Ein anderer Erwerbszweig der Schamanen beruht auf der Gabe, in Verkehr mit unsichtbaren Mächten, bisweilen mit den Geistern der Abgeschiedenen zu treten und von ihnen Offenbarungen über Künftiges zu empfangen. Der religiöse Künstler weiss sich dabei in einen Zustand nervöser Aufregung zu versetzen, der sich bis zum Schäumen des Mundes und krampfhaften Zuckungen steigert 1). Die Schamanen aller Welttheile wählen daher mit Vor- liebe ihre Zöglinge unter Knaben, die epileptischen Heimsuchungen ausgesetzt sind 2). Zwerge oder Albino's werden von den Negern bevorzugt 3).
Was von den sibirischen Priestern gesagt wurde, passt wieder so genau auf die sogenannten Medicinmänner der Rothhäute in Nord-Amerika, dass diese Uebereinstimmung sogar zu den Wahr- zeichen für die Annahme einer Bevölkerung der neuen Welt durch vormals nordasiatische Stämme gehört. Der einzige Unterschied zwischen dem sibirischen Schamanen und dem nordamerikanischen Medicinmann 4) besteht nur darin, dass der Erstere sich bei seinem Handwerk einer Zaubertrommel, der Andere einer Zauberklapper bedient; phantastisch ausgeschmückte Mäntel aber sind beiden eigen. Der nordamerikanische Medicinmann kehrt in Süd-Amerika unter den Namen Piaje, Piai, Paye wieder und auch er führt eine Zauberklapper (maracca), die er sich aus einem hohlen Kürbiss verfertigt, der mit harten Samenkörnern angefüllt wird 5). Endlich begegnen wir, durch die Breite des Atlantischen Meeres von ihren soeben erwähnten Berufsgenossen geschieden, den Mganga in Süd- Afrika, die zwar weder Trommel, noch Klapper, wohl aber ein Zauberhorn führen, und sich obendrein dem Berufe widmen, in
1) S. ein Beispiel unter den Karen in Birma bei A. Bastian, die Völker des östlichen Asien. Bd. 2. S. 415 n. und in Bezug auf die Kafirn vergl. Fritsch, Eingeborne Südafrika's. S. 99.
2) So unter den minussinskischen Tataren am südlichen Jenissei. Globus 1872. Nvbr. Bd. XX. No 18. S. 278. Andere Beispiele bei Fritz Schultze der Fetischismus. Leipzig 1871. S. 145.
3)Winwood Reade, Savage Africa. p. 363.
4)Catlin, die Indianer Nordamerika's. cap. 6. S. 28.
5) P. Gumilla, El Orinoco ilustrado. I, 9. p. 91. Dobrizhoffer, Geschichte der Abiponer. Bd. 2. S. 92. S. 342. Appun im Ausland 1872. No. 29. S. 684.
18*
Der Schamanismus.
Ein anderer Erwerbszweig der Schamanen beruht auf der Gabe, in Verkehr mit unsichtbaren Mächten, bisweilen mit den Geistern der Abgeschiedenen zu treten und von ihnen Offenbarungen über Künftiges zu empfangen. Der religiöse Künstler weiss sich dabei in einen Zustand nervöser Aufregung zu versetzen, der sich bis zum Schäumen des Mundes und krampfhaften Zuckungen steigert 1). Die Schamanen aller Welttheile wählen daher mit Vor- liebe ihre Zöglinge unter Knaben, die epileptischen Heimsuchungen ausgesetzt sind 2). Zwerge oder Albino’s werden von den Negern bevorzugt 3).
