Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874.Der israelitische Monotheismus. dulden sollte, zu einer immer tieferen und immer reineren Er-fassung des Gottesgedankens genöthigt wurde. Allein von allen Völkern des Alterthums besitzen die Juden eine Geschichte, die in den irdischen Begebenheiten das Walten einer sittlichen Welt- ordnung zu erkennen sich bestrebt. Sie wurde im Exil verfasst, 1) in der Stimmung des Elendes, als es keinen Priesterstand mehr gab, so dass nicht etwa, wie man die Thatsache hat verdrehen wollen, hierarchische List im Spiele war. Die vorausgehende Königszeit hatte die Erfahrung eingeprägt, dass die religiöse Ver- wilderung fast immer den weltlichen Verfall nach sich zog, aber die heilige Schrift ist auch in solchen Fällen der Wahrheit treu geblieben, wo fromme Herrscher ins Unglück geriethen oder ab- trünnigen das Glück bis zu ihrem Ende hold blieb. Aus ihren Schicksalen in der Königszeit erwarben sich die Juden ihr uner- schütterliches Gottvertrauen. Mit den Assyriern, lässt die heilige Schrift den frommen Hizqia ausrufen, sind nur die Sehnen des Menschenarmes, mit uns aber ist der Herr unser Gott, der für uns streitet 2). So mahnt auch den verzweifelnden Ijob Elisha da- ran, wie viele Unheilstifter und Trübsalsäer vor Gottes Hauche zu Grunde gegangen seien 3). Mit voller Klarheit hatten die Juden erkannt, dass die Stärke eines Volkes sich nur begründen lasse auf ein festes Vertrauen zu einer sittlichen Weltordnung. Sie hatten aus ihrer Geschichte die Lehre gezogen, dass sie stets siegreich gewesen waren so lange Sittenstrenge unter ihnen herrschte und dass sie weggeführt wurden als sie vom Gesetze abfielen 4). Welcher Trost und welches Licht ihnen aus dieser Erkenntniss in den dunkeln Stunden des Lebens sich ergoss, erklingt in den Versen des Psalters: Ob ich schon wandere im finstern Thal, fürchte ich doch kein Unheil, denn Du bist bei mir. Wie vor, während und nach der Verbannung die religiösen 1) Nach Ewald israelit. Gesch. Göttingen 1864. Bd. 4. S. 26 entstand das Buch der Könige um die Mitte der babylonischen Verbannung. 2) 2. Paralipom. XXXII, 7--8. 3) Job. IV, 7--9. 4) Judith, V, 15.
Der israelitische Monotheismus. dulden sollte, zu einer immer tieferen und immer reineren Er-fassung des Gottesgedankens genöthigt wurde. Allein von allen Völkern des Alterthums besitzen die Juden eine Geschichte, die in den irdischen Begebenheiten das Walten einer sittlichen Welt- ordnung zu erkennen sich bestrebt. Sie wurde im Exil verfasst, 1) in der Stimmung des Elendes, als es keinen Priesterstand mehr gab, so dass nicht etwa, wie man die Thatsache hat verdrehen wollen, hierarchische List im Spiele war. Die vorausgehende Königszeit hatte die Erfahrung eingeprägt, dass die religiöse Ver- wilderung fast immer den weltlichen Verfall nach sich zog, aber die heilige Schrift ist auch in solchen Fällen der Wahrheit treu geblieben, wo fromme Herrscher ins Unglück geriethen oder ab- trünnigen das Glück bis zu ihrem Ende hold blieb. Aus ihren Schicksalen in der Königszeit erwarben sich die Juden ihr uner- schütterliches Gottvertrauen. Mit den Assyriern, lässt die heilige Schrift den frommen Hizqia ausrufen, sind nur die Sehnen des Menschenarmes, mit uns aber ist der Herr unser Gott, der für uns streitet 2). So mahnt auch den verzweifelnden Ijob Elisha da- ran, wie viele Unheilstifter und Trübsalsäer vor Gottes Hauche zu Grunde gegangen seien 3). Mit voller Klarheit hatten die Juden erkannt, dass die Stärke eines Volkes sich nur begründen lasse auf ein festes Vertrauen zu einer sittlichen Weltordnung. Sie hatten aus ihrer Geschichte die Lehre gezogen, dass sie stets siegreich gewesen waren so lange Sittenstrenge unter ihnen herrschte und dass sie weggeführt wurden als sie vom Gesetze abfielen 4). Welcher Trost und welches Licht ihnen aus dieser Erkenntniss in den dunkeln Stunden des Lebens sich ergoss, erklingt in den Versen des Psalters: Ob ich schon wandere im finstern Thal, fürchte ich doch kein Unheil, denn Du bist bei mir. Wie vor, während und nach der Verbannung die religiösen 1) Nach Ewald israelit. Gesch. Göttingen 1864. Bd. 4. S. 26 entstand das Buch der Könige um die Mitte der babylonischen Verbannung. 2) 2. Paralipom. XXXII, 7—8. 3) Job. IV, 7—9. 4) Judith, V, 15.
