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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.

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Die Beringsvölker.
a. Itelmen oder Kamtschadalen.

Diese Merkmale im Verein mit den schmalgeschlitzten Augen
bewogen Georg Steller, den Itelmen oder Kamtschadalen eine
entschiedene Mongolenähnlichkeit zuzuschreiben 1). Die Worte in
ihrer Sprache entstehen durch lose Zusammenfügung von Wurzeln,
und wenn richtig ist, was Kennan behauptet, dass sie sich der
Präfixe bedienen, so trennen sie sich damit sowohl von den
Ural-Altaiern, wie von den Eskimo 2). Der Fischfang ist ihr haupt-
sächlicher Nahrungserwerb, und der Hund, den sie vor den
Schlitten spannen, ihr Hausthier. Im Vergleich zu den andern
Beringsvölkern ist ihre Seetüchtigkeit eine sehr mittelmässige. Ihre
gesellschaftliche Entwickelung ging nicht weiter, als dass sich die
Pflichten der Blutrache über die Bewohner eines Ostrog erstreckten.
Der Ehemann gehörte zur Familie der Schwiegereltern. Schama-
nistische Künste wurden eifrig betrieben, doch gab es keine eigent-
liche Kaste von Zauberern, sondern ein jeder versuchte die Geister
auf eigene Gefahr. Der Glaube an die Fortdauer nach dem Tode
führte häufig zum Selbstmord; Väter liessen sich von ihren Kindern
erdrosseln oder den Hunden vorwerfen. Im Jenseits dachte man
sich die Armen für ihre diesseitigen Leiden durch Ueberfluss
belohnt 3). Die musikalische Begabung der Itelmen müssen wir
sehr hoch schätzen, denn sie haben sogar mehrstimmige Lieder
componirt 4). Ausserdem fand Steller bei ihnen Tänze und dra-
matische Vorstellungen, die gewöhnlich in komischen Nachahmungen
der fremden Gäste bestanden 5). Adolf Erman 6) rühmt ihre Recht-
lichkeit, Sanftmuth und "angeborne Feinheit der Sitte". Rührend
ist vieles, was er uns über ihre aufopfernde Gastfreundschaft mit-
theilt, die auch Kennan neuerdings wieder zu erproben Gelegen-
heit hatte. Wasser war zu Steller's Zeiten ihr einziges Getränk, so
dass der Genuss von Fliegenschwamm sich erst später verbreitet hat.

1) Steller, Kamtschatka. S. 298.
2) Latham, Varieties. p. 274. behauptet ohne es näher zu begründen,
dass die kamtschatkische Sprache mit der koreanischen und japanischen Ge-
meinschaft im Wortschatz habe. Wahrscheinlich sind es nur Culturwörter,
die im Verkehr entlehnt wurden.
3) Steller, Kamtschatka. S. 277. S. 294. S. 270. S. 271.
4) a. a. O. S. 332.
5) a. a. O. S. 341.
6) Reise um die Erde. Bd. 3. S. 422.
Die Beringsvölker.
a. Itelmen oder Kamtschadalen.

Diese Merkmale im Verein mit den schmalgeschlitzten Augen
bewogen Georg Steller, den Itelmen oder Kamtschadalen eine
entschiedene Mongolenähnlichkeit zuzuschreiben 1). Die Worte in
ihrer Sprache entstehen durch lose Zusammenfügung von Wurzeln,
und wenn richtig ist, was Kennan behauptet, dass sie sich der
Präfixe bedienen, so trennen sie sich damit sowohl von den
Ural-Altaiern, wie von den Eskimo 2). Der Fischfang ist ihr haupt-
sächlicher Nahrungserwerb, und der Hund, den sie vor den
Schlitten spannen, ihr Hausthier. Im Vergleich zu den andern
Beringsvölkern ist ihre Seetüchtigkeit eine sehr mittelmässige. Ihre
gesellschaftliche Entwickelung ging nicht weiter, als dass sich die
Pflichten der Blutrache über die Bewohner eines Ostrog erstreckten.
Der Ehemann gehörte zur Familie der Schwiegereltern. Schama-
nistische Künste wurden eifrig betrieben, doch gab es keine eigent-
liche Kaste von Zauberern, sondern ein jeder versuchte die Geister
auf eigene Gefahr. Der Glaube an die Fortdauer nach dem Tode
führte häufig zum Selbstmord; Väter liessen sich von ihren Kindern
erdrosseln oder den Hunden vorwerfen. Im Jenseits dachte man
sich die Armen für ihre diesseitigen Leiden durch Ueberfluss
belohnt 3). Die musikalische Begabung der Itelmen müssen wir
sehr hoch schätzen, denn sie haben sogar mehrstimmige Lieder
componirt 4). Ausserdem fand Steller bei ihnen Tänze und dra-
matische Vorstellungen, die gewöhnlich in komischen Nachahmungen
der fremden Gäste bestanden 5). Adolf Erman 6) rühmt ihre Recht-
lichkeit, Sanftmuth und „angeborne Feinheit der Sitte“. Rührend
ist vieles, was er uns über ihre aufopfernde Gastfreundschaft mit-
theilt, die auch Kennan neuerdings wieder zu erproben Gelegen-
heit hatte. Wasser war zu Steller’s Zeiten ihr einziges Getränk, so
dass der Genuss von Fliegenschwamm sich erst später verbreitet hat.

