Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.Die christlichen Lehren. heissen? 1) Eine Mehrzahl von Stellen des alten Testamentesvernichtet sogar jede Hoffnung auf ein Jenseits. Mit Verheissung eines langen Lebens und reichen Kindersegens wird der Fromme belohnt oder wohl gar irdischer Ueberfluss in Scheune und Keller für religiöse Ehrfurcht und strengen Gottesdienst ihm in Aussicht gestellt 2). Was nützt Dir, ruft der Psalmist 3) dem Herrn zu, mein Leib, wenn er zur Verwesung hinabsteigt? Wird etwa Staub und Asche Dich anrufen oder Deine Wahrheiten verkündigen? Bei Ijob finden wir die geradezu hoffnungsleere Stelle, dass wohl der abgehauene Baum noch einmal grünen könne, dass aber den Erdensohn, wenn er sich niedergestreckt hat, nichts mehr aus seinem Schlummer wecken werde 4). So kann auch der Schluss dieses dramatischen Gedichtes uns nicht befriedigen. Auf die Prüfungen des Dulders öffnet sich nicht, wie wir erwarten, der Blick auf eine Welt der Verklärung, sondern Ijob wird mit Ge- sundheit erfrischt, mit Heerden und Nachkommenschaft neu aus- gestattet und stirbt dann lebenssatt (plenus dierum). Wohl spricht das alte Testament wiederholt von einer Behausung der Todten, die in der lutherischen Uebersetzung zwar eine Hölle genannt wird, aber nicht als ein Ort der sittlichen Verbüssung gedacht werden darf, sondern wie Ijob es ausmalt, als lichtloser Raum, erfüllt mit ewigem Grausen. Ja dieses Sheol, welches überein- stimmt mit dem Hades der Griechen, wird nirgends in gesetzlichen Aussprüchen des Alten Testamentes erwähnt 5). Erst in späteren Stücken keimt eine andere erhabene Ansicht. Es wird nämlich der Trost ausgesprochen, dass der Mensch ein Gedanke Gottes, also zugleich von Anbeginn vorhanden gewesen sei. Da wir diese Lehre sonst nur in Schriften von minderem Ansehen antreffen, so ist es wichtig, dass wir ihr auch bei Jeremja (I, 4) begegnen. Wollte man ferner einen schönen Abschnitt (cap. 2) 1) Marc. IX, 10. 2) Proverb. III, 9--10. 3) Psalm 30, 10. 4) Job. XIV, 7--12. 5) Ewald, israelit. Geschichte. Göttingen 1845. Bd. 2. S. 122. Wie
E. B. Tylor (Anfänge der Cultur. Bd. 2. S. 81) richtig bemerkt, übersetzen die LXX Sheol mit Hades und Ulfilas mit Halja, welches letztere in der alten Bedeutung ein Schattenreich der Todten unter der Erde war. Die christlichen Lehren. heissen? 1) Eine Mehrzahl von Stellen des alten Testamentesvernichtet sogar jede Hoffnung auf ein Jenseits. Mit Verheissung eines langen Lebens und reichen Kindersegens wird der Fromme belohnt oder wohl gar irdischer Ueberfluss in Scheune und Keller für religiöse Ehrfurcht und strengen Gottesdienst ihm in Aussicht gestellt 2). Was nützt Dir, ruft der Psalmist 3) dem Herrn zu, mein Leib, wenn er zur Verwesung hinabsteigt? Wird etwa Staub und Asche Dich anrufen oder Deine Wahrheiten verkündigen? Bei Ijob finden wir die geradezu hoffnungsleere Stelle, dass wohl der abgehauene Baum noch einmal grünen könne, dass aber den Erdensohn, wenn er sich niedergestreckt hat, nichts mehr aus seinem Schlummer wecken werde 4). So kann auch der Schluss dieses dramatischen Gedichtes uns nicht befriedigen. Auf die Prüfungen des