Gliederreicher waren die Südeuropäer. Von ihnen sonderten sich zunächst die Altgriechen ab, deren Sprache im Neugriechisch noch gut erhalten fortlebt. Zu nördlichen Nachbarn hatten die Bewohner des Hellas in Thracien und Illyrien Völker, deren Sprache jetzt verschwunden ist, bis auf einen Abkömmling im heutigen Albanien. Dort sitzen nämlich die Schkipetaren oder "Bergbewohner", von den Türken Arnauten, von uns Albanesen genannt. Ihre Sprache gehört jedenfalls zu dem indoeuropäischen Stamm, steht aber ohne geschwisterliche Beziehung zu irgend einem der übrigen Glieder völlig vereinsamt. Als dritter Ast der Südeuropäer sind die Italier zu nennen, die früher die umbrischen, lateinischen und oskischen Mundarten redeten. Einem neuen Sprachforscher, Corssen, soll es geglückt sein, auch das etrus- kische als eine altitalische Sprache entziffert zu haben, doch er- warten wir noch immer mit Spannung die Veröffentlichung der Beweise. Die Römer erhoben zur Sprache ihres Weltreiches das Lateinische, als dessen Töchter das Portugiesische, Spanische, Ca- talanische, Provencalische, Nordfranzösische, Italienische und die ladinschen wie romanschen Mundarten in den schweizer und tyroler Alpen, ferner das stark mit keltischen Stoffen gemischte Furlanische in Friaul und im Venetianischen, endlich in Siebenbürgen, etlichen ungarischen Grafschaften sowie in der Walachei und Moldau unter slavischen Bevölkerungen das Rumänische aufgeblüht ist. Den letzten Ast der Südeuropäer vertreten die Kelten, welche ehemals die Alpenländer und Süddeutschland bewohnten, in Frank- reich die Basken weit zurückdrängten und die britischen Inseln bevölkerten. Fast überall sind sie vertrieben oder theils romani- sirt, theils germanisirt worden. Nur im äussersten Norden und Westen ihres Gebietes hat sich in der Bretagne und in Wales die kymrische Mundart erhalten, während in den westlichen Graf- schaften Irlands, auf der Insel Man und in Schottland1) noch Be- völkerungen die gaelische oder gadhelische Mundart reden.
Die Indoeuropäer besitzen die Racenmerkmale der mittel-
1) Unvermischt gesprochen wird das Gaelische nur noch an der Nord- ostecke von Schottland, vermischt mit Englisch dagegen westlich von einer Linie, die vom Moray Firth gewölbt gegen Osten nach der Clydemündung führt. Murray, Map of Scotland showing the present limits of the Gaelie language in Transactions of the Philological Society. 1870--1872.
Die mittelländische Race.
Gliederreicher waren die Südeuropäer. Von ihnen sonderten sich zunächst die Altgriechen ab, deren Sprache im Neugriechisch noch gut erhalten fortlebt. Zu nördlichen Nachbarn hatten die Bewohner des Hellas in Thracien und Illyrien Völker, deren Sprache jetzt verschwunden ist, bis auf einen Abkömmling im heutigen Albanien. Dort sitzen nämlich die Schkipetaren oder „Bergbewohner“, von den Türken Arnauten, von uns Albanesen genannt. Ihre Sprache gehört jedenfalls zu dem indoeuropäischen Stamm, steht aber ohne geschwisterliche Beziehung zu irgend einem der übrigen Glieder völlig vereinsamt. Als dritter Ast der Südeuropäer sind die Italier zu nennen, die früher die umbrischen, lateinischen und oskischen Mundarten redeten. Einem neuen Sprachforscher, Corssen, soll es geglückt sein, auch das etrus- kische als eine altitalische Sprache entziffert zu haben, doch er- warten wir noch immer mit Spannung die Veröffentlichung der Beweise. Die Römer erhoben zur Sprache ihres Weltreiches das Lateinische, als dessen Töchter das Portugiesische, Spanische, Ca- talanische, Provençalische, Nordfranzösische, Italienische und die ladinschen wie romanschen Mundarten in den schweizer und tyroler Alpen, ferner das stark mit keltischen Stoffen gemischte Furlanische in Friaul und im Venetianischen, endlich in Siebenbürgen, etlichen ungarischen Grafschaften sowie in der Walachei und Moldau unter slavischen Bevölkerungen das Rumänische aufgeblüht ist. Den letzten Ast der Südeuropäer vertreten die Kelten, welche ehemals die Alpenländer und Süddeutschland bewohnten, in Frank- reich die Basken weit zurückdrängten und die britischen Inseln bevölkerten. Fast überall sind sie vertrieben oder theils romani- sirt, theils germanisirt worden. Nur im äussersten Norden und Westen ihres Gebietes hat sich in der Bretagne und in Wales die kymrische Mundart erhalten, während in den westlichen Graf- schaften Irlands, auf der Insel Man und in Schottland1) noch Be- völkerungen die gaelische oder gadhelische Mundart reden.