1) Steller, Kamtschatka. S. 298.
2) Latham, Varieties. p. 274. behauptet ohne es näher zu begründen,
dass die kamtschatkische Sprache mit der koreanischen und japanischen Ge-
meinschaft im Wortschatz habe. Wahrscheinlich sind es nur Culturwörter,
die im Verkehr entlehnt wurden.
3) Steller, Kamtschatka. S. 277. S. 294. S. 270. S. 271.
4) a. a. O. S. 332.
5) a. a. O. S. 341.
6) Reise um die Erde. Bd. 3. S. 422.
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[416/0434] Die Beringsvölker. a. Itelmen oder Kamtschadalen. Diese Merkmale im Verein mit den schmalgeschlitzten Augen bewogen Georg Steller, den Itelmen oder Kamtschadalen eine entschiedene Mongolenähnlichkeit zuzuschreiben 1). Die Worte in ihrer Sprache entstehen durch lose Zusammenfügung von Wurzeln, und wenn richtig ist, was Kennan behauptet, dass sie sich der Präfixe bedienen, so trennen sie sich damit sowohl von den Ural-Altaiern, wie von den Eskimo 2). Der Fischfang ist ihr haupt- sächlicher Nahrungserwerb, und der Hund, den sie vor den Schlitten spannen, ihr Hausthier. Im Vergleich zu den andern Beringsvölkern ist ihre Seetüchtigkeit eine sehr mittelmässige. Ihre gesellschaftliche Entwickelung ging nicht weiter, als dass sich die Pflichten der Blutrache über die Bewohner eines Ostrog erstreckten. Der Ehemann gehörte zur Familie der Schwiegereltern. Schama- nistische Künste wurden eifrig betrieben, doch gab es keine eigent- liche Kaste von Zauberern, sondern ein jeder versuchte die Geister auf eigene Gefahr. Der Glaube an die Fortdauer nach dem Tode führte häufig zum Selbstmord; Väter liessen sich von ihren Kindern erdrosseln oder den Hunden vorwerfen. Im Jenseits dachte man sich die Armen für ihre diesseitigen Leiden durch Ueberfluss belohnt 3). Die musikalische Begabung der Itelmen müssen wir sehr hoch schätzen, denn sie haben sogar mehrstimmige Lieder componirt 4). Ausserdem fand Steller bei ihnen Tänze und dra- matische Vorstellungen, die gewöhnlich in komischen Nachahmungen der fremden Gäste bestanden 5). Adolf Erman 6) rühmt ihre Recht- lichkeit, Sanftmuth und „angeborne Feinheit der Sitte“. Rührend ist vieles, was er uns über ihre aufopfernde Gastfreundschaft mit- theilt, die auch Kennan neuerdings wieder zu erproben Gelegen- heit hatte. Wasser war zu Steller’s Zeiten ihr einziges Getränk, so dass der Genuss von Fliegenschwamm sich erst später verbreitet hat. 1) Steller, Kamtschatka. S. 298. 2) Latham, Varieties. p. 274. behauptet ohne es näher zu begründen, dass die kamtschatkische Sprache mit der koreanischen und japanischen Ge- meinschaft im Wortschatz habe. Wahrscheinlich sind es nur Culturwörter, die im Verkehr entlehnt wurden. 3) Steller, Kamtschatka. S. 277. S. 294. S. 270. S. 271. 4) a. a. O. S. 332. 5) a. a. O. S. 341. 6) Reise um die Erde. Bd. 3. S. 422.

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Zitationshilfe: Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 416. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/434>, abgerufen am 19.11.2024.