Kamelshaaren, und ernährte sich von Heuschrecken und wildem Honig. Auch Christus bereitete sich vor zu seiner Laufbahn vierzig Tage und vierzig Nächte in der Wüste. Mohammed end- lich war zwar ein Stadtkind, sog aber die Milch einer Beduinen- amme ein, war lange Zeit Hirt und durchzog auf seinen Kara- wanenreisen die Landstriche zwischen seiner Heimat und Pa- lästina. Die Pilgerfahrten nach Mekka, obgleich sie weit älter sind als der Islam, dienen nicht wenig zur Befestigung des Glau- bens, insofern ihnen eine Wüstenreise voranzugehen pflegt. Doch sitzen die Bekenner des Propheten ohnedies schon in der Nähe von Wüsten, denn die Lehre Mohammed's hat sich fast nur in der Zone des Ostpassates verbreitet und erst sehr spät in Afrika bis zum Sudan erstreckt. In Indien konnte sie aber nur eine be- schränkte Verbreitung gewinnen, und auch diese nur durch politische Nachhilfe.
Das ist so ziemlich alles, was sich streng ermitteln lässt über die Rückwirkung der Ländernatur auf die Richtung des reli- giösen Sinnes der Bevölkerung. Die Wüste ist zur Weckung des Monotheismus sehr hilfreich, weil sie bei der Trockenheit und Klarheit der Luft die Sinne nicht allen jenen reizenden Wahn- bildern des Waldlandes aussetzt, den Lichtstrahlen, wenn sie durch Lücken der Baumkronen auf zitternden und spiegelnden Blättern spielen, den wunderlichen Gestalten knorriger Aeste, kriechender Wurzeln und verwitterter Stämme, dem Knarren und Seufzen, dem Flüstern und Rauschen, dem Schlüpfen und Rascheln, über- haupt allen jenen Stimmen und Lauten in Busch und Wald, bei denen uns so gern das Truggefühl unsichtbarer Belebtheit über- schleicht. In den Wüsten schleppen und schleichen auch keine Nebelschweife über feuchten Wiesengrund. In solchen Dunst- gebilden, wenn sie über den Wäldern Neu-Guinea's aufsteigen, verehren die Eingebornen Doreh's das Sichtbarwerden Narvoje's, ihres guten Geistes1). Wohl lässt sich daher behaupten, dass mit der Ausrottung der Forste nicht blos das örtliche Klima verändert, sondern auch Poesie und Heidenthum mit der Axt getroffen worden seien. Begünstigt aber auch ein sonniges Land die monotheistischen Regungen, so ist doch zugleich jede Religionsschöpfung wiederum ein Ausdruck der Racenbegabung. Die Semiten haben keine
1) O. Finsch, Neu-Guinea. S. 107.
Die Zone der Religionsstifter.
Kamelshaaren, und ernährte sich von Heuschrecken und wildem Honig. Auch Christus bereitete sich vor zu seiner Laufbahn vierzig Tage und vierzig Nächte in der Wüste. Mohammed end- lich war zwar ein Stadtkind, sog aber die Milch einer Beduinen- amme ein, war lange Zeit Hirt und durchzog auf seinen Kara- wanenreisen die Landstriche zwischen seiner Heimat und Pa- lästina. Die Pilgerfahrten nach Mekka, obgleich sie weit älter sind als der Islâm, dienen nicht wenig zur Befestigung des Glau- bens, insofern ihnen eine Wüstenreise voranzugehen pflegt. Doch sitzen die Bekenner des Propheten ohnedies schon in der Nähe von Wüsten, denn die Lehre Mohammed’s hat sich fast nur in der Zone des Ostpassates verbreitet und erst sehr spät in Afrika bis zum Sudan erstreckt. In Indien konnte sie aber nur eine be- schränkte Verbreitung gewinnen, und auch diese nur durch politische Nachhilfe.
