Die religiösen Regungen bei unentwickelten Völkern.
leblosen Gegenständen, da sie für beseelt gehalten werden, eine göttliche Verfügung über die Schicksale der Menschen beizumessen. So erklärt sich ungezwungen der Ursprung des Fetisch-Wesens.
Was die geisterspähenden Blicke des Wilden an sich zieht, kann ihm zum Sitze einer Gottheit werden. Stücke von Pflanzen, Schlangen- häute, Federn, Klauen, Muscheln, steinerne Pfeifen, lebendige Ge- schöpfe, ganze Thierarten, kurz was immer den rothhäutigen In- dianer nach vorausgehenden Fasten zuerst als Traumbild zu fesseln vermag, erkennt und verehrt er fortan als seinen Schutzgeist1). Die Wahl der angebeteten Dinge ist jedoch nicht gleichgiltig, weil sie vom Niedrigen zum Erhabenen fortschreitend den Fetisch- dienst bis zu dem Glauben an ein höchstes und sittlich vollkom- menes Wesen zu verklären vermag. Unveredelt bleibt der Mensch nur, so lange sich seine Anbetung tragbaren Sachen zuwendet, weil diese sammt ihrer vermeintlichen göttlichen Kraft in den Besitz eines Inhabers übergehen können. Die Dienstfertigkeit solcher Schutzgeister geniesst dann der Eigenthümer. Laban, der seine Hausgötzen vermisst, jagt dem Erzvater Jacob nach, und Rahel, die sie entwendet hat, weiss auch durch Schlauheit sie dem Nach- suchenden zu verbergen. Lange nach der mosaischen Gesetz- gebung, bis zu Davids Zeiten hüteten die Hebräer ihre Seraphim oder Penaten noch im Hause2). Selbst wo die reinsten Gottes- gedanken schon die Gemüther gewonnen haben, hängt das Herz doch immer noch mit Zähigkeit an dem alten Hausrath seiner kindischen Verehrung fest, und es soll das Volk noch gefunden werden, welches sich völlig vom Aberglauben, das heisst von den Ueberresten früherer Religionsschöpfungen gereinigt hätte.
Einem Städteerbauer aus der nebelhaften Vorzeit Turkestans, Namens Sekedschket, brachte seine chinesische Gemahlin als Aus- steuer etliche Fetische mit und in Bochara wurden zu Zeiten Götzen- märkte abgehalten3). Gehört der Fetisch zum beweglichen Eigen- thum oder gleichsam zum Gesinde des Hausherrn, so wird er für seine angebliche Verstocktheit oder Bosheit bestraft, so oft er die Wünsche des Bittenden nicht erhört. Wenn dem Ostjaken ein
1)Charlevoix, Nouvelle France, tom. III. p. 346.
2) 1. Regum, cap. 19 v. 13--16 u. Ewald, israelitische Geschichte. Bd. 1. S. 372. Bd. 3. S. 107.
3)Vambery, Geschichte Bocharas. Bd. 1. S. 2. S. 16.
Die religiösen Regungen bei unentwickelten Völkern.
leblosen Gegenständen, da sie für beseelt gehalten werden, eine göttliche Verfügung über die Schicksale der Menschen beizumessen. So erklärt sich ungezwungen der Ursprung des Fetisch-Wesens.
Was die geisterspähenden Blicke des Wilden an sich zieht, kann ihm zum Sitze einer Gottheit werden. Stücke von Pflanzen, Schlangen- häute, Federn, Klauen, Muscheln, steinerne Pfeifen, lebendige Ge- schöpfe, ganze Thierarten, kurz was immer den rothhäutigen In- dianer nach vorausgehenden Fasten zuerst als Traumbild zu fesseln vermag, erkennt und verehrt er fortan als seinen Schutzgeist1). Die Wahl der angebeteten Dinge ist jedoch nicht gleichgiltig, weil sie vom Niedrigen zum Erhabenen fortschreitend den Fetisch- dienst bis zu dem Glauben an ein höchstes und sittlich vollkom- menes Wesen zu verklären vermag. Unveredelt bleibt der Mensch nur, so lange sich seine Anbetung tragbaren Sachen zuwendet, weil diese sammt ihrer vermeintlichen göttlichen Kraft in den Besitz eines Inhabers übergehen können. Die Dienstfertigkeit solcher Schutzgeister geniesst dann der Eigenthümer. Laban, der seine Hausgötzen vermisst, jagt dem Erzvater Jacob nach, und Rahel, die sie entwendet hat, weiss auch durch Schlauheit sie dem Nach- suchenden zu verbergen. Lange nach der mosaischen Gesetz- gebung, bis zu Davids Zeiten hüteten die Hebräer ihre Seraphim oder Penaten noch im Hause2). Selbst wo die reinsten Gottes- gedanken schon die Gemüther gewonnen haben, hängt das Herz doch immer noch mit Zähigkeit an dem alten Hausrath seiner kindischen Verehrung fest, und es soll das Volk noch gefunden werden, welches sich völlig vom Aberglauben, das heisst von den Ueberresten früherer Religionsschöpfungen gereinigt hätte.