Was von den sibirischen Priestern gesagt wurde, passt wieder so genau auf die sogenannten Medicinmänner der Rothhäute in Nord-Amerika, dass diese Uebereinstimmung sogar zu den Wahr- zeichen für die Annahme einer Bevölkerung der neuen Welt durch vormals nordasiatische Stämme gehört. Der einzige Unterschied zwischen dem sibirischen Schamanen und dem nordamerikanischen Medicinmann 4) besteht nur darin, dass der Erstere sich bei seinem Handwerk einer Zaubertrommel, der Andere einer Zauberklapper bedient; phantastisch ausgeschmückte Mäntel aber sind beiden eigen. Der nordamerikanische Medicinmann kehrt in Süd-Amerika unter den Namen Piaje, Piaï, Paye wieder und auch er führt eine Zauberklapper (maracca), die er sich aus einem hohlen Kürbiss verfertigt, der mit harten Samenkörnern angefüllt wird 5). Endlich begegnen wir, durch die Breite des Atlantischen Meeres von ihren soeben erwähnten Berufsgenossen geschieden, den Mganga in Süd- Afrika, die zwar weder Trommel, noch Klapper, wohl aber ein Zauberhorn führen, und sich obendrein dem Berufe widmen, in
1) S. ein Beispiel unter den Karen in Birma bei A. Bastian, die Völker des östlichen Asien. Bd. 2. S. 415 n. und in Bezug auf die Kafirn vergl. Fritsch, Eingeborne Südafrika’s. S. 99.
2) So unter den minussinskischen Tataren am südlichen Jenissei. Globus 1872. Nvbr. Bd. XX. No 18. S. 278. Andere Beispiele bei Fritz Schultze der Fetischismus. Leipzig 1871. S. 145.
3)Winwood Reade, Savage Africa. p. 363.
4)Catlin, die Indianer Nordamerika’s. cap. 6. S. 28.
5) P. Gumilla, El Orinoco ilustrado. I, 9. p. 91. Dobrizhoffer, Geschichte der Abiponer. Bd. 2. S. 92. S. 342. Appun im Ausland 1872. No. 29. S. 684.
18*
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0293"n="275"/><fwplace="top"type="header">Der Schamanismus.</fw><lb/><p>Ein anderer Erwerbszweig der Schamanen beruht auf der<lb/>
Gabe, in Verkehr mit unsichtbaren Mächten, bisweilen mit den<lb/>
Geistern der Abgeschiedenen zu treten und von ihnen Offenbarungen<lb/>
über Künftiges zu empfangen. Der religiöse Künstler weiss sich<lb/>
dabei in einen Zustand nervöser Aufregung zu versetzen, der sich<lb/>
bis zum Schäumen des Mundes und krampfhaften Zuckungen<lb/>
steigert <noteplace="foot"n="1)">S. ein Beispiel unter den Karen in Birma bei A. <hirendition="#g">Bastian,</hi> die Völker<lb/>
des östlichen Asien. Bd. 2. S. 415 n. und in Bezug auf die Kafirn vergl.<lb/><hirendition="#g">Fritsch,</hi> Eingeborne Südafrika’s. S. 99.</note>. Die Schamanen aller Welttheile wählen daher mit Vor-<lb/>
liebe ihre Zöglinge unter Knaben, die epileptischen Heimsuchungen<lb/>
ausgesetzt sind <noteplace="foot"n="2)">So unter den minussinskischen Tataren am südlichen Jenissei. Globus<lb/>
1872. Nvbr. Bd. XX. No 18. S. 278. Andere Beispiele bei <hirendition="#g">Fritz Schultze</hi><lb/>
der Fetischismus. Leipzig 1871. S. 145.</note>. Zwerge oder Albino’s werden von den Negern<lb/>
bevorzugt <noteplace="foot"n="3)"><hirendition="#g">Winwood Reade,</hi> Savage Africa. p. 363.</note>.</p><lb/><p>Was von den sibirischen Priestern gesagt wurde, passt wieder<lb/>
so genau auf die sogenannten Medicinmänner der Rothhäute in<lb/>
Nord-Amerika, dass diese Uebereinstimmung sogar zu den Wahr-<lb/>
zeichen für die Annahme einer Bevölkerung der neuen Welt durch<lb/>
vormals nordasiatische Stämme gehört. Der einzige Unterschied<lb/>
zwischen dem sibirischen Schamanen und dem nordamerikanischen<lb/>
Medicinmann <noteplace="foot"n="4)"><hirendition="#g">Catlin,</hi> die Indianer Nordamerika’s. cap. 6. S. 28.</note> besteht nur darin, dass der Erstere sich bei seinem<lb/>
