Diess widerlegt den oft geäusserten Satz, dass bei Polygamie die weiblichen, bei Polyandrie die männlichen Geburten vorwalten sollen und die Natur sich gleichsam den örtlich herrschenden ehe- lichen Satzungen anbequeme. Auch die Erfahrungen der Thier- züchter sind dieser Vermuthung nicht günstig, denn bei Rennpferden, Windspielen und Cochinchinahühnern bleibt das Zahlengleichgewicht der Geburten ungestört, obgleich die strengste Polygamie herrscht 1). Gut bezeugt durch die Statistik in Deutschland ist dagegen das Ueberwiegen von Knaben bei Erstgeburten 2).
Als gesellschaftliche Geschöpfe unterliegen wir aber auch einer sittlichen Ordnung und diese ist der polygamen Ehe entschieden abhold. Die Geschichte morgenländischer Königshäuser lehrt uns, dass die geringe Dauer der dortigen Herrschergeschlechter immer auf die Ränke ehrgeiziger Gemahlinnen zurückzuführen ist, und dass dort gänzlich das veredelnde Gefühl der Geschwisterliebe fehlt, jeder Fürstensohn vielmehr im Halbbruder seinen grimmigsten Gegner hasst. Selbst in bürgerlichen Familien entfremdet Neid und Eifersucht die Abkömmlinge verschiedener Mütter.
Spärlicher verbreitet ist die Polyandrie, welche jedoch nicht verwechselt werden darf mit der Frauengemeinschaft von Krieger- kasten, denen Ehelosigkeit als Ordensgelübde vorgeschrieben war, wie den Najern 3) im malabarischen Indien und ehemals den sapo- ragischen Kosaken 4). Echter Vielmännerei begegnen wir dagegen unter den Völkern, welche den Uebergang bilden zwischen Asiaten
1)Darwin, Abstammung des Menschen. Bd. 1. S. 272:
[Tabelle]
Unter 1001 ausgeschlüpften Cochinchinahühnern befanden sich 487 Hähne und 514 Hennen.
2)Welcker, Bau und Wachsthum des Schädels S. 69. Nach den Halle'schen Entbindungsprotocollen fanden sich unter 871 Erstgeburten auf je 100 Mädchen 114 Knaben und nach dem genealog. Taschenkalender in fürst- lichen deutschen Häusern bei Erstgeburten 116 männliche auf 100 weibliche, während die Zahlenverhältnisse bei sämmtlichen Geburten in Deutschland nur 106 : 100 lauten.
3)Graul, Ostindien. Bd. 3. S. 230. S. 338--340.
4) C. v. Kessel, im Ausland. 1872. No. 37. S. 865.
Ehe und väterliche Gewalt.
Diess widerlegt den oft geäusserten Satz, dass bei Polygamie die weiblichen, bei Polyandrie die männlichen Geburten vorwalten sollen und die Natur sich gleichsam den örtlich herrschenden ehe- lichen Satzungen anbequeme. Auch die Erfahrungen der Thier- züchter sind dieser Vermuthung nicht günstig, denn bei Rennpferden, Windspielen und Cochinchinahühnern bleibt das Zahlengleichgewicht der Geburten ungestört, obgleich die strengste Polygamie herrscht 1). Gut bezeugt durch die Statistik in Deutschland ist dagegen das Ueberwiegen von Knaben bei Erstgeburten 2).
Als gesellschaftliche Geschöpfe unterliegen wir aber auch einer sittlichen Ordnung und diese ist der polygamen Ehe entschieden abhold. Die Geschichte morgenländischer Königshäuser lehrt uns, dass die geringe Dauer der dortigen Herrschergeschlechter immer auf die Ränke ehrgeiziger Gemahlinnen zurückzuführen ist, und dass dort gänzlich das veredelnde Gefühl der Geschwisterliebe fehlt, jeder Fürstensohn vielmehr im Halbbruder seinen grimmigsten Gegner hasst. Selbst in bürgerlichen Familien entfremdet Neid und Eifersucht die Abkömmlinge verschiedener Mütter.
