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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die Neger.
locker zusammengefügt; der Kraal vertritt dort häufig das Dorf
mit Pfahlwerk oder die Städte, wie sie dem Sudan eigen sind. An
Despoten von grosser räumlicher Macht aber kurzer Regierungs-
dauer fehlt es zwar nicht, dennoch entbehrt Südafrika einer fort-
laufenden Geschichte, wie sich die Negerreiche im Süden der Sa-
hara einer solchen rühmen dürfen.

Das Fetischwesen in Mittelafrika, der Vorfahrendienst der
Bantuneger, das Treiben ihrer Schamanen und ihre Gottesgerichte
haben uns schon an früheren Stellen beschäftigt1). Ebenso hatten
wir schon Gelegenheit, von den Kafirn zu rühmen, dass sie das
Wergeld an ihre Häuptlinge entrichten. Hier müssen wir noch
hinzufügen, dass von allen Halbculturstämmen die Neger am eif-
rigsten das bürgerliche Recht ausgebildet haben. Afrikanische
Gerichtsverhandlungen ziehen obendrein die Neugierigen eben so
mächtig an als bei uns ein Theaterstück und an dramatischer
Spannung sowie an Aufwand von Beredsamkeit oder von Schlau-
heit ist bei den streitenden Parteien kein Mangel2). Meisterhaft
verstehen die Bantu durch Kreuz- und Querfragen einen Gegner
in Verwirrung zu setzen3). Hat doch Bischof Colenso in Natal
versichert, dass er erst durch die Einwände seiner Kafirzöglinge
zum Zweifler an der mosaischen Schöpfungsgeschichte geworden
sei. In bürgerlichen Streitigkeiten kann gegen die Entscheidung
des Dorfrichters der Rechtsfall zunächst an den Districthäuptling
und von diesem wieder an das Oberhaupt gebracht werden4).
Die Urtel werden gefällt durch einen Rath alter rechtskundiger
Männer nach dem Herkommen und nach den Grundsätzen, die
bei früheren Sprüchen beobachtet wurden. Gleicht der Fall keinem
älteren, so wendet man sich um Belehrung an die Rechtskundigen
in andern Stämmen. Es hat sich sogar zugetragen, dass bei einer
schwierigen Rechtsfrage auch die fremden Richter keinen Präcedenz-
fall kannten und es wurde schliesslich der Urtelsspruch gänzlich
versagt, um nicht einen neuen vielleicht irrigen Grundsatz zur
Geltung zu bringen5). Ein geschärftes Rechtsverständniss der

1) S. oben S. 259. S. 272. S. 279.
2) Casalis, Les Bassoutos. Paris 1859. p. 242--243,
3) Ausland. 1863. S. 1044.
4) Maclean, Kafir Laws and Customs. Mount Coke 1858. p. 143.
5) Friedr. Müller, Reise der Fregatte Novara. Anthropologie. 3. Ab-
theilung. S. 108.
Peschel, Völkerkunde. 33

Die Neger.
locker zusammengefügt; der Kraal vertritt dort häufig das Dorf
mit Pfahlwerk oder die Städte, wie sie dem Sudan eigen sind. An
Despoten von grosser räumlicher Macht aber kurzer Regierungs-
dauer fehlt es zwar nicht, dennoch entbehrt Südafrika einer fort-
laufenden Geschichte, wie sich die Negerreiche im Süden der Sa-
hara einer solchen rühmen dürfen.

