Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

Bild:
<< vorherige Seite

Die mittelländische Race.
Insecten beim Fischfang mit der Angel und die Wahl dieser
Phantome je nach der erwünschten Fischart, der Jahreszeit oder
dem Wetter haben die Engländer zuerst den Indianern an den
Flüssen Guayana's abgelauscht und von den rohen Naturkindern
Brasiliens wurden Portugiesen in der Zubereitung der Tapioca
unterrichtet1). Das einfachste und zugleich ein ungemein maleri-
sches Männergewand, nämlich der Poncho, welcher im spanischen
Amerika heutzutage allenthalben getragen wird, war die Volks-
tracht der tapfern Araucaner2). Selbst im Bau von Fahrzeugen
konnten wir erst in unseren Tagen von fälschlich missachteten
Völkern, wie den Eskimo, etwas lernen, denn ihre Kayaken wurden
die Muster zu unsern Lustgondeln mit geschlossenen Räumen am
Schnabel und Stern.

Wenn also selbst bei unseren reifen Zuständen ein Umgang
mit jugendlichen Stämmen immer noch Nutzen trägt, wie ent-
scheidend musste es für uns gewesen sein, als unsere Lehrjahre
begannen, dass die Zugänglichkeit und Aufgeschlossenheit unseres
Welttheils den Zutritt der geistig bereicherten Völker Asiens und
Afrikas erleichterte? Ein Misskennen der Culturgeschichte aber
wäre es, wollte man schliessen, dass die Europäer, weil sie einen
reich gegliederten Welttheil bewohnten, nothwendig durch ihre
Leistungen zu allen Zeiten hätten hervorleuchten sollen. Für jene
Franzosen, welche in den Höhlen der Dordogne hausten, mit Stein-
werkzeugen das wilde Pferd um seines Fleisches willen jagten, zu
einer Zeit, wo der vorweltliche Elephant noch Nordeuropa durch-
schritt, war es völlig unerheblich, ob ihr Welttheil halbinselförmig
gestaltet, sowie mit Sunden und Golfen reich gesegnet war. Auf
den niedrigsten Stufen unserer Entwickelung, wo die Sorge für den
täglichen Unterhalt fast den ausschliesslichen Lebenszweck bildet,
wo das einzige nicht thierische Bedürfniss, merkwürdiger Weise
ein ästhetisches, vorläufig nur darin Befriedigung sucht, dass etwa
hübsche Muscheln, an eine Schnur gereiht, den Hals oder die
Knöchel zieren sollen, haben weder wagrechte noch senkrechte
Gliederungen oder andere geographische Charakterzüge irgend
einen Werth zur Besänftigung der rohen Menschennatur besessen.

1) S. oben S. 451.
2) Waitz, Anthropologie. Bd. 3. 510.

Die mittelländische Race.
Insecten beim Fischfang mit der Angel und die Wahl dieser
Phantome je nach der erwünschten Fischart, der Jahreszeit oder
dem Wetter haben die Engländer zuerst den Indianern an den
Flüssen Guayana’s abgelauscht und von den rohen Naturkindern
Brasiliens wurden Portugiesen in der Zubereitung der Tapioca
unterrichtet1). Das einfachste und zugleich ein ungemein maleri-
sches Männergewand, nämlich der Poncho, welcher im spanischen
Amerika heutzutage allenthalben getragen wird, war die Volks-
tracht der tapfern Araucaner2). Selbst im Bau von Fahrzeugen
konnten wir erst in unseren Tagen von fälschlich missachteten
Völkern, wie den Eskimo, etwas lernen, denn ihre Kayaken wurden
die Muster zu unsern Lustgondeln mit geschlossenen Räumen am
Schnabel und Stern.

Wenn also selbst bei unseren reifen Zuständen ein Umgang
mit jugendlichen Stämmen immer noch Nutzen trägt, wie ent-
scheidend musste es für uns gewesen sein, als unsere Lehrjahre
begannen, dass die Zugänglichkeit und Aufgeschlossenheit unseres
Welttheils den Zutritt der geistig bereicherten Völker Asiens und
Afrikas erleichterte? Ein Misskennen der Culturgeschichte aber
wäre es, wollte man schliessen, dass die Europäer, weil sie einen
reich gegliederten Welttheil bewohnten, nothwendig durch ihre
Leistungen zu allen Zeiten hätten hervorleuchten sollen. Für jene
Franzosen, welche in den Höhlen der Dordogne hausten, mit Stein-
werkzeugen das wilde Pferd um seines Fleisches willen jagten, zu
einer Zeit, wo der vorweltliche Elephant noch Nordeuropa durch-
schritt, war es völlig unerheblich, ob ihr Welttheil halbinselförmig
gestaltet, sowie mit Sunden und Golfen reich gesegnet war. Auf
den niedrigsten Stufen unserer Entwickelung, wo die Sorge für den
täglichen Unterhalt fast den ausschliesslichen Lebenszweck bildet,
wo das einzige nicht thierische Bedürfniss, merkwürdiger Weise
ein ästhetisches, vorläufig nur darin Befriedigung sucht, dass etwa
hübsche Muscheln, an eine Schnur gereiht, den Hals oder die
Knöchel zieren sollen, haben weder wagrechte noch senkrechte
Gliederungen oder andere geographische Charakterzüge irgend
einen Werth zur Besänftigung der rohen Menschennatur besessen.