Die Indoeuropäer besitzen die Racenmerkmale der mittel-
1) Unvermischt gesprochen wird das Gaelische nur noch an der Nord- ostecke von Schottland, vermischt mit Englisch dagegen westlich von einer Linie, die vom Moray Firth gewölbt gegen Osten nach der Clydemündung führt. Murray, Map of Scotland showing the present limits of the Gaelie language in Transactions of the Philological Society. 1870—1872.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0561"n="543"/><fwplace="top"type="header">Die mittelländische Race.</fw><lb/><p>Gliederreicher waren die Südeuropäer. Von ihnen sonderten<lb/>
sich zunächst die Altgriechen ab, deren Sprache im Neugriechisch<lb/>
noch gut erhalten fortlebt. Zu nördlichen Nachbarn hatten die<lb/>
Bewohner des Hellas in Thracien und Illyrien Völker, deren<lb/>
Sprache jetzt verschwunden ist, bis auf einen Abkömmling im<lb/>
heutigen Albanien. Dort sitzen nämlich die Schkipetaren oder<lb/>„Bergbewohner“, von den Türken Arnauten, von uns Albanesen<lb/>
genannt. Ihre Sprache gehört jedenfalls zu dem indoeuropäischen<lb/>
Stamm, steht aber ohne geschwisterliche Beziehung zu irgend<lb/>
einem der übrigen Glieder völlig vereinsamt. Als dritter Ast der<lb/>
Südeuropäer sind die Italier zu nennen, die früher die umbrischen,<lb/>
lateinischen und oskischen Mundarten redeten. Einem neuen<lb/>
Sprachforscher, Corssen, soll es geglückt sein, auch das etrus-<lb/>
kische als eine altitalische Sprache entziffert zu haben, doch er-<lb/>
warten wir noch immer mit Spannung die Veröffentlichung der<lb/>
Beweise. Die Römer erhoben zur Sprache ihres Weltreiches das<lb/>
Lateinische, als dessen Töchter das Portugiesische, Spanische, Ca-<lb/>
talanische, Provençalische, Nordfranzösische, Italienische und die<lb/>
ladinschen wie romanschen Mundarten in den schweizer und tyroler<lb/>
Alpen, ferner das stark mit keltischen Stoffen gemischte Furlanische<lb/>
in Friaul und im Venetianischen, endlich in Siebenbürgen, etlichen<lb/>
ungarischen Grafschaften sowie in der Walachei und Moldau<lb/>
unter slavischen Bevölkerungen das Rumänische aufgeblüht ist.<lb/>
Den letzten Ast der Südeuropäer vertreten die Kelten, welche<lb/>
ehemals die Alpenländer und Süddeutschland bewohnten, in Frank-<lb/>
reich die Basken weit zurückdrängten und die britischen Inseln<lb/>
bevölkerten. Fast überall sind sie vertrieben oder theils romani-<lb/>
sirt, theils germanisirt worden. Nur im äussersten Norden und<lb/>
Westen ihres Gebietes hat sich in der Bretagne und in Wales die<lb/>
kymrische Mundart erhalten, während in den westlichen Graf-<lb/>
schaften Irlands, auf der Insel Man und in Schottland<noteplace="foot"n="1)">Unvermischt gesprochen wird das Gaelische nur noch an der Nord-<lb/>
ostecke von Schottland, vermischt mit Englisch dagegen westlich von einer<lb/>
Linie, die vom Moray Firth gewölbt gegen Osten nach der Clydemündung<lb/>
führt. <hirendition="#g">Murray</hi>, Map of Scotland showing the present limits of the Gaelie<lb/>
language in Transactions of the Philological Society. 1870—1872.</note> noch Be-<lb/>
völkerungen die gaelische oder gadhelische Mundart reden.</p><lb/><p>Die Indoeuropäer besitzen die Racenmerkmale der mittel-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[543/0561]
Die mittelländische Race.
