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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die amerikanische Urbevölkerung.
und zerbrachen, ihre Kleider und Schuhe zerrissen, und zuletzt
sehen wir sie wie Indianer gekleidet und bewaffnet marschiren und
fechten. Auch ist es leicht auszusprechen, warum sich höhere
Gesittung nicht durch wenige übertragen lässt, denn die Fort-
schritte der Cultur entstehen nur unter einer verdichteten Be-
völkerung durch eine fortgeführte Theilung der Arbeit, die jeden
Einzelnen hineinfügt in eine höchst verwickelte, aber äusserst
wirksame Gliederung. Wird aus diesem Ganzen der eine oder
der andere abgesondert, so erscheint er noch viel hilfloser als der
Naturmensch, ja er ist nicht mehr werth, als etwa zur Theilung
der Zeit das weggeworfene Rad einer zertrümmerten Uhr.

Die Culturerscheinungen Amerika's sind also unabhängig aus
eigener Kraft entsprossen, ja, was noch viel schwerer wiegt, die
Gesittungen des nördlichen und des südlichen Festlandes haben
sich völlig ohne gegenseitige Berührung und Befruchtung ent-
wickelt, denn die Mexicaner wussten so wenig etwas vom Reiche
der Inca, als die Peruaner von den Herrlichkeiten Tenochtitlans
oder Palenque's. Bis zum Nicaragua-See, aber nicht weiter,
erstreckte sich die Ortskunde der Azteken, bis dorthin reichte
auch noch ihre Sprache oder waren einzelne Ansiedlerschwärme
gedrungen, welche das Nahuatl redeten. Andererseits soll der
Inca Huayna Capac, nach einer jedoch schwach beglaubigten
Nachricht, Kunde von dem Erscheinen bärtiger Fremdlinge (unter
Balboa 1513) am pacifischen Gestade der Landenge Dariens em-
pfangen haben. Erwägt man jedoch, dass kurz vor der Entdeckung
Amerika's die peruanischen Inca das Reich Quito erobert hatten
(1487), und ihrer fortgesetzten Ausbreitung keine sonderlichen
Schwierigkeiten entgegenstanden, so hätte vielleicht, ohne das
Zwischentreten der Europäer im 16ten oder 17ten Jahrhundert,
eine Berührung der süd- und der mittelamerikanischen Culturvölker
und ein Austausch ihrer Hilfsmittel sich zutragen können. Be-
läuft sich der Abstand Mexico's von Cuzco auf 630 deutsche
Meilen, während Babylon, Ninive, Athen, Sidon und Tyrus von
Memphis am Nil nur 70--170 Meilen entfernt lagen, so werden
wir an dieser ungleich grossen räumlichen Trennung der beiden
Brennpunkte amerikanischer Gesittung inne, dass für die Be-
schleunigung der Culturfortschritte selbst bei gleichen Begabungen
der Bewohner die neue Welt in Folge ihrer Absonderung in zwei
Festlande weit ungünstiger gestaltet war, als die östliche Erdveste.

Die amerikanische Urbevölkerung.
und zerbrachen, ihre Kleider und Schuhe zerrissen, und zuletzt
sehen wir sie wie Indianer gekleidet und bewaffnet marschiren und
fechten. Auch ist es leicht auszusprechen, warum sich höhere
Gesittung nicht durch wenige übertragen lässt, denn die Fort-
schritte der Cultur entstehen nur unter einer verdichteten Be-
völkerung durch eine fortgeführte Theilung der Arbeit, die jeden
Einzelnen hineinfügt in eine höchst verwickelte, aber äusserst
wirksame Gliederung. Wird aus diesem Ganzen der eine oder
der andere abgesondert, so erscheint er noch viel hilfloser als der
Naturmensch, ja er ist nicht mehr werth, als etwa zur Theilung
der Zeit das weggeworfene Rad einer zertrümmerten Uhr.

