤgſt du meinen Mangel —
Die Mutter. Wenn man ſeinem Ende nahe iſt, ſo braucht man wenig mehr auf Erden, und was man braucht, gibt der Vater im Himmel. Ich danke ihm, Rudi; er ſtaͤrkt mich in meiner nahen Stunde.
Rudi. (in Thraͤnen) Meynſt du denn, Mut- ter! du erholeſt dich nicht wieder?
Die Mutter. Nein, Rudi! Gewiß nicht.
Rudi. O mein Gott!
Die Mutter. Troͤſte dich, Rudi! Ich gehe ins beſſere Leben.
Rudi. (ſchluchzend) O Gott!
Die Mutter. Troͤſte dich, Rudi! Du warſt die Freude meiner Jugend, und der Troſt meines Alters. Und nun danke ich Gott! Deine Haͤnde werden jezt bald meine Augen ſchlieſſen. Dann werde ich zu Gott kommen, und ich will fuͤr dich beten, und es wird dir wohl gehen ewiglich. Denk an mich, Rudi. Alles Leiden und aller Jammer dieſes Lebens, wenn ſie uͤberſtanden ſind, machen einem nur wohl. Mich troͤſtet und mir iſt wie heilig alles, was ich uͤberſtanden habe, ſo gut als alle Luſt und Freude des Lebens. Ich danke Gott, fuͤr dieſe frohe Erquickung der Tage meiner Kindheit; aber
wenn
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Rudi. O Mutter! Noch nie that mir meine
Armuth ſo weh, als jezt, da ich dir nichts geben
und nichts thun kann. Ach Gott! ſo krank und
elend leideſt du, und traͤgſt du meinen Mangel —
Die Mutter. Wenn man ſeinem Ende nahe
iſt, ſo braucht man wenig mehr auf Erden, und
was man braucht, gibt der Vater im Himmel. Ich
danke ihm, Rudi; er ſtaͤrkt mich in meiner nahen
Stunde.
Rudi. (in Thraͤnen) Meynſt du denn, Mut-
ter! du erholeſt dich nicht wieder?
Die Mutter. Nein, Rudi! Gewiß nicht.
Rudi. O mein Gott!
Die Mutter. Troͤſte dich, Rudi! Ich gehe
ins beſſere Leben.
Rudi. (ſchluchzend) O Gott!
Die Mutter. Troͤſte dich, Rudi! Du warſt
die Freude meiner Jugend, und der Troſt meines
Alters. Und nun danke ich Gott! Deine Haͤnde
werden jezt bald meine Augen ſchlieſſen. Dann
werde ich zu Gott kommen, und ich will fuͤr dich
beten, und es wird dir wohl gehen ewiglich. Denk
an mich, Rudi. Alles Leiden und aller Jammer
dieſes Lebens, wenn ſie uͤberſtanden ſind, machen
einem nur wohl. Mich troͤſtet und mir iſt wie heilig
alles, was ich uͤberſtanden habe, ſo gut als alle Luſt
und Freude des Lebens. Ich danke Gott, fuͤr dieſe
frohe Erquickung der Tage meiner Kindheit; aber
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/117>, abgerufen am 24.11.2024.
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