ihren Schilfsäumen Millionen essbarer und schmackhafter Insecten- eier von Corixa mercenaria, die sich zu Kuchen verbacken lassen. So mögen daher an den Gestaden solcher Binnengewässer etwas leichter als anderwärts die Bevölkerungen sich verdichten, doch wäre es völlig verkehrt, ihnen einen entscheidenden Einfluss auf die Entwickelung der amerikanischen Menschheit zuzuschreiben.
Das spätere rasche Wachsthum des Incareiches aus geringen Anfängen im Laufe von höchstens fünf, vielleicht nur von drei Jahrhunderten hat Squier 1) sehr befriedigend erklärt. Der Keim des peruanischen Staates entwickelte sich nämlich auf dem Puno oder den kahlen, 10 bis 16,000 Fuss hohen Hochebenen zwischen den doppelten oder dreifachen Ketten der Anden. Zwischen dem westlichen Abhange dieser Gebirge und dem Stillen Meere erstreckt sich ein schmaler Küstensaum, auf dem fast nie oder sehr selten Regen fällt, und der höchstens während sechs Monaten im Jahr von Nebeln befeuchtet wird. Nur wo von den Anden Küsten- flüsse der Südsee zuströmen, ist Feldbau und Baumzucht über- haupt möglich. Die Küstenflüsse folgen jedoch auf einander in grossen Entfernungen und in dem Zwischenraum herrscht völlige Einöde. So konnten sich entlang jenen Gewässern wohl einzelne Stämme lange Zeit getrennt und unabhängig von einander be- haupten, sowie aber auf den Hochebenen der erste kräftige Staat erstand, wurden die Bevölkerungen der Küstenflüsse, getrennt und schwach wie sie waren, der Reihe nach unterworfen und durch ihren Zuwachs die Macht des Reiches auf den Hochebenen ver- mehrt. Da wo im Süden der regenlose Küstensaum aufhörte, nämlich bei dem heutigen Chile, erreichte auch die Herrschaft der Inca die Grenze ihrer Ausbreitung. Ebenso wenig hat sie sich binnenwärts an den Ostabhang der Anden durch den Wald- gürtel zu den Ebenen des Amazonas herabzusenken vermocht, wo noch jetzt rohe Jägerstämme in ungestörter Wildheit um- herstreifen.
Alle südamerikanische Cultur, auch die nichtperuanische der Chibcha auf den Hochebenen von Bogota und Tunja am rechten Ufer des Magdalenenstromes, stand daher in strenger Abhängigkeit von beträchtlichen senkrechten Erhebungen, und ähnliches wieder- holt sich, wenn auch nicht mit gleicher Genauigkeit, im nördlichen
1) Bulletin de la Soc. de Geogr. Paris 1868. p. 7 sq.
Die amerikanische Urbevölkerung.
ihren Schilfsäumen Millionen essbarer und schmackhafter Insecten- eier von Corixa mercenaria, die sich zu Kuchen verbacken lassen. So mögen daher an den Gestaden solcher Binnengewässer etwas leichter als anderwärts die Bevölkerungen sich verdichten, doch wäre es völlig verkehrt, ihnen einen entscheidenden Einfluss auf die Entwickelung der amerikanischen Menschheit zuzuschreiben.
Das spätere rasche Wachsthum des Incareiches aus geringen Anfängen im Laufe von höchstens fünf, vielleicht nur von drei Jahrhunderten hat Squier 1) sehr befriedigend erklärt. Der Keim des peruanischen Staates entwickelte sich nämlich auf dem Puno oder den kahlen, 10 bis 16,000 Fuss hohen Hochebenen zwischen den doppelten oder dreifachen Ketten der Anden. Zwischen dem westlichen Abhange dieser Gebirge und dem Stillen Meere erstreckt sich ein schmaler Küstensaum, auf dem fast nie oder sehr selten Regen fällt, und der höchstens während sechs Monaten im Jahr von Nebeln befeuchtet wird. Nur wo von den Anden Küsten- flüsse der Südsee zuströmen, ist Feldbau und Baumzucht über- haupt möglich. Die Küstenflüsse folgen jedoch auf einander in grossen Entfernungen und in dem Zwischenraum herrscht völlige Einöde. So konnten sich entlang jenen Gewässern wohl einzelne Stämme lange Zeit getrennt und unabhängig von einander be- haupten, sowie aber auf den Hochebenen der erste kräftige Staat erstand, wurden die Bevölkerungen der Küstenflüsse, getrennt und schwach wie sie waren, der Reihe nach unterworfen und durch ihren Zuwachs die Macht des Reiches auf den Hochebenen ver- mehrt. Da wo im Süden der regenlose Küstensaum aufhörte, nämlich bei dem heutigen Chile, erreichte auch die Herrschaft der Inca die Grenze ihrer Ausbreitung. Ebenso wenig hat sie sich binnenwärts an den Ostabhang der Anden durch den Wald- gürtel zu den Ebenen des Amazonas herabzusenken vermocht, wo noch jetzt rohe Jägerstämme in ungestörter Wildheit um- herstreifen.