Die Culturerscheinungen Amerika’s sind also unabhängig aus
eigener Kraft entsprossen, ja, was noch viel schwerer wiegt, die
Gesittungen des nördlichen und des südlichen Festlandes haben
sich völlig ohne gegenseitige Berührung und Befruchtung ent-
wickelt, denn die Mexicaner wussten so wenig etwas vom Reiche
der Inca, als die Peruaner von den Herrlichkeiten Tenochtitlans
oder Palenque’s. Bis zum Nicaragua-See, aber nicht weiter,
erstreckte sich die Ortskunde der Azteken, bis dorthin reichte
auch noch ihre Sprache oder waren einzelne Ansiedlerschwärme
gedrungen, welche das Nahuatl redeten. Andererseits soll der
Inca Huayna Capac, nach einer jedoch schwach beglaubigten
Nachricht, Kunde von dem Erscheinen bärtiger Fremdlinge (unter
Balboa 1513) am pacifischen Gestade der Landenge Dariens em-
pfangen haben. Erwägt man jedoch, dass kurz vor der Entdeckung
Amerika’s die peruanischen Inca das Reich Quito erobert hatten
(1487), und ihrer fortgesetzten Ausbreitung keine sonderlichen
Schwierigkeiten entgegenstanden, so hätte vielleicht, ohne das
Zwischentreten der Europäer im 16ten oder 17ten Jahrhundert,
eine Berührung der süd- und der mittelamerikanischen Culturvölker
und ein Austausch ihrer Hilfsmittel sich zutragen können. Be-
läuft sich der Abstand Mexico’s von Cuzco auf 630 deutsche
Meilen, während Babylon, Ninive, Athen, Sidon und Tyrus von
Memphis am Nil nur 70—170 Meilen entfernt lagen, so werden
wir an dieser ungleich grossen räumlichen Trennung der beiden
Brennpunkte amerikanischer Gesittung inne, dass für die Be-
schleunigung der Culturfortschritte selbst bei gleichen Begabungen
der Bewohner die neue Welt in Folge ihrer Absonderung in zwei
Festlande weit ungünstiger gestaltet war, als die östliche Erdveste.

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[472/0490] Die amerikanische Urbevölkerung. und zerbrachen, ihre Kleider und Schuhe zerrissen, und zuletzt sehen wir sie wie Indianer gekleidet und bewaffnet marschiren und fechten. Auch ist es leicht auszusprechen, warum sich höhere Gesittung nicht durch wenige übertragen lässt, denn die Fort- schritte der Cultur entstehen nur unter einer verdichteten Be- völkerung durch eine fortgeführte Theilung der Arbeit, die jeden Einzelnen hineinfügt in eine höchst verwickelte, aber äusserst wirksame Gliederung. Wird aus diesem Ganzen der eine oder der andere abgesondert, so erscheint er noch viel hilfloser als der Naturmensch, ja er ist nicht mehr werth, als etwa zur Theilung der Zeit das weggeworfene Rad einer zertrümmerten Uhr. Die Culturerscheinungen Amerika’s sind also unabhängig aus eigener Kraft entsprossen, ja, was noch viel schwerer wiegt, die Gesittungen des nördlichen und des südlichen Festlandes haben sich völlig ohne gegenseitige Berührung und Befruchtung ent- wickelt, denn die Mexicaner wussten so wenig etwas vom Reiche der Inca, als die Peruaner von den Herrlichkeiten Tenochtitlans oder Palenque’s. Bis zum Nicaragua-See, aber nicht weiter, erstreckte sich die Ortskunde der Azteken, bis dorthin reichte auch noch ihre Sprache oder waren einzelne Ansiedlerschwärme gedrungen, welche das Nahuatl redeten. Andererseits soll der Inca Huayna Capac, nach einer jedoch schwach beglaubigten Nachricht, Kunde von dem Erscheinen bärtiger Fremdlinge (unter Balboa 1513) am pacifischen Gestade der Landenge Dariens em- pfangen haben. Erwägt man jedoch, dass kurz vor der Entdeckung Amerika’s die peruanischen Inca das Reich Quito erobert hatten (1487), und ihrer fortgesetzten Ausbreitung keine sonderlichen Schwierigkeiten entgegenstanden, so hätte vielleicht, ohne das Zwischentreten der Europäer im 16ten oder 17ten Jahrhundert, eine Berührung der süd- und der mittelamerikanischen Culturvölker und ein Austausch ihrer Hilfsmittel sich zutragen können. Be- läuft sich der Abstand Mexico’s von Cuzco auf 630 deutsche Meilen, während Babylon, Ninive, Athen, Sidon und Tyrus von Memphis am Nil nur 70—170 Meilen entfernt lagen, so werden wir an dieser ungleich grossen räumlichen Trennung der beiden Brennpunkte amerikanischer Gesittung inne, dass für die Be- schleunigung der Culturfortschritte selbst bei gleichen Begabungen der Bewohner die neue Welt in Folge ihrer Absonderung in zwei Festlande weit ungünstiger gestaltet war, als die östliche Erdveste.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 472. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/490>, abgerufen am 23.12.2024.