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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die amerikanische Urbevölkerung.
zwischen dem Rio Negro und La Plata Pehueltschen oder die
"Oestlichen". An Sinnesart und Sitten mit ihnen aufs engste
verwandt waren die alten Abiponen und die heutigen Bewohner
des Gran Chaco oder der Wildniss westlich vom Paraguaystrom.
Araucaner und Patagonier haben noch von dem Segen der inca-
peruanischen Gesittung einigen Antheil genossen 1); jedenfalls
stehen sie den Bewohnern der Hochebenen zwischen den Cor-
dilleren viel näher, als den Jägerstämmen Brasiliens, wenn sie
auch nicht zu den Culturvölkern selbst gezählt werden dürfen.

Betroffen über die Höhe der gesellschaftlichen Zustände im
alten Mexico und im Reiche der peruanischen Inca, haben gar
manche, weil sie die Anlagen des sogenannten rothen Mannes
unterschätzten, als Ausflucht angenommen: es seien die besten
Keime der Gesittung aus der alten in die neue Welt auf den
Flügeln des Zufalls getragen worden. Bald liess man Aegypter
aus der platonischen Insel Atlantis oder zur Zeit der Umschiffung
Afrika's unter Neku, bald Carthaginienser aus den Pflanzstädten
an der Küste des heutigen Marocco nach Brasilien, bald Nor-
mannen auf ihren Entdeckerfahrten nach dem "guten Weinland"
(Virginien) bis nach Mittelamerika vordringen, und glaubte schon
in Votan, einem Heros- oder Götzennamen der Chiapaneken,
einen altnordischen Wodan entlarvt zu haben; bald mussten ma-
layische Polynesier, über die Südsee verschlagen, ihren Fuss an
das westliche Gestade Amerika's setzen; bald schmeichelte man
sich, in chinesischen Berichten von einem oestlichen Lande,
Namens Fusang, eine Schilderung von Theilen der neuen Welt
zu erkennen. Alle diese flüchtigen Vermuthungen waren nur so
schwach zu begründen, dass sie, leicht widerlegt, nie zu ernster
Geltung gelangt sind. Die Möglichkeit übrigens, dass aus der
alten Welt Seefahrer bis nach Amerika verschlagen werden konnten,
darf nicht bestritten werden, weil wir wenigstens einen Fall dieser
Art wirklich kennen. Im December 1731 gelangte nämlich nach
Trinidad, bemannt mit fünf oder sechs Köpfen, eine Barke, die
mit einer Weinladung auf der Fahrt von Teneriffa nach einer
westlichen Canarieninsel von einem Sturm ergriffen und schliesslich

1) Bis zu den Pehueltschen haben sich Ausdrücke für höhere Zahlen
aus der Quichuasprache verbreitet. d'Orbigny, L'homme amer. p. 218.

Die amerikanische Urbevölkerung.
zwischen dem Rio Negro und La Plata Pehueltschen oder die
„Oestlichen“. An Sinnesart und Sitten mit ihnen aufs engste
verwandt waren die alten Abiponen und die heutigen Bewohner
des Gran Chaco oder der Wildniss westlich vom Paraguaystrom.
Araucaner und Patagonier haben noch von dem Segen der inca-
peruanischen Gesittung einigen Antheil genossen 1); jedenfalls
stehen sie den Bewohnern der Hochebenen zwischen den Cor-
dilleren viel näher, als den Jägerstämmen Brasiliens, wenn sie
auch nicht zu den Culturvölkern selbst gezählt werden dürfen.