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Der israelitische Monotheismus.
dulden sollte, zu einer immer tieferen und immer reineren Er-
fassung des Gottesgedankens genöthigt wurde. Allein von allen
Völkern des Alterthums besitzen die Juden eine Geschichte, die
in den irdischen Begebenheiten das Walten einer sittlichen Welt-
ordnung zu erkennen sich bestrebt. Sie wurde im Exil verfasst, 1)
in der Stimmung des Elendes, als es keinen Priesterstand mehr
gab, so dass nicht etwa, wie man die Thatsache hat verdrehen
wollen, hierarchische List im Spiele war. Die vorausgehende
Königszeit hatte die Erfahrung eingeprägt, dass die religiöse Ver-
wilderung fast immer den weltlichen Verfall nach sich zog, aber
die heilige Schrift ist auch in solchen Fällen der Wahrheit treu
geblieben, wo fromme Herrscher ins Unglück geriethen oder ab-
trünnigen das Glück bis zu ihrem Ende hold blieb. Aus ihren
Schicksalen in der Königszeit erwarben sich die Juden ihr uner-
schütterliches Gottvertrauen. Mit den Assyriern, lässt die heilige
Schrift den frommen Hizqia ausrufen, sind nur die Sehnen des
Menschenarmes, mit uns aber ist der Herr unser Gott, der für
uns streitet 2). So mahnt auch den verzweifelnden Ijob Elisha da-
ran, wie viele Unheilstifter und Trübsalsäer vor Gottes Hauche
zu Grunde gegangen seien 3). Mit voller Klarheit hatten die Juden
erkannt, dass die Stärke eines Volkes sich nur begründen lasse
auf ein festes Vertrauen zu einer sittlichen Weltordnung. Sie hatten
aus ihrer Geschichte die Lehre gezogen, dass sie stets siegreich
gewesen waren so lange Sittenstrenge unter ihnen herrschte
und dass sie weggeführt wurden als sie vom Gesetze abfielen 4).
Welcher Trost und welches Licht ihnen aus dieser Erkenntniss
in den dunkeln Stunden des Lebens sich ergoss, erklingt in den
Versen des Psalters: Ob ich schon wandere im finstern Thal,
fürchte ich doch kein Unheil, denn Du bist bei mir.
Wie vor, während und nach der Verbannung die religiösen
Anschauungen die frühere kindliche Rohheit abstreiften, merken
wir an einzelnen Zügen. Den Gott des alten Testamentes, der
nie vergab, der die Verschuldung der Voreltern an den Enkeln
1) Nach Ewald israelit. Gesch. Göttingen 1864. Bd. 4. S. 26 entstand
das Buch der Könige um die Mitte der babylonischen Verbannung.
2) 2. Paralipom. XXXII, 7—8.
3) Job. IV, 7—9.
4) Judith, V, 15.
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