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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die amerikanische Urbevölkerung.
Mexico ein Hausthier, wurde nur wild auf dem Gebiet der Ver-
einigten Staaten angetroffen. Im Norden des Festlandes streift
das Renthier (Caribu), welches in der alten Welt allenthalben, in
der neuen aber von den Canadiern nicht gezähmt worden ist.
Allerdings trifft man bei den Stämmen der Hudsonbaigebiete den
Hund als Hausthier und zur Jagd abgerichtet, doch möchten wir
fast vermuthen, dass die Zähmung dieses Geschöpfes erst nach der
Einwanderung der Eskimo, die den Hund als Zugthier in ihrer
asiatischen Heimat gekannt hatten, sich verbreitet habe. War
aber bei den Rothhäuten des nördlichen Festlandes die Neigung
zur Thierzucht ohnehin sehr schwach, so ist nicht leicht denkbar,
was sie hätte in Versuchung führen sollen, den Bison zu zähmen,
da ihnen die Jagd so viel Fleisch und so viel Häute lieferte, als
sie je bedurften. An den Genuss thierischer Milch aber hat kein
Volk in Amerika gedacht. Die Milchwirthschaft gehört überhaupt
einer sehr späten und hohen Entwicklungsstufe des Hirtenlebens
an. Noch heutigen Tages liefern die grossen Rinderheerden auf
den Pampas und Llanos nichts als Fleisch und Häute, wie denn
die reichliche Absonderung von Milch bei dem Heerdenvieh erst
in Folge einer langen Bezähmung eintritt. Während in England
eine Kuh täglich 40 Pinten Milch liefert 1), erhalten die Damara
in Südafrika, also ein Hirtenvolk, höchstens zwei bis drei Pinten
von ihren Thieren, und ihre Kühe verweigern sogleich die Milch,
sowie man ihnen das Kalb nimmt 2). Daraus dürfen wir folgern,
dass die Völker, welche zuerst Thiere in Heerden versammelten,
zunächst nur an den Fleischertrag dachten und die Ausbeutung
der Milch erst nach langer Zeit und in Folge kunstvoller Zucht-
wahl eintrat. So finden wir denn in der neuen Welt die Steppen
so gut wie das Waldland nur von Stämmen bewohnt, die Jagd
und Feldbau als Ernährungszweige betrieben.

Baureste mangeln in Südamerika östlich von den Anden
gänzlich, in Nordamerika dagegen bestehen sie in kegelförmigen
Grabhügeln, in runden, oben flachen Erdaufwürfen (mounds) und
in kreisrunden Verschanzungen, zum Theil mit Gräben und ge-
deckten Wegen. Sie sind sehr spärlich in den Neu-England-

1) Darwin, Domestication. tom. II. p. 300.
2) Andersson, Südwestafrika. Bd. 2. S. 54. Barrow (South Africa,
tom. I. p. 315) rechnet zwei Quart Milch auf eine südafrikanische Kuh.

Die amerikanische Urbevölkerung.
Mexico ein Hausthier, wurde nur wild auf dem Gebiet der Ver-
einigten Staaten angetroffen. Im Norden des Festlandes streift
das Renthier (Caribu), welches in der alten Welt allenthalben, in
der neuen aber von den Canadiern nicht gezähmt worden ist.
Allerdings trifft man bei den Stämmen der Hudsonbaigebiete den
Hund als Hausthier und zur Jagd abgerichtet, doch möchten wir
fast vermuthen, dass die Zähmung dieses Geschöpfes erst nach der
Einwanderung der Eskimo, die den Hund als Zugthier in ihrer
asiatischen Heimat gekannt hatten, sich verbreitet habe. War
aber bei den Rothhäuten des nördlichen Festlandes die Neigung
zur Thierzucht ohnehin sehr schwach, so ist nicht leicht denkbar,
was sie hätte in Versuchung führen sollen, den Bison zu zähmen,
da ihnen die Jagd so viel Fleisch und so viel Häute lieferte, als
sie je bedurften. An den Genuss thierischer Milch aber hat kein
Volk in Amerika gedacht. Die Milchwirthschaft gehört überhaupt
einer sehr späten und hohen Entwicklungsstufe des Hirtenlebens
an. Noch heutigen Tages liefern die grossen Rinderheerden auf
den Pampas und Llanos nichts als Fleisch und Häute, wie denn
die reichliche Absonderung von Milch bei dem Heerdenvieh erst
in Folge einer langen Bezähmung eintritt. Während in England
eine Kuh täglich 40 Pinten Milch liefert 1), erhalten die Damara
in Südafrika, also ein Hirtenvolk, höchstens zwei bis drei Pinten
von ihren Thieren, und ihre Kühe verweigern sogleich die Milch,
sowie man ihnen das Kalb nimmt 2). Daraus dürfen wir folgern,
dass die Völker, welche zuerst Thiere in Heerden versammelten,
zunächst nur an den Fleischertrag dachten und die Ausbeutung
der Milch erst nach langer Zeit und in Folge kunstvoller Zucht-
wahl eintrat. So finden wir denn in der neuen Welt die Steppen
so gut wie das Waldland nur von Stämmen bewohnt, die Jagd
und Feldbau als Ernährungszweige betrieben.