Dulders öffnet sich nicht, wie wir erwarten, der Blick auf eine Welt der Verklärung, sondern Ijob wird mit Ge- sundheit erfrischt, mit Heerden und Nachkommenschaft neu aus- gestattet und stirbt dann lebenssatt (plenus dierum). Wohl spricht das alte Testament wiederholt von einer Behausung der Todten, die in der lutherischen Uebersetzung zwar eine Hölle genannt wird, aber nicht als ein Ort der sittlichen Verbüssung gedacht werden darf, sondern wie Ijob es ausmalt, als lichtloser Raum, erfüllt mit ewigem Grausen. Ja dieses Shéol, welches überein- stimmt mit dem Hades der Griechen, wird nirgends in gesetzlichen Aussprüchen des Alten Testamentes erwähnt 5). Erst in späteren Stücken keimt eine andere erhabene Ansicht. Es wird nämlich der Trost ausgesprochen, dass der Mensch ein Gedanke Gottes, also zugleich von Anbeginn vorhanden gewesen sei. Da wir diese Lehre sonst nur in Schriften von minderem Ansehen antreffen, so ist es wichtig, dass wir ihr auch bei Jeremja (I, 4) begegnen. Wollte man ferner einen schönen Abschnitt (cap. 2) 1) Marc. IX, 10. 2) Proverb. III, 9—10. 3) Psalm 30, 10. 4) Job. XIV, 7—12. 5) Ewald, israelit. Geschichte. Göttingen 1845. Bd. 2. S. 122. Wie
E. B. Tylor (Anfänge der Cultur. Bd. 2. S. 81) richtig bemerkt, übersetzen die LXX Shéol mit Hades und Ulfilas mit Halja, welches letztere in der alten Bedeutung ein Schattenreich der Todten unter der Erde war. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0327" n="309"/><fw place="top" type="header">Die christlichen Lehren.</fw><lb/> heissen? <note place="foot" n="1)"><hi rendition="#g">Marc</hi>. IX, 10.</note> Eine Mehrzahl von Stellen des alten Testamentes<lb/> vernichtet sogar jede Hoffnung auf ein Jenseits. Mit Verheissung<lb/> eines langen Lebens und reichen Kindersegens wird der Fromme<lb/> belohnt oder wohl gar irdischer Ueberfluss in Scheune und Keller<lb/> für religiöse Ehrfurcht und strengen Gottesdienst ihm in Aussicht<lb/> gestellt <note place="foot" n="2)">Proverb. III, 9—10.</note>. Was nützt Dir, ruft der Psalmist <note place="foot" n="3)">Psalm 30, 10.</note> dem Herrn zu,<lb/> mein Leib, wenn er zur Verwesung hinabsteigt? Wird etwa Staub<lb/> und Asche Dich anrufen oder Deine Wahrheiten verkündigen?<lb/> Bei Ijob finden wir die geradezu hoffnungsleere Stelle, dass wohl<lb/> der abgehauene Baum noch einmal grünen könne, dass aber den<lb/> Erdensohn, wenn er sich niedergestreckt hat, nichts mehr aus<lb/> seinem Schlummer wecken werde <note place="foot" n="4)"><hi rendition="#g">Job</hi>. XIV, 7—12.</note>. So kann auch der Schluss<lb/> dieses dramatischen Gedichtes uns nicht befriedigen. Auf die<lb/> Prüfungen des Dulders öffnet sich nicht, wie wir erwarten, der<lb/> Blick auf eine Welt der Verklärung, sondern Ijob wird mit Ge-<lb/> sundheit erfrischt, mit Heerden und Nachkommenschaft neu aus-<lb/> gestattet und stirbt dann lebenssatt <hi rendition="#i">(plenus dierum)</hi>. Wohl spricht<lb/> das alte Testament wiederholt von einer Behausung der Todten,<lb/> die in der lutherischen Uebersetzung zwar eine Hölle genannt<lb/> wird, aber nicht als ein Ort der sittlichen Verbüssung gedacht<lb/> werden darf, sondern