1) S. oben S. 451.
2) Waitz, Anthropologie. Bd. 3. 510.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0569" n="551"/><fw place="top" type="header">Die mittelländische Race.</fw><lb/>
Insecten beim Fischfang mit der Angel und die Wahl dieser<lb/>
Phantome je nach der erwünschten Fischart, der Jahreszeit oder<lb/>
dem Wetter haben die Engländer zuerst den Indianern an den<lb/>
Flüssen Guayana&#x2019;s abgelauscht und von den rohen Naturkindern<lb/>
Brasiliens wurden Portugiesen in der Zubereitung der Tapioca<lb/>
unterrichtet<note place="foot" n="1)">S. oben S. 451.</note>. Das einfachste und zugleich ein ungemein maleri-<lb/>
sches Männergewand, nämlich der Poncho, welcher im spanischen<lb/>
Amerika heutzutage allenthalben getragen wird, war die Volks-<lb/>
tracht der tapfern Araucaner<note place="foot" n="2)"><hi rendition="#g">Waitz</hi>, Anthropologie. Bd. 3. 510.</note>. Selbst im Bau von Fahrzeugen<lb/>
konnten wir erst in unseren Tagen von fälschlich missachteten<lb/>
Völkern, wie den Eskimo, etwas lernen, denn ihre Kayaken wurden<lb/>
die Muster zu unsern Lustgondeln mit geschlossenen Räumen am<lb/>
Schnabel und Stern.</p><lb/>
            <p>Wenn also selbst bei unseren reifen Zuständen ein Umgang<lb/>
mit jugendlichen Stämmen immer noch Nutzen trägt, wie ent-<lb/>
scheidend musste es für uns gewesen sein, als unsere Lehrjahre<lb/>
begannen, dass die Zugänglichkeit und Aufgeschlossenheit unseres<lb/>
Welttheils den Zutritt der geistig bereicherten Völker Asiens und<lb/>
Afrikas erleichterte? Ein Misskennen der Culturgeschichte aber<lb/>
wäre es, wollte man schliessen, dass die Europäer, weil sie einen<lb/>
reich gegliederten Welttheil bewohnten, nothwendig durch ihre<lb/>
Leistungen zu allen Zeiten hätten hervorleuchten sollen. Für jene<lb/>
Franzosen, welche in den Höhlen der Dordogne hausten, mit Stein-<lb/>
werkzeugen das wilde Pferd um seines Fleisches willen jagten, zu<lb/>
einer Zeit, wo der vorweltliche Elephant noch Nordeuropa durch-<lb/>
schritt, war es völlig unerheblich, ob ihr Welttheil halbinselförmig<lb/>
gestaltet, sowie mit Sunden und Golfen reich gesegnet war. Auf<lb/>
den niedrigsten Stufen unserer Entwickelung, wo die Sorge für den<lb/>
täglichen Unterhalt fast den ausschliesslichen Lebenszweck bildet,<lb/>
wo das einzige nicht thierische Bedürfniss, merkwürdiger Weise<lb/>
ein ästhetisches, vorläufig nur darin Befriedigung sucht, dass etwa<lb/>
hübsche Muscheln, an eine Schnur gereiht, den Hals oder die<lb/>
Knöchel zieren sollen, haben weder wagrechte noch senkrechte<lb/>
Gliederungen oder andere geographische Charakterzüge irgend<lb/>
einen Werth zur Besänftigung der rohen Menschennatur besessen.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[551/0569] Die mittelländische Race. Insecten beim Fischfang mit der Angel und die Wahl dieser Phantome je nach der erwünschten Fischart, der Jahreszeit oder dem Wetter haben die Engländer zuerst den Indianern an den Flüssen Guayana’s abgelauscht und von den rohen Naturkindern Brasiliens wurden Portugiesen in der Zubereitung der Tapioca unterrichtet 1). Das einfachste und zugleich ein ungemein maleri- sches Männergewand, nämlich der Poncho, welcher im spanischen Amerika heutzutage allenthalben getragen wird, war die Volks- tracht der tapfern Araucaner 2). Selbst im Bau von Fahrzeugen konnten wir erst in unseren Tagen von fälschlich missachteten Völkern, wie den Eskimo, etwas lernen, denn ihre Kayaken wurden die Muster zu unsern Lustgondeln mit geschlossenen Räumen am Schnabel und Stern. Wenn also selbst bei unseren reifen Zuständen ein Umgang mit jugendlichen Stämmen immer noch Nutzen trägt, wie ent- scheidend musste es für uns gewesen sein, als unsere Lehrjahre begannen, dass die Zugänglichkeit und Aufgeschlossenheit unseres Welttheils den Zutritt der geistig bereicherten Völker Asiens und Afrikas erleichterte? Ein Misskennen der Culturgeschichte aber wäre es, wollte man schliessen, dass die Europäer, weil sie einen reich gegliederten Welttheil bewohnten, nothwendig durch ihre Leistungen zu allen Zeiten hätten hervorleuchten sollen. Für jene Franzosen, welche in den Höhlen der Dordogne hausten, mit Stein- werkzeugen das wilde Pferd um seines Fleisches willen jagten, zu einer Zeit, wo der vorweltliche Elephant noch Nordeuropa durch- schritt, war es völlig unerheblich, ob ihr Welttheil halbinselförmig gestaltet, sowie mit Sunden und Golfen reich gesegnet war. Auf den niedrigsten Stufen unserer Entwickelung, wo die Sorge für den täglichen Unterhalt fast den ausschliesslichen Lebenszweck bildet, wo das einzige nicht thierische Bedürfniss, merkwürdiger Weise ein ästhetisches, vorläufig nur darin Befriedigung sucht, dass etwa hübsche Muscheln, an eine Schnur gereiht, den Hals oder die Knöchel zieren sollen, haben weder wagrechte noch senkrechte Gliederungen oder andere geographische Charakterzüge irgend einen Werth zur Besänftigung der rohen Menschennatur besessen. 1) S. oben S. 451. 2) Waitz, Anthropologie. Bd. 3. 510.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/569
Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 551. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/569>, abgerufen am 23.12.2024.