Handwerk einer Zaubertrommel, der Andere einer Zauberklapper<lb/>
bedient; phantastisch ausgeschmückte Mäntel aber sind beiden<lb/>
eigen. Der nordamerikanische Medicinmann kehrt in Süd-Amerika<lb/>
unter den Namen Piaje, Piaï, Paye wieder und auch er führt eine<lb/>
Zauberklapper (<hirendition="#i">maracca</hi>), die er sich aus einem hohlen Kürbiss<lb/>
verfertigt, der mit harten Samenkörnern angefüllt wird <noteplace="foot"n="5)">P. <hirendition="#g">Gumilla,</hi> El Orinoco ilustrado. I, 9. p. 91. <hirendition="#g">Dobrizhoffer,</hi><lb/>
Geschichte der Abiponer. Bd. 2. S. 92. S. 342. <hirendition="#g">Appun</hi> im Ausland 1872.<lb/>
No. 29. S. 684.</note>. Endlich<lb/>
begegnen wir, durch die Breite des Atlantischen Meeres von ihren<lb/>
soeben erwähnten Berufsgenossen geschieden, den Mganga in Süd-<lb/>
Afrika, die zwar weder Trommel, noch Klapper, wohl aber ein<lb/>
Zauberhorn führen, und sich obendrein dem Berufe widmen, in<lb/><fwplace="bottom"type="sig">18*</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[275/0293]
Der Schamanismus.
Ein anderer Erwerbszweig der Schamanen beruht auf der
Gabe, in Verkehr mit unsichtbaren Mächten, bisweilen mit den
Geistern der Abgeschiedenen zu treten und von ihnen Offenbarungen
über Künftiges zu empfangen. Der religiöse Künstler weiss sich
dabei in einen Zustand nervöser Aufregung zu versetzen, der sich
bis zum Schäumen des Mundes und krampfhaften Zuckungen
steigert 1). Die Schamanen aller Welttheile wählen daher mit Vor-
liebe ihre Zöglinge unter Knaben, die epileptischen Heimsuchungen
ausgesetzt sind 2). Zwerge oder Albino’s werden von den Negern
bevorzugt 3).
Was von den sibirischen Priestern gesagt wurde, passt wieder
so genau auf die sogenannten Medicinmänner der Rothhäute in
Nord-Amerika, dass diese Uebereinstimmung sogar zu den Wahr-
zeichen für die Annahme einer Bevölkerung der neuen Welt durch
vormals nordasiatische Stämme gehört. Der einzige Unterschied
zwischen dem sibirischen Schamanen und dem nordamerikanischen
Medicinmann 4) besteht nur darin, dass der Erstere sich bei seinem
Handwerk einer Zaubertrommel, der Andere einer Zauberklapper
bedient; phantastisch ausgeschmückte Mäntel aber sind beiden
eigen. Der nordamerikanische Medicinmann kehrt in Süd-Amerika
unter den Namen Piaje, Piaï, Paye wieder und auch er führt eine
Zauberklapper (maracca), die er sich aus einem hohlen Kürbiss
verfertigt, der mit harten Samenkörnern angefüllt wird 5). Endlich
begegnen wir, durch die Breite des Atlantischen Meeres von ihren
soeben erwähnten Berufsgenossen geschieden, den Mganga in Süd-
Afrika, die zwar weder Trommel, noch Klapper, wohl aber ein
Zauberhorn führen, und sich obendrein dem Berufe widmen, in
1) S. ein Beispiel unter den Karen in Birma bei A. Bastian, die Völker
des östlichen Asien. Bd. 2. S. 415 n. und in Bezug auf die Kafirn vergl.
Fritsch, Eingeborne Südafrika’s. S. 99.
2) So unter den minussinskischen Tataren am südlichen Jenissei. Globus
1872. Nvbr. Bd. XX. No 18. S. 278. Andere Beispiele bei Fritz Schultze
der Fetischismus. Leipzig 1871. S. 145.
3) Winwood Reade, Savage Africa. p. 363.
4) Catlin, die Indianer Nordamerika’s. cap. 6. S. 28.
5) P. Gumilla, El Orinoco ilustrado. I, 9. p. 91. Dobrizhoffer,
Geschichte der Abiponer. Bd. 2. S. 92. S. 342. Appun im Ausland 1872.
No. 29. S. 684.
18*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/293>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.