wie Ijob es ausmalt, als lichtloser Raum,<lb/> erfüllt mit ewigem Grausen. Ja dieses Shéol, welches überein-<lb/> stimmt mit dem Hades der Griechen, wird nirgends in gesetzlichen<lb/> Aussprüchen des Alten Testamentes erwähnt <note place="foot" n="5)"><hi rendition="#g">Ewald</hi>, israelit. Geschichte. Göttingen 1845. Bd. 2. S. 122. Wie<lb/> E. B. <hi rendition="#g">Tylor</hi> (Anfänge der Cultur. Bd. 2. S. 81) richtig bemerkt, übersetzen<lb/> die LXX Shéol mit Hades und Ulfilas mit Halja, welches letztere in der<lb/> alten Bedeutung ein Schattenreich der Todten unter der Erde war.</note>. Erst in späteren<lb/> Stücken keimt eine andere erhabene Ansicht. Es wird nämlich<lb/> der Trost ausgesprochen, dass der Mensch ein Gedanke Gottes,<lb/> also zugleich von Anbeginn vorhanden gewesen sei. Da wir<lb/> diese Lehre sonst nur in Schriften von minderem Ansehen<lb/> antreffen, so ist es wichtig, dass wir ihr auch bei Jeremja (I, 4)<lb/> begegnen. Wollte man ferner einen schönen Abschnitt (cap. 2)<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [309/0327]
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belohnt oder wohl gar irdischer Ueberfluss in Scheune und Keller
für religiöse Ehrfurcht und strengen Gottesdienst ihm in Aussicht
gestellt 2). Was nützt Dir, ruft der Psalmist 3) dem Herrn zu,
mein Leib, wenn er zur Verwesung hinabsteigt? Wird etwa Staub
und Asche Dich anrufen oder Deine Wahrheiten verkündigen?
Bei Ijob finden wir die geradezu hoffnungsleere Stelle, dass wohl
der abgehauene Baum noch einmal grünen könne, dass aber den
Erdensohn, wenn er sich niedergestreckt hat, nichts mehr aus
seinem Schlummer wecken werde 4). So kann auch der Schluss
dieses dramatischen Gedichtes uns nicht befriedigen. Auf die
Prüfungen des Dulders öffnet sich nicht, wie wir erwarten, der
Blick auf eine Welt der Verklärung, sondern Ijob wird mit Ge-
sundheit erfrischt, mit Heerden und Nachkommenschaft neu aus-
gestattet und stirbt dann lebenssatt (plenus dierum). Wohl spricht
das alte Testament wiederholt von einer Behausung der Todten,
die in der lutherischen Uebersetzung zwar eine Hölle genannt
wird, aber nicht als ein Ort der sittlichen Verbüssung gedacht
werden darf, sondern wie Ijob es ausmalt, als lichtloser Raum,
erfüllt mit ewigem Grausen. Ja dieses Shéol, welches überein-
stimmt mit dem Hades der Griechen, wird nirgends in gesetzlichen
Aussprüchen des Alten Testamentes erwähnt 5). Erst in späteren
Stücken keimt eine andere erhabene Ansicht. Es wird nämlich
der Trost ausgesprochen, dass der Mensch ein Gedanke Gottes,
also zugleich von Anbeginn vorhanden gewesen sei. Da wir
diese Lehre sonst nur in Schriften von minderem Ansehen
antreffen, so ist es wichtig, dass wir ihr auch bei Jeremja (I, 4)
begegnen. Wollte man ferner einen schönen Abschnitt (cap. 2)
1) Marc. IX, 10.
2) Proverb. III, 9—10.
3) Psalm 30, 10.
4) Job. XIV, 7—12.
5) Ewald, israelit. Geschichte. Göttingen 1845. Bd. 2. S. 122. Wie
E. B. Tylor (Anfänge der Cultur. Bd. 2. S. 81) richtig bemerkt, übersetzen
die LXX Shéol mit Hades und Ulfilas mit Halja, welches letztere in der
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