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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die Grössenverhältnisse des Gehirnschädels.
noch die Hoffnung nähren, dass es dem Scharfblick eines Be-
obachters früher oder später gelingen möge in scheinbar gleich-
giltigen Grössenverhältnissen den Schlüssel zum Verständnisse der
übrigen zu entdecken. Vielleicht wird noch genau festgestellt, durch
welches Wachsthum der einzelnen Knochen die Form des Kopfes
bedingt werde 1) und deshalb muss vorzüglich die Länge der ein-
zelnen Nähte zum Erwerb eines statistischen Schatzes festgestellt
werden. Mit diesen Vorarbeiten zu künftigen Erkenntnissen kann
sich aber die heutige Völkerkunde nicht beschäftigen, sondern muss
sich mit den bereits festgestellten Unterschieden begnügen.

Leider gibt es kein übereinstimmendes Messverfahren. In Eng-
land geht man anders zu Werke als in Frankreich, und in Deutsch-
land befolgen kaum zwei Craniologen die gleichen Vorschriften.
"Dem einfachen, sowohl als dem wissenschaftlichen Beobachter",
bemerkt Virchow 2), "liegt daran, einen bestimmten Zusammenhang
zwischen Schädelform, Gesichtsbildung und Gehirnbau zu finden".
Je nachdem der eine da oder dort diesen Zusammenhang zu er-
kennen hofft, wird er seine Messungen einrichten. Ehe aber ein
solcher Zusammenhang wirklich entdeckt worden ist, müssen wir
uns allein an die Raumverhältnisse halten. Retzius war der erste,
der uns aus dem Vergleiche des Längen- und Breitendurchmessers
Lang- und Breitschädel (Dolichocephalen und Brachycephalen) unter-
scheiden lehrte, wenn er auch noch keine scharfen Grenzen zwi-
schen diesen Formen zog. Schon beim Aufsuchen der Schädel-
durchmesser werden aber verschiedene Wege eingeschlagen. Die
Dicke der Hirnschädelknochen ist nämlich eine sehr schwankende.
Wenn wir einen Massstab an die Wände eines senkrechten Schädel-
querschnittes anlegen, so finden wir meistens zwei bis fünf Milli-
meter für die Mächtigkeit der Knochenplatten. Diese Schwan-
kungen würden bei den Messungen keine Störung hervorrufen, da
sie gleichmässig die Längs- wie die Querdurchmesser steigern
oder herabsetzen können. An andern Stellen aber und gerade da,
wo wir die grösste Axe des Schädels zu suchen haben, klafft das
Stirnbein in eine doppelte, eine äussere und innere Knochentafel
auseinander um beträchtliche Hohlräume einzuschliessen. Am
Hinterhaupt wiederum wird die innere und äussere Knochenschicht

1) Virchow, Die Entwicklung des Schädelgrundes. Berlin 1857. S. 81.
2) Virchow, l. c. S. 9.

Die Grössenverhältnisse des Gehirnschädels.
noch die Hoffnung nähren, dass es dem Scharfblick eines Be-
obachters früher oder später gelingen möge in scheinbar gleich-
giltigen Grössenverhältnissen den Schlüssel zum Verständnisse der
übrigen zu entdecken. Vielleicht wird noch genau festgestellt, durch
welches Wachsthum der einzelnen Knochen die Form des Kopfes
bedingt werde 1) und deshalb muss vorzüglich die Länge der ein-
zelnen Nähte zum Erwerb eines statistischen Schatzes festgestellt
werden. Mit diesen Vorarbeiten zu künftigen Erkenntnissen kann
sich aber die heutige Völkerkunde nicht beschäftigen, sondern muss
sich mit den bereits festgestellten Unterschieden begnügen.