Das Fetischwesen in Mittelafrika, der Vorfahrendienst der
Bantuneger, das Treiben ihrer Schamanen und ihre Gottesgerichte
haben uns schon an früheren Stellen beschäftigt1). Ebenso hatten
wir schon Gelegenheit, von den Kafirn zu rühmen, dass sie das
Wergeld an ihre Häuptlinge entrichten. Hier müssen wir noch
hinzufügen, dass von allen Halbculturstämmen die Neger am eif-
rigsten das bürgerliche Recht ausgebildet haben. Afrikanische
Gerichtsverhandlungen ziehen obendrein die Neugierigen eben so
mächtig an als bei uns ein Theaterstück und an dramatischer
Spannung sowie an Aufwand von Beredsamkeit oder von Schlau-
heit ist bei den streitenden Parteien kein Mangel2). Meisterhaft
verstehen die Bantu durch Kreuz- und Querfragen einen Gegner
in Verwirrung zu setzen3). Hat doch Bischof Colenso in Natal
versichert, dass er erst durch die Einwände seiner Kafirzöglinge
zum Zweifler an der mosaischen Schöpfungsgeschichte geworden
sei. In bürgerlichen Streitigkeiten kann gegen die Entscheidung
des Dorfrichters der Rechtsfall zunächst an den Districthäuptling
und von diesem wieder an das Oberhaupt gebracht werden4).
Die Urtel werden gefällt durch einen Rath alter rechtskundiger
Männer nach dem Herkommen und nach den Grundsätzen, die
bei früheren Sprüchen beobachtet wurden. Gleicht der Fall keinem
älteren, so wendet man sich um Belehrung an die Rechtskundigen
in andern Stämmen. Es hat sich sogar zugetragen, dass bei einer
schwierigen Rechtsfrage auch die fremden Richter keinen Präcedenz-
fall kannten und es wurde schliesslich der Urtelsspruch gänzlich
versagt, um nicht einen neuen vielleicht irrigen Grundsatz zur
Geltung zu bringen5). Ein geschärftes Rechtsverständniss der

1) S. oben S. 259. S. 272. S. 279.
2) Casalis, Les Bassoutos. Paris 1859. p. 242—243,
3) Ausland. 1863. S. 1044.
4) Maclean, Kafir Laws and Customs. Mount Coke 1858. p. 143.
5) Friedr. Müller, Reise der Fregatte Novara. Anthropologie. 3. Ab-
theilung. S. 108.
Peschel, Völkerkunde. 33
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[513/0531] Die Neger. locker zusammengefügt; der Kraal vertritt dort häufig das Dorf mit Pfahlwerk oder die Städte, wie sie dem Sudan eigen sind. An Despoten von grosser räumlicher Macht aber kurzer Regierungs- dauer fehlt es zwar nicht, dennoch entbehrt Südafrika einer fort- laufenden Geschichte, wie sich die Negerreiche im Süden der Sa- hara einer solchen rühmen dürfen. Das Fetischwesen in Mittelafrika, der Vorfahrendienst der Bantuneger, das Treiben ihrer Schamanen und ihre Gottesgerichte haben uns schon an früheren Stellen beschäftigt 1). Ebenso hatten wir schon Gelegenheit, von den Kafirn zu rühmen, dass sie das Wergeld an ihre Häuptlinge entrichten. Hier müssen wir noch hinzufügen, dass von allen Halbculturstämmen die Neger am eif- rigsten das bürgerliche Recht ausgebildet haben. Afrikanische Gerichtsverhandlungen ziehen obendrein die Neugierigen eben so mächtig an als bei uns ein Theaterstück und an dramatischer Spannung sowie an Aufwand von Beredsamkeit oder von Schlau- heit ist bei den streitenden Parteien kein Mangel 2). Meisterhaft verstehen die Bantu durch Kreuz- und Querfragen einen Gegner in Verwirrung zu setzen 3). Hat doch Bischof Colenso in Natal versichert, dass er erst durch die Einwände seiner Kafirzöglinge zum Zweifler an der mosaischen Schöpfungsgeschichte geworden sei. In bürgerlichen Streitigkeiten kann gegen die Entscheidung des Dorfrichters der Rechtsfall zunächst an den Districthäuptling und von diesem wieder an das Oberhaupt gebracht werden 4). Die Urtel werden gefällt durch einen Rath alter rechtskundiger Männer nach dem Herkommen und nach den Grundsätzen, die bei früheren Sprüchen beobachtet wurden. Gleicht der Fall keinem älteren, so wendet man sich um Belehrung an die Rechtskundigen in andern Stämmen. Es hat sich sogar zugetragen, dass bei einer schwierigen Rechtsfrage auch die fremden Richter keinen Präcedenz- fall kannten und es wurde schliesslich der Urtelsspruch gänzlich versagt, um nicht einen neuen vielleicht irrigen Grundsatz zur Geltung zu bringen 5). Ein geschärftes Rechtsverständniss der 1) S. oben S. 259. S. 272. S. 279. 2) Casalis, Les Bassoutos. Paris 1859. p. 242—243, 3) Ausland. 1863. S. 1044. 4) Maclean, Kafir Laws and Customs. Mount Coke 1858. p. 143. 5) Friedr. Müller, Reise der Fregatte Novara. Anthropologie. 3. Ab- theilung. S. 108. Peschel, Völkerkunde. 33

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 513. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/531>, abgerufen am 23.12.2024.