Spärlicher verbreitet ist die Polyandrie, welche jedoch nicht verwechselt werden darf mit der Frauengemeinschaft von Krieger- kasten, denen Ehelosigkeit als Ordensgelübde vorgeschrieben war, wie den Najern 3) im malabarischen Indien und ehemals den sapo- ragischen Kosaken 4). Echter Vielmännerei begegnen wir dagegen unter den Völkern, welche den Uebergang bilden zwischen Asiaten
1)Darwin, Abstammung des Menschen. Bd. 1. S. 272:
[Tabelle]
Unter 1001 ausgeschlüpften Cochinchinahühnern befanden sich 487 Hähne und 514 Hennen.
2)Welcker, Bau und Wachsthum des Schädels S. 69. Nach den Halle’schen Entbindungsprotocollen fanden sich unter 871 Erstgeburten auf je 100 Mädchen 114 Knaben und nach dem genealog. Taschenkalender in fürst- lichen deutschen Häusern bei Erstgeburten 116 männliche auf 100 weibliche, während die Zahlenverhältnisse bei sämmtlichen Geburten in Deutschland nur 106 : 100 lauten.
3)Graul, Ostindien. Bd. 3. S. 230. S. 338—340.
4) C. v. Kessel, im Ausland. 1872. No. 37. S. 865.
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Ehe und väterliche Gewalt.
Diess widerlegt den oft geäusserten Satz, dass bei Polygamie die
weiblichen, bei Polyandrie die männlichen Geburten vorwalten
sollen und die Natur sich gleichsam den örtlich herrschenden ehe-
lichen Satzungen anbequeme. Auch die Erfahrungen der Thier-
züchter sind dieser Vermuthung nicht günstig, denn bei Rennpferden,
Windspielen und Cochinchinahühnern bleibt das Zahlengleichgewicht
der Geburten ungestört, obgleich die strengste Polygamie herrscht 1).
Gut bezeugt durch die Statistik in Deutschland ist dagegen das
Ueberwiegen von Knaben bei Erstgeburten 2).
Als gesellschaftliche Geschöpfe unterliegen wir aber auch einer
sittlichen Ordnung und diese ist der polygamen Ehe entschieden
abhold. Die Geschichte morgenländischer Königshäuser lehrt uns,
dass die geringe Dauer der dortigen Herrschergeschlechter immer
auf die Ränke ehrgeiziger Gemahlinnen zurückzuführen ist, und
dass dort gänzlich das veredelnde Gefühl der Geschwisterliebe
fehlt, jeder Fürstensohn vielmehr im Halbbruder seinen grimmigsten
Gegner hasst. Selbst in bürgerlichen Familien entfremdet Neid und
Eifersucht die Abkömmlinge verschiedener Mütter.
Spärlicher verbreitet ist die Polyandrie, welche jedoch nicht
verwechselt werden darf mit der Frauengemeinschaft von Krieger-
kasten, denen Ehelosigkeit als Ordensgelübde vorgeschrieben war,
wie den Najern 3) im malabarischen Indien und ehemals den sapo-
ragischen Kosaken 4). Echter Vielmännerei begegnen wir dagegen
unter den Völkern, welche den Uebergang bilden zwischen Asiaten
1) Darwin, Abstammung des Menschen. Bd. 1. S. 272:
Unter 1001 ausgeschlüpften Cochinchinahühnern befanden sich 487 Hähne und
514 Hennen.
2) Welcker, Bau und Wachsthum des Schädels S. 69. Nach den
Halle’schen Entbindungsprotocollen fanden sich unter 871 Erstgeburten auf je
100 Mädchen 114 Knaben und nach dem genealog. Taschenkalender in fürst-
lichen deutschen Häusern bei Erstgeburten 116 männliche auf 100 weibliche,
während die Zahlenverhältnisse bei sämmtlichen Geburten in Deutschland
nur 106 : 100 lauten.
3) Graul, Ostindien. Bd. 3. S. 230. S. 338—340.
4) C. v. Kessel, im Ausland. 1872. No. 37. S. 865.
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Peschel, Oscar: Völkerkunde. Leipzig, 1874, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/peschel_voelkerkunde_1874/249>, abgerufen am 09.01.2025.
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