Volksbetrüger. Um die Wunder der Offenbarung mit der Wirk- lichkeit zu versöhnen, wurde angenommen, dass der Wille Gottes nur dem Sinne nach dem Propheten kund werde, dieser aber Zeit behalte, den Inhalt in jene dichterische Prosa umzuformen, welche die Gemüther der Gläubigen bald so tief erschütterte, dass wieder- holt fromme Moslimen, wenn sie unvorbereitet die Drohworte eines Qoranverses vernahmen vor Schrecken bewusstlos umsanken, ja sogar getödtet worden sein sollen1). Der Prophet durfte daher, um die Göttlichkeit seiner Eingebungen zu beweisen, den Zweiflern zurufen, wenn der Qoran nur von ihm, Mohammed erdacht sei, so möchten sie es versuchen nur eine einzige Sure zu verfertigen, die den seinigen gliche2).
Der Qoran selbst enthält 114 Psalmen oder Suren von ver- schiedner Ausdehnun, von einem einzigen Vers bis zur Länge einer Predigt. Wie in einem ordnungslosen Haufenwerk sind Er- zählungen von Strafgerichten nach biblischen oder altarabischen Legenden, mit bürgerlichen Vorschriften und den eigentlichen göttlichen Offenbarungen durcheinander gemengt. Werden sie nach der Zeit ihrer Entstehung geordnet, so erlangen wir Ein- blick in das Wachsthum und die Entwicklung des neuen Glaubens, der nur eine Umprägung jüdischer und christlicher Gedanken ge- wesen ist. Die Vorläufer des Propheten unter den Arabern waren die Hanyfe, welche einen Schöpfer verehrten und bei einer künf- tigen Auferstehung der Todten ein sittliches Strafgericht erwarteten. Mohammed nannte sich selbst einen Hanyfen, und Abraham den Stifter des Hanyfenthum, welches in seinem Munde einen gerei- nigten Monotheismus bedeuten soll und dem der Name Islam ge- bührt, ein vieldeutiges Wort, welches den scharfen Gegensatz gegen die Gottesläugnung, wie gegen die Vielgötterei enthält3). Grossen Einfluss auf den Propheten hatten die Glaubenssätze der ebioni- tischen Judenchristen zu Jerusalem und Pella, welche nur das erste Evangelium als echt anerkannten und die Lehre von der Mensch- werdung wie von der Erlösung verwarfen4). Mohammed selbst besuchte mehr als einmal Jerusalem, er verehrte Christus und
1) Beispiele bei v. Kremer, Ideen des Islam. S. 80--81.
2)Wahl, Qoran. Sure X. S. 164.
3)Sprenger, Mohammad. Bd. 1. S. 72.
4)Sprenger, Mohammad. Bd. 1. S. 22.
Der Islâm.
Volksbetrüger. Um die Wunder der Offenbarung mit der Wirk- lichkeit zu versöhnen, wurde angenommen, dass der Wille Gottes nur dem Sinne nach dem Propheten kund werde, dieser aber Zeit behalte, den Inhalt in jene dichterische Prosa umzuformen, welche die Gemüther der Gläubigen bald so tief erschütterte, dass wieder- holt fromme Moslimen, wenn sie unvorbereitet die Drohworte eines Qorânverses vernahmen vor Schrecken bewusstlos umsanken, ja sogar getödtet worden sein sollen1). Der Prophet durfte daher, um die Göttlichkeit seiner Eingebungen zu beweisen, den Zweiflern zurufen, wenn der Qorân nur von ihm, Mohammed erdacht sei, so möchten sie es versuchen nur eine einzige Sure zu verfertigen, die den seinigen gliche2).
