nicht die schickliche Säugethier-Provinz wo das modernste aller Geschöpfe ursprünglich aufgetreten sein sollte.
Eher liesse sich vermuthen, dass in Nordamerika die Wiege der Menschheit gestanden haben könnte. Nordamerika hat in seiner Thier- und Pflanzenwelt manches Uebereinstimmende und viel Aehnliches mit Asien und Europa. Die Physiognomie seiner Schöpfung ändert sich erst in Mittelamerika völlig, etwa, wenn auch nicht ganz genau, an der Aequatorialgrenze der Nadelhölzer, die bekanntlich Südamerika fehlen.
Dennoch ist Amerika alterthümlicher geblieben gerade in der zweit höchsten Ordnung der Säugethiere. Die fälschlich sogenannten Vierhänder Amerika's sind so verschieden von den unsrigen, dass sie eine Familie für sich bilden, die im System "Affen der neuen Welt", also geographisch benannt werden konnten. Die amerika- nische Familie unterscheidet sich durch den Zahnbau, durch seit- liche Stellung der Nasenlöcher, durch Mangel von Gesässschwielen und Backentaschen, auch findet sich in ganz Amerika kein unge- schwänzter Affe. Da aber, wo die höchsten Thiere, wo der Tschimpanse, Gorilla und Orang auftreten, werden wir auch die Menschen suchen müssen.
Alle diese Schlüsse sind unabhängig von dem Schicksal des Darwinschen Dogmas, sie stehen oder fallen dagegen mit der Lehre von der Einheit des Schöpfungsherdes für die Arten des Thier- und Pflanzenreiches. Auch diese Lehre stösst noch vereinzelt auf hart- näckigen Widerspruch, weil sie noch nicht alle Thatsachen zu er- klären vermag. Die grösste Schwierigkeit jedoch, nämlich das Vor- kommen von fünfzig nordischen Gewächsarten im Feuerlande ist durch den Scharfsinn und die Gelehrsamkeit eines deutschen Bo- tanikers besiegt worden 1). Die Abstammung der Urbewohner Ame- rikas aus Nordasien wird der Abschnitt zu beweisen suchen, der ihnen gewidmet ist. Im Voraus wollen wir nur bemerken, dass je roher also auch je genügsamer und abgehärteter ein Volk sei, desto leichter es seine Wohnsitze ändere, so dass alle Völkerstämme auf ihren niedrigsten Entwicklungsstufen völlig befähigt waren die Wan- derungen auszuführen, die wir ihnen zugemuthet haben. Die Schwie- rigkeiten sind überhaupt nur in der Einbildungskraft des verwöhnten Culturmenschen vorhanden. Im Innern Australiens, wo europäische
1)Grisebach, Vegetation der Erde. Bd. II, S. 496.
Peschel, Völkerkunde. 3
Schöpfungsherd des Menschengeschlechtes.
nicht die schickliche Säugethier-Provinz wo das modernste aller Geschöpfe ursprünglich aufgetreten sein sollte.
Eher liesse sich vermuthen, dass in Nordamerika die Wiege der Menschheit gestanden haben könnte. Nordamerika hat in seiner Thier- und Pflanzenwelt manches Uebereinstimmende und viel Aehnliches mit Asien und Europa. Die Physiognomie seiner Schöpfung ändert sich erst in Mittelamerika völlig, etwa, wenn auch nicht ganz genau, an der Aequatorialgrenze der Nadelhölzer, die bekanntlich Südamerika fehlen.
Dennoch ist Amerika alterthümlicher geblieben gerade in der zweit höchsten Ordnung der Säugethiere. Die fälschlich sogenannten Vierhänder Amerika’s sind so verschieden von den unsrigen, dass sie eine Familie für sich bilden, die im System „Affen der neuen Welt“, also geographisch benannt werden konnten. Die amerika- nische Familie unterscheidet sich durch den Zahnbau, durch seit- liche Stellung der Nasenlöcher, durch Mangel von Gesässschwielen und Backentaschen, auch findet sich in ganz Amerika kein unge- schwänzter Affe. Da aber, wo die höchsten Thiere, wo der Tschimpanse, Gorilla und Orang auftreten, werden wir auch die Menschen suchen müssen.