Einem Städteerbauer aus der nebelhaften Vorzeit Turkestans, Namens Sekedschket, brachte seine chinesische Gemahlin als Aus- steuer etliche Fetische mit und in Bochara wurden zu Zeiten Götzen- märkte abgehalten3). Gehört der Fetisch zum beweglichen Eigen- thum oder gleichsam zum Gesinde des Hausherrn, so wird er für seine angebliche Verstocktheit oder Bosheit bestraft, so oft er die Wünsche des Bittenden nicht erhört. Wenn dem Ostjaken ein
1)Charlevoix, Nouvelle France, tom. III. p. 346.
2) 1. Regum, cap. 19 v. 13—16 u. Ewald, israelitische Geschichte. Bd. 1. S. 372. Bd. 3. S. 107.
3)Vámbéry, Geschichte Bocharas. Bd. 1. S. 2. S. 16.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0276"n="258"/><fwplace="top"type="header">Die religiösen Regungen bei unentwickelten Völkern.</fw><lb/>
leblosen Gegenständen, da sie für beseelt gehalten werden, eine<lb/>
göttliche Verfügung über die Schicksale der Menschen beizumessen.<lb/>
So erklärt sich ungezwungen der Ursprung des Fetisch-Wesens.</p><lb/><p>Was die geisterspähenden Blicke des Wilden an sich zieht, kann<lb/>
ihm zum Sitze einer Gottheit werden. Stücke von Pflanzen, Schlangen-<lb/>
häute, Federn, Klauen, Muscheln, steinerne Pfeifen, lebendige Ge-<lb/>
schöpfe, ganze Thierarten, kurz was immer den rothhäutigen In-<lb/>
dianer nach vorausgehenden Fasten zuerst als Traumbild zu fesseln<lb/>
vermag, erkennt und verehrt er fortan als seinen Schutzgeist<noteplace="foot"n="1)"><hirendition="#g">Charlevoix</hi>, Nouvelle France, tom. III. p. 346.</note>.<lb/>
Die Wahl der angebeteten Dinge ist jedoch nicht gleichgiltig, weil<lb/>
sie vom Niedrigen zum Erhabenen fortschreitend den Fetisch-<lb/>
dienst bis zu dem Glauben an ein höchstes und sittlich vollkom-<lb/>
menes Wesen zu verklären vermag. Unveredelt bleibt der Mensch<lb/>
nur, so lange sich seine Anbetung tragbaren Sachen zuwendet, weil<lb/>
diese sammt ihrer vermeintlichen göttlichen Kraft in den Besitz<lb/>
eines Inhabers übergehen können. Die Dienstfertigkeit solcher<lb/>
Schutzgeister geniesst dann der Eigenthümer. Laban, der seine<lb/>
Hausgötzen vermisst, jagt dem Erzvater Jacob nach, und Rahel,<lb/>
die sie entwendet hat, weiss auch durch Schlauheit sie dem Nach-<lb/>
suchenden zu verbergen. Lange nach der mosaischen Gesetz-<lb/>
gebung, bis zu Davids Zeiten hüteten die Hebräer ihre Seraphim<lb/>
oder Penaten noch im Hause<noteplace="foot"n="2)">1. Regum, cap. 19 v. 13—16 u. <hirendition="#g">Ewald</hi>, israelitische Geschichte. Bd. 1.<lb/>
S. 372. Bd. 3. S. 107.</note>. Selbst wo die reinsten Gottes-<lb/>
gedanken schon die Gemüther gewonnen haben, hängt das Herz<lb/>
doch immer noch mit Zähigkeit an dem alten Hausrath seiner<lb/>
kindischen Verehrung fest, und es soll das Volk noch gefunden<lb/>
werden, welches sich völlig vom Aberglauben, das heisst von den<lb/>
Ueberresten früherer Religionsschöpfungen gereinigt hätte.</p><lb/><p>Einem Städteerbauer aus der nebelhaften Vorzeit Turkestans,<lb/>
Namens Sekedschket, brachte seine chinesische Gemahlin als Aus-<lb/>
steuer etliche Fetische mit und in Bochara wurden zu Zeiten Götzen-<lb/>
märkte abgehalten<noteplace="foot"n="3)"><hirendition="#g">Vámbéry</hi>, Geschichte Bocharas. Bd. 1. S. 2. S. 16.</note>. Gehört der Fetisch zum beweglichen Eigen-<lb/>
thum oder gleichsam zum Gesinde des Hausherrn, so wird er für<lb/>
seine angebliche Verstocktheit oder Bosheit bestraft, so oft er die<lb/>
Wünsche des Bittenden nicht erhört. Wenn dem Ostjaken ein<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[258/0276]
Die religiösen Regungen bei unentwickelten Völkern.