Alle südamerikanische Cultur, auch die nichtperuanische der Chibcha auf den Hochebenen von Bogotá und Tunja am rechten Ufer des Magdalenenstromes, stand daher in strenger Abhängigkeit von beträchtlichen senkrechten Erhebungen, und ähnliches wieder- holt sich, wenn auch nicht mit gleicher Genauigkeit, im nördlichen
1) Bulletin de la Soc. de Géogr. Paris 1868. p. 7 sq.
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Die amerikanische Urbevölkerung.
ihren Schilfsäumen Millionen essbarer und schmackhafter Insecten-
eier von Corixa mercenaria, die sich zu Kuchen verbacken lassen.
So mögen daher an den Gestaden solcher Binnengewässer etwas
leichter als anderwärts die Bevölkerungen sich verdichten, doch
wäre es völlig verkehrt, ihnen einen entscheidenden Einfluss auf
die Entwickelung der amerikanischen Menschheit zuzuschreiben.
Das spätere rasche Wachsthum des Incareiches aus geringen
Anfängen im Laufe von höchstens fünf, vielleicht nur von drei
Jahrhunderten hat Squier 1) sehr befriedigend erklärt. Der Keim
des peruanischen Staates entwickelte sich nämlich auf dem Puno
oder den kahlen, 10 bis 16,000 Fuss hohen Hochebenen zwischen
den doppelten oder dreifachen Ketten der Anden. Zwischen dem
westlichen Abhange dieser Gebirge und dem Stillen Meere erstreckt
sich ein schmaler Küstensaum, auf dem fast nie oder sehr
selten Regen fällt, und der höchstens während sechs Monaten im
Jahr von Nebeln befeuchtet wird. Nur wo von den Anden Küsten-
flüsse der Südsee zuströmen, ist Feldbau und Baumzucht über-
haupt möglich. Die Küstenflüsse folgen jedoch auf einander in
grossen Entfernungen und in dem Zwischenraum herrscht völlige
Einöde. So konnten sich entlang jenen Gewässern wohl einzelne
Stämme lange Zeit getrennt und unabhängig von einander be-
haupten, sowie aber auf den Hochebenen der erste kräftige Staat
erstand, wurden die Bevölkerungen der Küstenflüsse, getrennt und
schwach wie sie waren, der Reihe nach unterworfen und durch
ihren Zuwachs die Macht des Reiches auf den Hochebenen ver-
mehrt. Da wo im Süden der regenlose Küstensaum aufhörte,
nämlich bei dem heutigen Chile, erreichte auch die Herrschaft
der Inca die Grenze ihrer Ausbreitung. Ebenso wenig hat sie
sich binnenwärts an den Ostabhang der Anden durch den Wald-
gürtel zu den Ebenen des Amazonas herabzusenken vermocht,
wo noch jetzt rohe Jägerstämme in ungestörter Wildheit um-
herstreifen.
Alle südamerikanische Cultur, auch die nichtperuanische der
Chibcha auf den Hochebenen von Bogotá und Tunja am rechten
Ufer des Magdalenenstromes, stand daher in strenger Abhängigkeit
von beträchtlichen senkrechten Erhebungen, und ähnliches wieder-
holt sich, wenn auch nicht mit gleicher Genauigkeit, im nördlichen
1) Bulletin de la Soc. de Géogr. Paris 1868. p. 7 sq.
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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 474. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/492>, abgerufen am 23.12.2024.
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