Alle diese Schlüsse sind unabhängig von dem Schicksal des Darwinschen Dogmas, sie stehen oder fallen dagegen mit der Lehre von der Einheit des Schöpfungsherdes für die Arten des Thier- und Pflanzenreiches. Auch diese Lehre stösst noch vereinzelt auf hart- näckigen Widerspruch, weil sie noch nicht alle Thatsachen zu er- klären vermag. Die grösste Schwierigkeit jedoch, nämlich das Vor- kommen von fünfzig nordischen Gewächsarten im Feuerlande ist durch den Scharfsinn und die Gelehrsamkeit eines deutschen Bo- tanikers besiegt worden 1). Die Abstammung der Urbewohner Ame- rikas aus Nordasien wird der Abschnitt zu beweisen suchen, der ihnen gewidmet ist. Im Voraus wollen wir nur bemerken, dass je roher also auch je genügsamer und abgehärteter ein Volk sei, desto leichter es seine Wohnsitze ändere, so dass alle Völkerstämme auf ihren niedrigsten Entwicklungsstufen völlig befähigt waren die Wan- derungen auszuführen, die wir ihnen zugemuthet haben. Die Schwie- rigkeiten sind überhaupt nur in der Einbildungskraft des verwöhnten Culturmenschen vorhanden. Im Innern Australiens, wo europäische
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Peschel, Völkerkunde. 3
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[33/0051]
Schöpfungsherd des Menschengeschlechtes.
nicht die schickliche Säugethier-Provinz wo das modernste aller
Geschöpfe ursprünglich aufgetreten sein sollte.
Eher liesse sich vermuthen, dass in Nordamerika die Wiege
der Menschheit gestanden haben könnte. Nordamerika hat in
seiner Thier- und Pflanzenwelt manches Uebereinstimmende und
viel Aehnliches mit Asien und Europa. Die Physiognomie seiner
Schöpfung ändert sich erst in Mittelamerika völlig, etwa, wenn auch
nicht ganz genau, an der Aequatorialgrenze der Nadelhölzer, die
bekanntlich Südamerika fehlen.
Dennoch ist Amerika alterthümlicher geblieben gerade in der
zweit höchsten Ordnung der Säugethiere. Die fälschlich sogenannten
Vierhänder Amerika’s sind so verschieden von den unsrigen, dass
sie eine Familie für sich bilden, die im System „Affen der neuen
Welt“, also geographisch benannt werden konnten. Die amerika-
nische Familie unterscheidet sich durch den Zahnbau, durch seit-
liche Stellung der Nasenlöcher, durch Mangel von Gesässschwielen
und Backentaschen, auch findet sich in ganz Amerika kein unge-
schwänzter Affe. Da aber, wo die höchsten Thiere, wo der
Tschimpanse, Gorilla und Orang auftreten, werden wir auch die
Menschen suchen müssen.
Alle diese Schlüsse sind unabhängig von dem Schicksal des
Darwinschen Dogmas, sie stehen oder fallen dagegen mit der Lehre
von der Einheit des Schöpfungsherdes für die Arten des Thier- und
Pflanzenreiches. Auch diese Lehre stösst noch vereinzelt auf hart-
näckigen Widerspruch, weil sie noch nicht alle Thatsachen zu er-
klären vermag. Die grösste Schwierigkeit jedoch, nämlich das Vor-
kommen von fünfzig nordischen Gewächsarten im Feuerlande ist
durch den Scharfsinn und die Gelehrsamkeit eines deutschen Bo-
tanikers besiegt worden 1). Die Abstammung der Urbewohner Ame-
rikas aus Nordasien wird der Abschnitt zu beweisen suchen, der
ihnen gewidmet ist. Im Voraus wollen wir nur bemerken, dass je
roher also auch je genügsamer und abgehärteter ein Volk sei, desto
leichter es seine Wohnsitze ändere, so dass alle Völkerstämme auf
ihren niedrigsten Entwicklungsstufen völlig befähigt waren die Wan-
derungen auszuführen, die wir ihnen zugemuthet haben. Die Schwie-
rigkeiten sind überhaupt nur in der Einbildungskraft des verwöhnten
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1) Grisebach, Vegetation der Erde. Bd. II, S. 496.
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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/51>, abgerufen am 23.12.2024.
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