Der Mäurer machte die Thüre auf, und die Schnabergritte, des Siegristen Sohnsfrau, und des Vogts Bruders sel. Tochter, kam in die Stube. Nachdem sie den Mäurer und die Frau gegrüßt, dabey aber den Mund nur ein klein wenig aufge- than hatte, sagte sie zu ihm:
Du wirst wohl jezt nicht mehr unsern schlech- ten Ofen bestreichen wollen? Lienhard!
Lienhard. Warum denn das nicht, Frau Nachbarinn? fehlt etwas daran?
Gritte. Nein, jezt gar nicht; ich wollte nur in der Zeit fragen, damit ich in der Noth wisse, woran ich sey.
Lienhard. Du bist so sorgfältig, Grittlj! es hätte aber übel fehlen können.
Gritte. Ja, die Zeiten ändern sich, und mit ihnen die Leute auch.
Lienhard. Das ist wohl wahr: aber Leute zum Ofen bestreichen findet man doch immer.
Gritte. Das ist eben der Vortheil.
Gertrud, die bis jezt so geschwiegen hatte, nimmt das Brodmesser von der Wand, und schneidet von einem altgebachenen Rokkenbrod ein zur Nachtsuppe.
Das
§. 14. Niedriger Eigennutz.
Der Maͤurer machte die Thuͤre auf, und die Schnabergritte, des Siegriſten Sohnsfrau, und des Vogts Bruders ſel. Tochter, kam in die Stube. Nachdem ſie den Maͤurer und die Frau gegruͤßt, dabey aber den Mund nur ein klein wenig aufge- than hatte, ſagte ſie zu ihm:
Du wirſt wohl jezt nicht mehr unſern ſchlech- ten Ofen beſtreichen wollen? Lienhard!
Lienhard. Warum denn das nicht, Frau Nachbarinn? fehlt etwas daran?
Gritte. Nein, jezt gar nicht; ich wollte nur in der Zeit fragen, damit ich in der Noth wiſſe, woran ich ſey.
Lienhard. Du biſt ſo ſorgfaͤltig, Grittlj! es haͤtte aber uͤbel fehlen koͤnnen.
Gritte. Ja, die Zeiten aͤndern ſich, und mit ihnen die Leute auch.
Lienhard. Das iſt wohl wahr: aber Leute zum Ofen beſtreichen findet man doch immer.
Gritte. Das iſt eben der Vortheil.
Gertrud, die bis jezt ſo geſchwiegen hatte, nimmt das Brodmeſſer von der Wand, und ſchneidet von einem altgebachenen Rokkenbrod ein zur Nachtſuppe.
Das
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§. 14.
Niedriger Eigennutz.
Der Maͤurer machte die Thuͤre auf, und die
Schnabergritte, des Siegriſten Sohnsfrau, und
des Vogts Bruders ſel. Tochter, kam in die Stube.
Nachdem ſie den Maͤurer und die Frau gegruͤßt,
dabey aber den Mund nur ein klein wenig aufge-
than hatte, ſagte ſie zu ihm:
Du wirſt wohl jezt nicht mehr unſern ſchlech-
ten Ofen beſtreichen wollen? Lienhard!
Lienhard. Warum denn das nicht, Frau
Nachbarinn? fehlt etwas daran?
Gritte. Nein, jezt gar nicht; ich wollte nur
in der Zeit fragen, damit ich in der Noth wiſſe,
woran ich ſey.
Lienhard. Du biſt ſo ſorgfaͤltig, Grittlj! es
haͤtte aber uͤbel fehlen koͤnnen.
Gritte. Ja, die Zeiten aͤndern ſich, und mit
ihnen die Leute auch.
Lienhard. Das iſt wohl wahr: aber Leute
zum Ofen beſtreichen findet man doch immer.
Gritte. Das iſt eben der Vortheil.
Gertrud, die bis jezt ſo geſchwiegen hatte, nimmt
das Brodmeſſer von der Wand, und ſchneidet von
einem altgebachenen Rokkenbrod ein zur Nachtſuppe.
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/109>, abgerufen am 16.02.2025.
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