hätten berühren können. Der Orientalist Reinaud, lange Zeit Vorsitzender der asiatischen Gesellschaft in Paris, hat in seinem letzten Werke uns überreden wollen, dass man in Rom schon unter den ersten Kaisern von der bevorstehenden Annäherung an China gesprochen habe, wie etwa gegenwärtig über den Zusam- menstoss der britischen und russischen Macht im Innern Asiens viel überflüssige Schriften gedruckt werden. Vielleicht hat man sich die Folgen eines Culturaustausches der römisch-chinesischen Kaiserreiche allzu grossartig vorgestellt. Sie würden für Europa wohl nur darin bestanden haben, dass die Seidenwürmerzucht um ein paar Jahrhunderte früher in Gebrauch gekommen wäre.
Erspriesslicher hätte eine solche Berührung auf China zurück- wirken können. Seine ostasiatische Abgeschiedenheit, so günstig sie für eine friedliche Vermehrung in der Vergangenheit gewesen war, hat sich zu einem drohenden Verhängniss für die Zukunft umgewandelt. Fast wörtlich passt auch hier, was Adolf Bacmeister in Bezug auf südafrikanische Völker geäussert hat: "Für die Auf- rollung des ursprünglichen Wesens eines Volkes in der Geschichte ist es ein gewaltiger Unterschied ob es nur oder beinahe nur mit den Völkern seines Gleichen sich trifft und reibt und messen lernt, oder ob es ihm die Geschichte vergönnt und geboten hat sich mit fremden Mächten in der Arena zu tummeln, und im er- frischenden Kampfe mit immer neuen Gewalten sein Dasein zu gründen, zu erweitern, zu vertiefen, vielleicht auch ruhmvoll zu verlieren 1)."
Die Achtung vor den Culturleistungen der Chinesen kann kaum grösser sein als beim Verfasser. Sie unter allen hochge- stiegenen Völkern verdanken am wenigsten fremden Anregungen, wir, das heisst die Europäer, und vorzugsweise die Nordeuropäer verdankten bis etwa um das 13. Jahrhundert fast alles, mit Aus- nahme unserer Sprache, der Belehrung fremder Völker. Wir sind Zöglinge geschichtlich begrabener Nationen, die Chinesen sind Autodidacten. Vergleichen wir aber unsern Entwicklungsgang mit dem ihrigen, so werden wir uns bewusst was ihnen fehlt und worauf unsere Grösse beruht.
Seit unserem geistigen Erwachen, seit wir als Mehrer der
1) Ausland 1871. S. 580.
Südostasiaten mit einsylbigen Sprachen.
hätten berühren können. Der Orientalist Reinaud, lange Zeit Vorsitzender der asiatischen Gesellschaft in Paris, hat in seinem letzten Werke uns überreden wollen, dass man in Rom schon unter den ersten Kaisern von der bevorstehenden Annäherung an China gesprochen habe, wie etwa gegenwärtig über den Zusam- menstoss der britischen und russischen Macht im Innern Asiens viel überflüssige Schriften gedruckt werden. Vielleicht hat man sich die Folgen eines Culturaustausches der römisch-chinesischen Kaiserreiche allzu grossartig vorgestellt. Sie würden für Europa wohl nur darin bestanden haben, dass die Seidenwürmerzucht um ein paar Jahrhunderte früher in Gebrauch gekommen wäre.