Das ist so ziemlich alles, was sich streng ermitteln lässt über die Rückwirkung der Ländernatur auf die Richtung des reli- giösen Sinnes der Bevölkerung. Die Wüste ist zur Weckung des Monotheismus sehr hilfreich, weil sie bei der Trockenheit und Klarheit der Luft die Sinne nicht allen jenen reizenden Wahn- bildern des Waldlandes aussetzt, den Lichtstrahlen, wenn sie durch Lücken der Baumkronen auf zitternden und spiegelnden Blättern spielen, den wunderlichen Gestalten knorriger Aeste, kriechender Wurzeln und verwitterter Stämme, dem Knarren und Seufzen, dem Flüstern und Rauschen, dem Schlüpfen und Rascheln, über- haupt allen jenen Stimmen und Lauten in Busch und Wald, bei denen uns so gern das Truggefühl unsichtbarer Belebtheit über- schleicht. In den Wüsten schleppen und schleichen auch keine Nebelschweife über feuchten Wiesengrund. In solchen Dunst- gebilden, wenn sie über den Wäldern Neu-Guinea’s aufsteigen, verehren die Eingebornen Doreh’s das Sichtbarwerden Narvojé’s, ihres guten Geistes1). Wohl lässt sich daher behaupten, dass mit der Ausrottung der Forste nicht blos das örtliche Klima verändert, sondern auch Poesie und Heidenthum mit der Axt getroffen worden seien. Begünstigt aber auch ein sonniges Land die monotheistischen Regungen, so ist doch zugleich jede Religionsschöpfung wiederum ein Ausdruck der Racenbegabung. Die Semiten haben keine
1) O. Finsch, Neu-Guinea. S. 107.
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Die Zone der Religionsstifter.
Kamelshaaren, und ernährte sich von Heuschrecken und wildem
Honig. Auch Christus bereitete sich vor zu seiner Laufbahn
vierzig Tage und vierzig Nächte in der Wüste. Mohammed end-
lich war zwar ein Stadtkind, sog aber die Milch einer Beduinen-
amme ein, war lange Zeit Hirt und durchzog auf seinen Kara-
wanenreisen die Landstriche zwischen seiner Heimat und Pa-
lästina. Die Pilgerfahrten nach Mekka, obgleich sie weit älter
sind als der Islâm, dienen nicht wenig zur Befestigung des Glau-
bens, insofern ihnen eine Wüstenreise voranzugehen pflegt. Doch
sitzen die Bekenner des Propheten ohnedies schon in der Nähe
von Wüsten, denn die Lehre Mohammed’s hat sich fast nur in der
Zone des Ostpassates verbreitet und erst sehr spät in Afrika bis
zum Sudan erstreckt. In Indien konnte sie aber nur eine be-
schränkte Verbreitung gewinnen, und auch diese nur durch
politische Nachhilfe.
Das ist so ziemlich alles, was sich streng ermitteln lässt
über die Rückwirkung der Ländernatur auf die Richtung des reli-
giösen Sinnes der Bevölkerung. Die Wüste ist zur Weckung des
Monotheismus sehr hilfreich, weil sie bei der Trockenheit und
Klarheit der Luft die Sinne nicht allen jenen reizenden Wahn-
bildern des Waldlandes aussetzt, den Lichtstrahlen, wenn sie durch
Lücken der Baumkronen auf zitternden und spiegelnden Blättern
spielen, den wunderlichen Gestalten knorriger Aeste, kriechender
Wurzeln und verwitterter Stämme, dem Knarren und Seufzen,
dem Flüstern und Rauschen, dem Schlüpfen und Rascheln, über-
haupt allen jenen Stimmen und Lauten in Busch und Wald, bei
denen uns so gern das Truggefühl unsichtbarer Belebtheit über-
schleicht. In den Wüsten schleppen und schleichen auch keine
Nebelschweife über feuchten Wiesengrund. In solchen Dunst-
gebilden, wenn sie über den Wäldern Neu-Guinea’s aufsteigen,
verehren die Eingebornen Doreh’s das Sichtbarwerden Narvojé’s,
ihres guten Geistes 1). Wohl lässt sich daher behaupten, dass mit
der Ausrottung der Forste nicht blos das örtliche Klima verändert,
sondern auch Poesie und Heidenthum mit der Axt getroffen worden
seien. Begünstigt aber auch ein sonniges Land die monotheistischen
Regungen, so ist doch zugleich jede Religionsschöpfung wiederum
ein Ausdruck der Racenbegabung. Die Semiten haben keine
1) O. Finsch, Neu-Guinea. S. 107.
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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/353>, abgerufen am 16.07.2024.
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