Der Qorân selbst enthält 114 Psalmen oder Suren von ver- schiedner Ausdehnun, von einem einzigen Vers bis zur Länge einer Predigt. Wie in einem ordnungslosen Haufenwerk sind Er- zählungen von Strafgerichten nach biblischen oder altarabischen Legenden, mit bürgerlichen Vorschriften und den eigentlichen göttlichen Offenbarungen durcheinander gemengt. Werden sie nach der Zeit ihrer Entstehung geordnet, so erlangen wir Ein- blick in das Wachsthum und die Entwicklung des neuen Glaubens, der nur eine Umprägung jüdischer und christlicher Gedanken ge- wesen ist. Die Vorläufer des Propheten unter den Arabern waren die Hanyfe, welche einen Schöpfer verehrten und bei einer künf- tigen Auferstehung der Todten ein sittliches Strafgericht erwarteten. Mohammed nannte sich selbst einen Hanyfen, und Abraham den Stifter des Hanyfenthum, welches in seinem Munde einen gerei- nigten Monotheismus bedeuten soll und dem der Name Islâm ge- bührt, ein vieldeutiges Wort, welches den scharfen Gegensatz gegen die Gottesläugnung, wie gegen die Vielgötterei enthält3). Grossen Einfluss auf den Propheten hatten die Glaubenssätze der ebioni- tischen Judenchristen zu Jerusalem und Pella, welche nur das erste Evangelium als echt anerkannten und die Lehre von der Mensch- werdung wie von der Erlösung verwarfen4). Mohammed selbst besuchte mehr als einmal Jerusalem, er verehrte Christus und
1) Beispiele bei v. Kremer, Ideen des Islâm. S. 80—81.
2)Wahl, Qorân. Sure X. S. 164.
3)Sprenger, Mohammad. Bd. 1. S. 72.
4)Sprenger, Mohammad. Bd. 1. S. 22.
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Der Islâm.
Volksbetrüger. Um die Wunder der Offenbarung mit der Wirk-
lichkeit zu versöhnen, wurde angenommen, dass der Wille Gottes
nur dem Sinne nach dem Propheten kund werde, dieser aber Zeit
behalte, den Inhalt in jene dichterische Prosa umzuformen, welche
die Gemüther der Gläubigen bald so tief erschütterte, dass wieder-
holt fromme Moslimen, wenn sie unvorbereitet die Drohworte eines
Qorânverses vernahmen vor Schrecken bewusstlos umsanken, ja
sogar getödtet worden sein sollen 1). Der Prophet durfte daher,
um die Göttlichkeit seiner Eingebungen zu beweisen, den Zweiflern
zurufen, wenn der Qorân nur von ihm, Mohammed erdacht sei,
so möchten sie es versuchen nur eine einzige Sure zu verfertigen,
die den seinigen gliche 2).
Der Qorân selbst enthält 114 Psalmen oder Suren von ver-
schiedner Ausdehnun, von einem einzigen Vers bis zur Länge
einer Predigt. Wie in einem ordnungslosen Haufenwerk sind Er-
zählungen von Strafgerichten nach biblischen oder altarabischen
Legenden, mit bürgerlichen Vorschriften und den eigentlichen
göttlichen Offenbarungen durcheinander gemengt. Werden sie
nach der Zeit ihrer Entstehung geordnet, so erlangen wir Ein-
blick in das Wachsthum und die Entwicklung des neuen Glaubens,
der nur eine Umprägung jüdischer und christlicher Gedanken ge-
wesen ist. Die Vorläufer des Propheten unter den Arabern waren
die Hanyfe, welche einen Schöpfer verehrten und bei einer künf-
tigen Auferstehung der Todten ein sittliches Strafgericht erwarteten.
Mohammed nannte sich selbst einen Hanyfen, und Abraham den
Stifter des Hanyfenthum, welches in seinem Munde einen gerei-
nigten Monotheismus bedeuten soll und dem der Name Islâm ge-
bührt, ein vieldeutiges Wort, welches den scharfen Gegensatz gegen
die Gottesläugnung, wie gegen die Vielgötterei enthält 3). Grossen
Einfluss auf den Propheten hatten die Glaubenssätze der ebioni-
tischen Judenchristen zu Jerusalem und Pella, welche nur das erste
Evangelium als echt anerkannten und die Lehre von der Mensch-
werdung wie von der Erlösung verwarfen 4). Mohammed selbst
besuchte mehr als einmal Jerusalem, er verehrte Christus und
1) Beispiele bei v. Kremer, Ideen des Islâm. S. 80—81.
2) Wahl, Qorân. Sure X. S. 164.
3) Sprenger, Mohammad. Bd. 1. S. 72.
4) Sprenger, Mohammad. Bd. 1. S. 22.
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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/336>, abgerufen am 15.08.2024.
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