Erspriesslicher hätte eine solche Berührung auf China zurück- wirken können. Seine ostasiatische Abgeschiedenheit, so günstig sie für eine friedliche Vermehrung in der Vergangenheit gewesen war, hat sich zu einem drohenden Verhängniss für die Zukunft umgewandelt. Fast wörtlich passt auch hier, was Adolf Bacmeister in Bezug auf südafrikanische Völker geäussert hat: „Für die Auf- rollung des ursprünglichen Wesens eines Volkes in der Geschichte ist es ein gewaltiger Unterschied ob es nur oder beinahe nur mit den Völkern seines Gleichen sich trifft und reibt und messen lernt, oder ob es ihm die Geschichte vergönnt und geboten hat sich mit fremden Mächten in der Arena zu tummeln, und im er- frischenden Kampfe mit immer neuen Gewalten sein Dasein zu gründen, zu erweitern, zu vertiefen, vielleicht auch ruhmvoll zu verlieren 1).“
Die Achtung vor den Culturleistungen der Chinesen kann kaum grösser sein als beim Verfasser. Sie unter allen hochge- stiegenen Völkern verdanken am wenigsten fremden Anregungen, wir, das heisst die Europäer, und vorzugsweise die Nordeuropäer verdankten bis etwa um das 13. Jahrhundert fast alles, mit Aus- nahme unserer Sprache, der Belehrung fremder Völker. Wir sind Zöglinge geschichtlich begrabener Nationen, die Chinesen sind Autodidacten. Vergleichen wir aber unsern Entwicklungsgang mit dem ihrigen, so werden wir uns bewusst was ihnen fehlt und worauf unsere Grösse beruht.
Seit unserem geistigen Erwachen, seit wir als Mehrer der
1) Ausland 1871. S. 580.
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Südostasiaten mit einsylbigen Sprachen.
hätten berühren können. Der Orientalist Reinaud, lange Zeit
Vorsitzender der asiatischen Gesellschaft in Paris, hat in seinem
letzten Werke uns überreden wollen, dass man in Rom schon
unter den ersten Kaisern von der bevorstehenden Annäherung an
China gesprochen habe, wie etwa gegenwärtig über den Zusam-
menstoss der britischen und russischen Macht im Innern Asiens
viel überflüssige Schriften gedruckt werden. Vielleicht hat man
sich die Folgen eines Culturaustausches der römisch-chinesischen
Kaiserreiche allzu grossartig vorgestellt. Sie würden für Europa
wohl nur darin bestanden haben, dass die Seidenwürmerzucht um
ein paar Jahrhunderte früher in Gebrauch gekommen wäre.
Erspriesslicher hätte eine solche Berührung auf China zurück-
wirken können. Seine ostasiatische Abgeschiedenheit, so günstig
sie für eine friedliche Vermehrung in der Vergangenheit gewesen
war, hat sich zu einem drohenden Verhängniss für die Zukunft
umgewandelt. Fast wörtlich passt auch hier, was Adolf Bacmeister
in Bezug auf südafrikanische Völker geäussert hat: „Für die Auf-
rollung des ursprünglichen Wesens eines Volkes in der Geschichte
ist es ein gewaltiger Unterschied ob es nur oder beinahe nur mit
den Völkern seines Gleichen sich trifft und reibt und messen
lernt, oder ob es ihm die Geschichte vergönnt und geboten hat
sich mit fremden Mächten in der Arena zu tummeln, und im er-
frischenden Kampfe mit immer neuen Gewalten sein Dasein zu
gründen, zu erweitern, zu vertiefen, vielleicht auch ruhmvoll zu
verlieren 1).“
Die Achtung vor den Culturleistungen der Chinesen kann
kaum grösser sein als beim Verfasser. Sie unter allen hochge-
stiegenen Völkern verdanken am wenigsten fremden Anregungen,
wir, das heisst die Europäer, und vorzugsweise die Nordeuropäer
verdankten bis etwa um das 13. Jahrhundert fast alles, mit Aus-
nahme unserer Sprache, der Belehrung fremder Völker. Wir sind
Zöglinge geschichtlich begrabener Nationen, die Chinesen sind
Autodidacten. Vergleichen wir aber unsern Entwicklungsgang mit
dem ihrigen, so werden wir uns bewusst was ihnen fehlt und
worauf unsere Grösse beruht.
Seit unserem geistigen Erwachen, seit wir als Mehrer der
1) Ausland 1871. S. 580.
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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/417>, abgerufen am 22.12.2024.
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