leblosen Gegenständen, da sie für beseelt gehalten werden, eine
göttliche Verfügung über die Schicksale der Menschen beizumessen.
So erklärt sich ungezwungen der Ursprung des Fetisch-Wesens.
Was die geisterspähenden Blicke des Wilden an sich zieht, kann
ihm zum Sitze einer Gottheit werden. Stücke von Pflanzen, Schlangen-
häute, Federn, Klauen, Muscheln, steinerne Pfeifen, lebendige Ge-
schöpfe, ganze Thierarten, kurz was immer den rothhäutigen In-
dianer nach vorausgehenden Fasten zuerst als Traumbild zu fesseln
vermag, erkennt und verehrt er fortan als seinen Schutzgeist 1).
Die Wahl der angebeteten Dinge ist jedoch nicht gleichgiltig, weil
sie vom Niedrigen zum Erhabenen fortschreitend den Fetisch-
dienst bis zu dem Glauben an ein höchstes und sittlich vollkom-
menes Wesen zu verklären vermag. Unveredelt bleibt der Mensch
nur, so lange sich seine Anbetung tragbaren Sachen zuwendet, weil
diese sammt ihrer vermeintlichen göttlichen Kraft in den Besitz
eines Inhabers übergehen können. Die Dienstfertigkeit solcher
Schutzgeister geniesst dann der Eigenthümer. Laban, der seine
Hausgötzen vermisst, jagt dem Erzvater Jacob nach, und Rahel,
die sie entwendet hat, weiss auch durch Schlauheit sie dem Nach-
suchenden zu verbergen. Lange nach der mosaischen Gesetz-
gebung, bis zu Davids Zeiten hüteten die Hebräer ihre Seraphim
oder Penaten noch im Hause 2). Selbst wo die reinsten Gottes-
gedanken schon die Gemüther gewonnen haben, hängt das Herz
doch immer noch mit Zähigkeit an dem alten Hausrath seiner
kindischen Verehrung fest, und es soll das Volk noch gefunden
werden, welches sich völlig vom Aberglauben, das heisst von den
Ueberresten früherer Religionsschöpfungen gereinigt hätte.
Einem Städteerbauer aus der nebelhaften Vorzeit Turkestans,
Namens Sekedschket, brachte seine chinesische Gemahlin als Aus-
steuer etliche Fetische mit und in Bochara wurden zu Zeiten Götzen-
märkte abgehalten 3). Gehört der Fetisch zum beweglichen Eigen-
thum oder gleichsam zum Gesinde des Hausherrn, so wird er für
seine angebliche Verstocktheit oder Bosheit bestraft, so oft er die
Wünsche des Bittenden nicht erhört. Wenn dem Ostjaken ein
1) Charlevoix, Nouvelle France, tom. III. p. 346.
2) 1. Regum, cap. 19 v. 13—16 u. Ewald, israelitische Geschichte. Bd. 1.
S. 372. Bd. 3. S. 107.
3) Vámbéry, Geschichte Bocharas. Bd. 1. S. 2. S. 16.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/276>, abgerufen am 23.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.