die gewiß alle sehr in der Noth waren, zu Tag- löhnern bey diesem Bau angenommen, und er giebt jedem des Tags 25 Kreutzer -- Du Liebe! du hättest sehn sollen, mit was für Sorgfalt er die Leute ausgewählt hat.
Gertrud. O, sag mir doch das recht!
Lienhard. Ja, wenn ich's jezt noch so wüßte.
Gertrud. Besinne dich ein wenig.
Lienhard. Nun denn: Er fragte allen ar- men Hausvätern nach; wie viel Kinder sie hätten, wie groß diese wären; was für Verdienst und Hülfe sie hätten. Dann suchte er die Verdienst- losesten und die, welche am meisten unerzogene Kinder hatten, daraus, und sagte zweymal zu mir: Wenn du jemand kennst, der, wie du, im Drucke ist: so sag es mir. Ich nannte vor allen aus den Hübel Rudj, und der hat jezt für ein Jahr gewiß Verdienst.
Gertrud. Es ist brav, daß du dem Rudj deine Erdäpfel nicht hast entgelten lassen.
Lienhard. Ich könnte keinem Armen nichts nachtragen, Frau! und diese Haushaltung ist erschrecklich elend. Ich habe den Rudelj erst vor ein paar Tagen wieder bey der Grube angetrof- fen; und ich that als ob ich ihn nicht sähe. Es gieng mir ans Herz; er sieht aus wie Theurung und Hunger, und wir hatten doch in Gottes Namen zuletzt noch immer zu essen.
Gertrud.
die gewiß alle ſehr in der Noth waren, zu Tag- loͤhnern bey dieſem Bau angenommen, und er giebt jedem des Tags 25 Kreutzer — Du Liebe! du haͤtteſt ſehn ſollen, mit was fuͤr Sorgfalt er die Leute ausgewaͤhlt hat.
Gertrud. O, ſag mir doch das recht!
Lienhard. Ja, wenn ich’s jezt noch ſo wuͤßte.
Gertrud. Beſinne dich ein wenig.
Lienhard. Nun denn: Er fragte allen ar- men Hausvaͤtern nach; wie viel Kinder ſie haͤtten, wie groß dieſe waͤren; was fuͤr Verdienſt und Huͤlfe ſie haͤtten. Dann ſuchte er die Verdienſt- loſeſten und die, welche am meiſten unerzogene Kinder hatten, daraus, und ſagte zweymal zu mir: Wenn du jemand kennſt, der, wie du, im Drucke iſt: ſo ſag es mir. Ich nannte vor allen aus den Huͤbel Rudj, und der hat jezt fuͤr ein Jahr gewiß Verdienſt.
Gertrud. Es iſt brav, daß du dem Rudj deine Erdaͤpfel nicht haſt entgelten laſſen.
Lienhard. Ich koͤnnte keinem Armen nichts nachtragen, Frau! und dieſe Haushaltung iſt erſchrecklich elend. Ich habe den Rudelj erſt vor ein paar Tagen wieder bey der Grube angetrof- fen; und ich that als ob ich ihn nicht ſaͤhe. Es gieng mir ans Herz; er ſieht aus wie Theurung und Hunger, und wir hatten doch in Gottes Namen zuletzt noch immer zu eſſen.
Gertrud.
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[78/0103]
die gewiß alle ſehr in der Noth waren, zu Tag-
loͤhnern bey dieſem Bau angenommen, und er
giebt jedem des Tags 25 Kreutzer — Du Liebe!
du haͤtteſt ſehn ſollen, mit was fuͤr Sorgfalt er
die Leute ausgewaͤhlt hat.
Gertrud. O, ſag mir doch das recht!
Lienhard. Ja, wenn ich’s jezt noch ſo wuͤßte.
Gertrud. Beſinne dich ein wenig.
Lienhard. Nun denn: Er fragte allen ar-
men Hausvaͤtern nach; wie viel Kinder ſie haͤtten,
wie groß dieſe waͤren; was fuͤr Verdienſt und
Huͤlfe ſie haͤtten. Dann ſuchte er die Verdienſt-
loſeſten und die, welche am meiſten unerzogene
Kinder hatten, daraus, und ſagte zweymal zu mir:
Wenn du jemand kennſt, der, wie du, im Drucke
iſt: ſo ſag es mir. Ich nannte vor allen aus den
Huͤbel Rudj, und der hat jezt fuͤr ein Jahr gewiß
Verdienſt.
Gertrud. Es iſt brav, daß du dem Rudj deine
Erdaͤpfel nicht haſt entgelten laſſen.
Lienhard. Ich koͤnnte keinem Armen nichts
nachtragen, Frau! und dieſe Haushaltung iſt
erſchrecklich elend. Ich habe den Rudelj erſt vor
ein paar Tagen wieder bey der Grube angetrof-
fen; und ich that als ob ich ihn nicht ſaͤhe. Es
gieng mir ans Herz; er ſieht aus wie Theurung und
Hunger, und wir hatten doch in Gottes Namen
zuletzt noch immer zu eſſen.
Gertrud.
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[Pestalozzi, Johann Heinrich]: Lienhard und Gertrud. [Bd. 1]. Berlin u. a., 1781, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/pestalozzi_lienhard01_1781/103>, abgerufen am 24.11.2024.
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