Gliederreicher waren die Südeuropäer. Von ihnen sonderten
sich zunächst die Altgriechen ab, deren Sprache im Neugriechisch
noch gut erhalten fortlebt. Zu nördlichen Nachbarn hatten die
Bewohner des Hellas in Thracien und Illyrien Völker, deren
Sprache jetzt verschwunden ist, bis auf einen Abkömmling im
heutigen Albanien. Dort sitzen nämlich die Schkipetaren oder
„Bergbewohner“, von den Türken Arnauten, von uns Albanesen
genannt. Ihre Sprache gehört jedenfalls zu dem indoeuropäischen
Stamm, steht aber ohne geschwisterliche Beziehung zu irgend
einem der übrigen Glieder völlig vereinsamt. Als dritter Ast der
Südeuropäer sind die Italier zu nennen, die früher die umbrischen,
lateinischen und oskischen Mundarten redeten. Einem neuen
Sprachforscher, Corssen, soll es geglückt sein, auch das etrus-
kische als eine altitalische Sprache entziffert zu haben, doch er-
warten wir noch immer mit Spannung die Veröffentlichung der
Beweise. Die Römer erhoben zur Sprache ihres Weltreiches das
Lateinische, als dessen Töchter das Portugiesische, Spanische, Ca-
talanische, Provençalische, Nordfranzösische, Italienische und die
ladinschen wie romanschen Mundarten in den schweizer und tyroler
Alpen, ferner das stark mit keltischen Stoffen gemischte Furlanische
in Friaul und im Venetianischen, endlich in Siebenbürgen, etlichen
ungarischen Grafschaften sowie in der Walachei und Moldau
unter slavischen Bevölkerungen das Rumänische aufgeblüht ist.
Den letzten Ast der Südeuropäer vertreten die Kelten, welche
ehemals die Alpenländer und Süddeutschland bewohnten, in Frank-
reich die Basken weit zurückdrängten und die britischen Inseln
bevölkerten. Fast überall sind sie vertrieben oder theils romani-
sirt, theils germanisirt worden. Nur im äussersten Norden und
Westen ihres Gebietes hat sich in der Bretagne und in Wales die
kymrische Mundart erhalten, während in den westlichen Graf-
schaften Irlands, auf der Insel Man und in Schottland 1) noch Be-
völkerungen die gaelische oder gadhelische Mundart reden.
Die Indoeuropäer besitzen die Racenmerkmale der mittel-
1) Unvermischt gesprochen wird das Gaelische nur noch an der Nord-
ostecke von Schottland, vermischt mit Englisch dagegen westlich von einer
Linie, die vom Moray Firth gewölbt gegen Osten nach der Clydemündung
führt. Murray, Map of Scotland showing the present limits of the Gaelie
language in Transactions of the Philological Society. 1870—1872.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 543. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/561>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.