Baureste mangeln in Südamerika östlich von den Anden
gänzlich, in Nordamerika dagegen bestehen sie in kegelförmigen
Grabhügeln, in runden, oben flachen Erdaufwürfen (mounds) und
in kreisrunden Verschanzungen, zum Theil mit Gräben und ge-
deckten Wegen. Sie sind sehr spärlich in den Neu-England-

1) Darwin, Domestication. tom. II. p. 300.
2) Andersson, Südwestafrika. Bd. 2. S. 54. Barrow (South Africa,
tom. I. p. 315) rechnet zwei Quart Milch auf eine südafrikanische Kuh.
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[454/0472] Die amerikanische Urbevölkerung. Mexico ein Hausthier, wurde nur wild auf dem Gebiet der Ver- einigten Staaten angetroffen. Im Norden des Festlandes streift das Renthier (Caribu), welches in der alten Welt allenthalben, in der neuen aber von den Canadiern nicht gezähmt worden ist. Allerdings trifft man bei den Stämmen der Hudsonbaigebiete den Hund als Hausthier und zur Jagd abgerichtet, doch möchten wir fast vermuthen, dass die Zähmung dieses Geschöpfes erst nach der Einwanderung der Eskimo, die den Hund als Zugthier in ihrer asiatischen Heimat gekannt hatten, sich verbreitet habe. War aber bei den Rothhäuten des nördlichen Festlandes die Neigung zur Thierzucht ohnehin sehr schwach, so ist nicht leicht denkbar, was sie hätte in Versuchung führen sollen, den Bison zu zähmen, da ihnen die Jagd so viel Fleisch und so viel Häute lieferte, als sie je bedurften. An den Genuss thierischer Milch aber hat kein Volk in Amerika gedacht. Die Milchwirthschaft gehört überhaupt einer sehr späten und hohen Entwicklungsstufe des Hirtenlebens an. Noch heutigen Tages liefern die grossen Rinderheerden auf den Pampas und Llanos nichts als Fleisch und Häute, wie denn die reichliche Absonderung von Milch bei dem Heerdenvieh erst in Folge einer langen Bezähmung eintritt. Während in England eine Kuh täglich 40 Pinten Milch liefert 1), erhalten die Damara in Südafrika, also ein Hirtenvolk, höchstens zwei bis drei Pinten von ihren Thieren, und ihre Kühe verweigern sogleich die Milch, sowie man ihnen das Kalb nimmt 2). Daraus dürfen wir folgern, dass die Völker, welche zuerst Thiere in Heerden versammelten, zunächst nur an den Fleischertrag dachten und die Ausbeutung der Milch erst nach langer Zeit und in Folge kunstvoller Zucht- wahl eintrat. So finden wir denn in der neuen Welt die Steppen so gut wie das Waldland nur von Stämmen bewohnt, die Jagd und Feldbau als Ernährungszweige betrieben. Baureste mangeln in Südamerika östlich von den Anden gänzlich, in Nordamerika dagegen bestehen sie in kegelförmigen Grabhügeln, in runden, oben flachen Erdaufwürfen (mounds) und in kreisrunden Verschanzungen, zum Theil mit Gräben und ge- deckten Wegen. Sie sind sehr spärlich in den Neu-England- 1) Darwin, Domestication. tom. II. p. 300. 2) Andersson, Südwestafrika. Bd. 2. S. 54. Barrow (South Africa, tom. I. p. 315) rechnet zwei Quart Milch auf eine südafrikanische Kuh.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 454. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/472>, abgerufen am 23.12.2024.