Den Wortschätzen nach zerfallen aber die Sprachen der Australier in unendlich viele Bruchtheile. Um so merkwürdiger ist es, dass dieselben Familiennamen zugleich in Westaustralien und in Süd- australien, wie auf der Carpentariahalbinsel angetroffen worden sind1). Wenn viele australische Mundarten arm sind an Zahlen- ausdrücken, so folgt daraus doch nicht, dass die Eingebornen grössere Mehrheiten nicht hätten überblicken können, denn sie bedienen sich 18 verschiedener Worte zur Benennung von Kindern, je nachdem der erst- bis neuntgeborne Knabe oder die erst- bis neuntgeborne Tochter bezeichnet werden soll2).
Bevor wir uns mit ihren geistigen und gesellschaftlichen Zu- ständen beschäftigen, wird es rathsam sein, einen Blick über ihren Wohnort zu werfen. Nirgendwo lässt sich nämlich die verspätete Entwickelung des Menschengeschlechtes durch die missliche Ge- staltung der Erdräume besser rechtfertigen als in Australien. Hinausgerückt in abgelegene Planetenräume und doch wiederum zu klein, um eine Welt für sich zu bilden, erlitt Australien die Missachtung, dass sich ihm nie bis vor kurzer Zeit ein Cultur- pfad genähert hatte. Von allen Festlanden wurde es zuletzt ent- deckt, von allen Entdeckungen blieb es am längsten, nämlich volle zwei Jahrhunderte vernachlässigt, und als es von Europäern zuerst besiedelt wurde, erschien es nur tauglich zur Entfernung der Unverbesserlichen aus der Gesellschaft. Seine wagrechte Glie- derung oder, was dasselbe sagen will, seine Küstenumrisse nähern sich unter allen Welttheilen, nach Afrika, am meisten der Kreis- form, bei welcher der Umfang die geringste Entwickelung zum Flächeninhalt besitzt. Nur an zwei Stellen zeigt es den Ansatz von Gliedmassen: es ist dies die Carpentaria- oder Cap-York- Halbinsel und die Insel Tasmanien, welche letztere, wie wir es anderwärts schon ausgesprochen haben, eine überfluthete Zunge des Festlandes ist, und die pyramidalen Zuspitzungen der andern südlichen Festlande, nämlich Südamerika's und Südafrika's, als Homologie kümmerlich genug vertritt. So ungenügend auch die eben genannten Gliederungen erscheinen mögen, so hat doch wenigstens die eine ihren Zauber bewährt, denn die Carpentaria- Halbinsel blieb bis in die neuesten Zeiten das einzige Organ, wo-
1)Grey bei Eyre, Central-Australia. tom. II. p. 329.
2) Journal of the Anthrop. Inst. l. c. p. 97.
Die Australier.
Den Wortschätzen nach zerfallen aber die Sprachen der Australier in unendlich viele Bruchtheile. Um so merkwürdiger ist es, dass dieselben Familiennamen zugleich in Westaustralien und in Süd- australien, wie auf der Carpentariahalbinsel angetroffen worden sind1). Wenn viele australische Mundarten arm sind an Zahlen- ausdrücken, so folgt daraus doch nicht, dass die Eingebornen grössere Mehrheiten nicht hätten überblicken können, denn sie bedienen sich 18 verschiedener Worte zur Benennung von Kindern, je nachdem der erst- bis neuntgeborne Knabe oder die erst- bis neuntgeborne Tochter bezeichnet werden soll2).