Leider gibt es kein übereinstimmendes Messverfahren. In Eng-
land geht man anders zu Werke als in Frankreich, und in Deutsch-
land befolgen kaum zwei Craniologen die gleichen Vorschriften.
„Dem einfachen, sowohl als dem wissenschaftlichen Beobachter“,
bemerkt Virchow 2), „liegt daran, einen bestimmten Zusammenhang
zwischen Schädelform, Gesichtsbildung und Gehirnbau zu finden“.
Je nachdem der eine da oder dort diesen Zusammenhang zu er-
kennen hofft, wird er seine Messungen einrichten. Ehe aber ein
solcher Zusammenhang wirklich entdeckt worden ist, müssen wir
uns allein an die Raumverhältnisse halten. Retzius war der erste,
der uns aus dem Vergleiche des Längen- und Breitendurchmessers
Lang- und Breitschädel (Dolichocephalen und Brachycephalen) unter-
scheiden lehrte, wenn er auch noch keine scharfen Grenzen zwi-
schen diesen Formen zog. Schon beim Aufsuchen der Schädel-
durchmesser werden aber verschiedene Wege eingeschlagen. Die
Dicke der Hirnschädelknochen ist nämlich eine sehr schwankende.
Wenn wir einen Massstab an die Wände eines senkrechten Schädel-
querschnittes anlegen, so finden wir meistens zwei bis fünf Milli-
meter für die Mächtigkeit der Knochenplatten. Diese Schwan-
kungen würden bei den Messungen keine Störung hervorrufen, da
sie gleichmässig die Längs- wie die Querdurchmesser steigern
oder herabsetzen können. An andern Stellen aber und gerade da,
wo wir die grösste Axe des Schädels zu suchen haben, klafft das
Stirnbein in eine doppelte, eine äussere und innere Knochentafel
auseinander um beträchtliche Hohlräume einzuschliessen. Am
Hinterhaupt wiederum wird die innere und äussere Knochenschicht

1) Virchow, Die Entwicklung des Schädelgrundes. Berlin 1857. S. 81.
2) Virchow, l. c. S. 9.
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[54/0072] Die Grössenverhältnisse des Gehirnschädels. noch die Hoffnung nähren, dass es dem Scharfblick eines Be- obachters früher oder später gelingen möge in scheinbar gleich- giltigen Grössenverhältnissen den Schlüssel zum Verständnisse der übrigen zu entdecken. Vielleicht wird noch genau festgestellt, durch welches Wachsthum der einzelnen Knochen die Form des Kopfes bedingt werde 1) und deshalb muss vorzüglich die Länge der ein- zelnen Nähte zum Erwerb eines statistischen Schatzes festgestellt werden. Mit diesen Vorarbeiten zu künftigen Erkenntnissen kann sich aber die heutige Völkerkunde nicht beschäftigen, sondern muss sich mit den bereits festgestellten Unterschieden begnügen. Leider gibt es kein übereinstimmendes Messverfahren. In Eng- land geht man anders zu Werke als in Frankreich, und in Deutsch- land befolgen kaum zwei Craniologen die gleichen Vorschriften. „Dem einfachen, sowohl als dem wissenschaftlichen Beobachter“, bemerkt Virchow 2), „liegt daran, einen bestimmten Zusammenhang zwischen Schädelform, Gesichtsbildung und Gehirnbau zu finden“. Je nachdem der eine da oder dort diesen Zusammenhang zu er- kennen hofft, wird er seine Messungen einrichten. Ehe aber ein solcher Zusammenhang wirklich entdeckt worden ist, müssen wir uns allein an die Raumverhältnisse halten. Retzius war der erste, der uns aus dem Vergleiche des Längen- und Breitendurchmessers Lang- und Breitschädel (Dolichocephalen und Brachycephalen) unter- scheiden lehrte, wenn er auch noch keine scharfen Grenzen zwi- schen diesen Formen zog. Schon beim Aufsuchen der Schädel- durchmesser werden aber verschiedene Wege eingeschlagen. Die Dicke der Hirnschädelknochen ist nämlich eine sehr schwankende. Wenn wir einen Massstab an die Wände eines senkrechten Schädel- querschnittes anlegen, so finden wir meistens zwei bis fünf Milli- meter für die Mächtigkeit der Knochenplatten. Diese Schwan- kungen würden bei den Messungen keine Störung hervorrufen, da sie gleichmässig die Längs- wie die Querdurchmesser steigern oder herabsetzen können. An andern Stellen aber und gerade da, wo wir die grösste Axe des Schädels zu suchen haben, klafft das Stirnbein in eine doppelte, eine äussere und innere Knochentafel auseinander um beträchtliche Hohlräume einzuschliessen. Am Hinterhaupt wiederum wird die innere und äussere Knochenschicht 1) Virchow, Die Entwicklung des Schädelgrundes. Berlin 1857. S. 81. 2) Virchow, l. c. S. 9.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/72>, abgerufen am 23.12.2024.