Betroffen über die Höhe der gesellschaftlichen Zustände im
alten Mexico und im Reiche der peruanischen Inca, haben gar
manche, weil sie die Anlagen des sogenannten rothen Mannes
unterschätzten, als Ausflucht angenommen: es seien die besten
Keime der Gesittung aus der alten in die neue Welt auf den
Flügeln des Zufalls getragen worden. Bald liess man Aegypter
aus der platonischen Insel Atlantis oder zur Zeit der Umschiffung
Afrika’s unter Neku, bald Carthaginienser aus den Pflanzstädten
an der Küste des heutigen Marocco nach Brasilien, bald Nor-
mannen auf ihren Entdeckerfahrten nach dem „guten Weinland“
(Virginien) bis nach Mittelamerika vordringen, und glaubte schon
in Votan, einem Heros- oder Götzennamen der Chiapaneken,
einen altnordischen Wodan entlarvt zu haben; bald mussten ma-
layische Polynesier, über die Südsee verschlagen, ihren Fuss an
das westliche Gestade Amerika’s setzen; bald schmeichelte man
sich, in chinesischen Berichten von einem oestlichen Lande,
Namens Fusang, eine Schilderung von Theilen der neuen Welt
zu erkennen. Alle diese flüchtigen Vermuthungen waren nur so
schwach zu begründen, dass sie, leicht widerlegt, nie zu ernster
Geltung gelangt sind. Die Möglichkeit übrigens, dass aus der
alten Welt Seefahrer bis nach Amerika verschlagen werden konnten,
darf nicht bestritten werden, weil wir wenigstens einen Fall dieser
Art wirklich kennen. Im December 1731 gelangte nämlich nach
Trinidad, bemannt mit fünf oder sechs Köpfen, eine Barke, die
mit einer Weinladung auf der Fahrt von Teneriffa nach einer
westlichen Canarieninsel von einem Sturm ergriffen und schliesslich

1) Bis zu den Pehueltschen haben sich Ausdrücke für höhere Zahlen
aus der Quichuasprache verbreitet. d’Orbigny, L’homme amér. p. 218.
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[470/0488] Die amerikanische Urbevölkerung. zwischen dem Rio Negro und La Plata Pehueltschen oder die „Oestlichen“. An Sinnesart und Sitten mit ihnen aufs engste verwandt waren die alten Abiponen und die heutigen Bewohner des Gran Chaco oder der Wildniss westlich vom Paraguaystrom. Araucaner und Patagonier haben noch von dem Segen der inca- peruanischen Gesittung einigen Antheil genossen 1); jedenfalls stehen sie den Bewohnern der Hochebenen zwischen den Cor- dilleren viel näher, als den Jägerstämmen Brasiliens, wenn sie auch nicht zu den Culturvölkern selbst gezählt werden dürfen. Betroffen über die Höhe der gesellschaftlichen Zustände im alten Mexico und im Reiche der peruanischen Inca, haben gar manche, weil sie die Anlagen des sogenannten rothen Mannes unterschätzten, als Ausflucht angenommen: es seien die besten Keime der Gesittung aus der alten in die neue Welt auf den Flügeln des Zufalls getragen worden. Bald liess man Aegypter aus der platonischen Insel Atlantis oder zur Zeit der Umschiffung Afrika’s unter Neku, bald Carthaginienser aus den Pflanzstädten an der Küste des heutigen Marocco nach Brasilien, bald Nor- mannen auf ihren Entdeckerfahrten nach dem „guten Weinland“ (Virginien) bis nach Mittelamerika vordringen, und glaubte schon in Votan, einem Heros- oder Götzennamen der Chiapaneken, einen altnordischen Wodan entlarvt zu haben; bald mussten ma- layische Polynesier, über die Südsee verschlagen, ihren Fuss an das westliche Gestade Amerika’s setzen; bald schmeichelte man sich, in chinesischen Berichten von einem oestlichen Lande, Namens Fusang, eine Schilderung von Theilen der neuen Welt zu erkennen. Alle diese flüchtigen Vermuthungen waren nur so schwach zu begründen, dass sie, leicht widerlegt, nie zu ernster Geltung gelangt sind. Die Möglichkeit übrigens, dass aus der alten Welt Seefahrer bis nach Amerika verschlagen werden konnten, darf nicht bestritten werden, weil wir wenigstens einen Fall dieser Art wirklich kennen. Im December 1731 gelangte nämlich nach Trinidad, bemannt mit fünf oder sechs Köpfen, eine Barke, die mit einer Weinladung auf der Fahrt von Teneriffa nach einer westlichen Canarieninsel von einem Sturm ergriffen und schliesslich 1) Bis zu den Pehueltschen haben sich Ausdrücke für höhere Zahlen aus der Quichuasprache verbreitet. d’Orbigny, L’homme amér. p. 218.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 470. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/488>, abgerufen am 23.12.2024.