Bevor wir uns mit ihren geistigen und gesellschaftlichen Zu- ständen beschäftigen, wird es rathsam sein, einen Blick über ihren Wohnort zu werfen. Nirgendwo lässt sich nämlich die verspätete Entwickelung des Menschengeschlechtes durch die missliche Ge- staltung der Erdräume besser rechtfertigen als in Australien. Hinausgerückt in abgelegene Planetenräume und doch wiederum zu klein, um eine Welt für sich zu bilden, erlitt Australien die Missachtung, dass sich ihm nie bis vor kurzer Zeit ein Cultur- pfad genähert hatte. Von allen Festlanden wurde es zuletzt ent- deckt, von allen Entdeckungen blieb es am längsten, nämlich volle zwei Jahrhunderte vernachlässigt, und als es von Europäern zuerst besiedelt wurde, erschien es nur tauglich zur Entfernung der Unverbesserlichen aus der Gesellschaft. Seine wagrechte Glie- derung oder, was dasselbe sagen will, seine Küstenumrisse nähern sich unter allen Welttheilen, nach Afrika, am meisten der Kreis- form, bei welcher der Umfang die geringste Entwickelung zum Flächeninhalt besitzt. Nur an zwei Stellen zeigt es den Ansatz von Gliedmassen: es ist dies die Carpentaria- oder Cap-York- Halbinsel und die Insel Tasmanien, welche letztere, wie wir es anderwärts schon ausgesprochen haben, eine überfluthete Zunge des Festlandes ist, und die pyramidalen Zuspitzungen der andern südlichen Festlande, nämlich Südamerika’s und Südafrika’s, als Homologie kümmerlich genug vertritt. So ungenügend auch die eben genannten Gliederungen erscheinen mögen, so hat doch wenigstens die eine ihren Zauber bewährt, denn die Carpentaria- Halbinsel blieb bis in die neuesten Zeiten das einzige Organ, wo-
1)Grey bei Eyre, Central-Australia. tom. II. p. 329.
2) Journal of the Anthrop. Inst. l. c. p. 97.
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Die Australier.
Den Wortschätzen nach zerfallen aber die Sprachen der Australier
in unendlich viele Bruchtheile. Um so merkwürdiger ist es, dass
dieselben Familiennamen zugleich in Westaustralien und in Süd-
australien, wie auf der Carpentariahalbinsel angetroffen worden
sind 1). Wenn viele australische Mundarten arm sind an Zahlen-
ausdrücken, so folgt daraus doch nicht, dass die Eingebornen
grössere Mehrheiten nicht hätten überblicken können, denn sie
bedienen sich 18 verschiedener Worte zur Benennung von Kindern,
je nachdem der erst- bis neuntgeborne Knabe oder die erst- bis
neuntgeborne Tochter bezeichnet werden soll 2).
Bevor wir uns mit ihren geistigen und gesellschaftlichen Zu-
ständen beschäftigen, wird es rathsam sein, einen Blick über ihren
Wohnort zu werfen. Nirgendwo lässt sich nämlich die verspätete
Entwickelung des Menschengeschlechtes durch die missliche Ge-
staltung der Erdräume besser rechtfertigen als in Australien.
Hinausgerückt in abgelegene Planetenräume und doch wiederum
zu klein, um eine Welt für sich zu bilden, erlitt Australien die
Missachtung, dass sich ihm nie bis vor kurzer Zeit ein Cultur-
pfad genähert hatte. Von allen Festlanden wurde es zuletzt ent-
deckt, von allen Entdeckungen blieb es am längsten, nämlich
volle zwei Jahrhunderte vernachlässigt, und als es von Europäern
zuerst besiedelt wurde, erschien es nur tauglich zur Entfernung
der Unverbesserlichen aus der Gesellschaft. Seine wagrechte Glie-
derung oder, was dasselbe sagen will, seine Küstenumrisse nähern
sich unter allen Welttheilen, nach Afrika, am meisten der Kreis-
form, bei welcher der Umfang die geringste Entwickelung zum
Flächeninhalt besitzt. Nur an zwei Stellen zeigt es den Ansatz
von Gliedmassen: es ist dies die Carpentaria- oder Cap-York-
Halbinsel und die Insel Tasmanien, welche letztere, wie wir es
anderwärts schon ausgesprochen haben, eine überfluthete Zunge
des Festlandes ist, und die pyramidalen Zuspitzungen der andern
südlichen Festlande, nämlich Südamerika’s und Südafrika’s, als
Homologie kümmerlich genug vertritt. So ungenügend auch die
eben genannten Gliederungen erscheinen mögen, so hat doch
wenigstens die eine ihren Zauber bewährt, denn die Carpentaria-
Halbinsel blieb bis in die neuesten Zeiten das einzige Organ, wo-
1) Grey bei Eyre, Central-Australia. tom. II. p. 329.
2) Journal of the Anthrop. Inst. l. c. p. 97.
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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/359>, abgerufen am 23.12.2024.
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